Der digitale Euro und der Schutz der Privatsphäre Videoansprache anlässlich der International Conference on Payments and Securities Settlement – Data and Information

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich heiße Sie alle recht herzlich willkommen zum zweiten Tag der International Conference on Payments and Securities Settlement. Leider kann ich heute nicht persönlich bei Ihnen sein, deshalb sende ich Ihnen diese Videobotschaft.

Die Konferenz wurde gemeinsam mit der Bank of Canada organisiert. Ich freue mich sehr über die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Zentralbanken. Mein besonderer Dank gilt den Teams, die diese Konferenz über den großen Teich hinweg organisiert haben!

Ziel der Konferenz ist es, Expertinnen und Experten für Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung zusammenzubringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Forschung zu präsentieren und zu diskutieren.

Der technologische Fortschritt hat die Zahlungsverkehrslandschaft revolutioniert – und zwar sowohl für die Fachleute auf diesem Gebiet als auch für die breite Öffentlichkeit. In den Bereichen Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme macht sich die Fachwelt die Vorteile der Tokenisierung immer mehr zunutze. Die Öffentlichkeit greift immer öfter auf kontaktloses Bezahlen, elektronische Geldbörsen und Peer‑to-Peer‑Zahlungen zurück. 

Diese Innovationen ermöglichen sofortige und sichere Transaktionen und verändern die Art und Weise, wie wir mit Geld umgehen. Als Zentralbanken müssen wir uns die Frage stellen, welche Auswirkungen diese neuen technischen Möglichkeiten auf unsere Dienstleistungen haben.

Eine wichtige Frage dabei ist, ob unser „analoges Kernprodukt“, nämlich das Bargeld, durch digitales Zentralbankgeld ergänzt werden sollte. Wenn ja, müssen wir entscheiden, ob wir digitales Zentralbankgeld für die breite Öffentlichkeit oder nur für die Zahlungsverkehrsbranche – etwa für Finanzinstitute – ausgeben möchten. 

Im Eurosystem diskutieren wir derzeit beide Optionen: sowohl das Retail- als auch das Wholesale-Modell. Die Retail-Variante steht natürlich besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Lassen Sie mich aber zunächst ein paar Worte zur Wholesale-Variante sagen.

Das Eurosystem hat Pionierarbeit geleistet, um die Echtzeitabwicklung von Großbetragszahlungen in Zentralbankgeld mithilfe neuer Technologien zu erforschen. In den nächsten Monaten finden hierzu verschiedene Tests und Versuche statt. Wir testen drei Eurosystem-Lösungen, mit denen Großbetragszahlungen auf Distributed Ledger Technology (DLT)-Plattformen erfasst und in Zentralbankgeld abgewickelt werden können.

Das Interesse der Marktteilnehmer an solchen Lösungen scheint groß zu sein. Dies zeigt, dass Lösungen für die Wholesale-Variante von digitalem Zentralbankgeld einen wichtigen Schritt für unser künftiges Finanzsystem darstellen könnten. Die sogenannte Trigger-Lösung, ein von der Bundesbank angebotener Abwicklungsmechanismus, ist an den Märkten auf reges Interesse gestoßen. 

Wir sind davon überzeugt, dass die Trigger-Lösung hocheffizient ist und kaum unerwünschte Nebenwirkungen hat. Vielmehr ist sie einfach umzusetzen, denn es wäre kein Upgrade des bestehenden und etablierten T2-Systems erforderlich.

So viel zu den guten Nachrichten mit Blick auf die Wholesale-Variante. Kommen wir nun zum Retail-Modell.

2 Warum wir einen digitalen Euro brauchen

Der digitale Euro befindet sich derzeit in der sogenannten Vorbereitungsphase. In dieser Phase, die bis Oktober 2025 dauern soll, bereiten sich unsere Fachleute auf die mögliche Einführung der Retail-Variante eines digitalen Euro im Euroraum vor. Nach der Vorbereitungsphase und der Verabschiedung der notwendigen rechtlichen Grundlagen wird der EZB-Rat einen Beschluss fassen.

Mir ist bewusst, dass einige Menschen dem Projekt digitaler Euro skeptisch gegenüberstehen. Wir müssen solche Vorbehalte ernst nehmen und den Sorgen der Menschen mit überzeugenden Argumenten begegnen.

Als eines der Hauptargumente gegen den digitalen Euro wird oft angeführt, dass wir ihn überhaupt nicht brauchen. Meiner Ansicht nach ist dieses Argument jedoch nicht stichhaltig.

Unser Leben wird immer digitaler. Immer mehr Menschen zahlen in Geschäften am liebsten bargeldlos. Und im Online-Handel, der zunehmend wichtiger wird, haben wir als Kundinnen und Kunden keine andere Wahl, als elektronisch zu bezahlen. Beides führt dazu, dass Bargeld seltener genutzt wird als früher. 

Allerdings haben die elektronischen Zahlungsmöglichkeiten, die den privaten Haushalten im Euroraum derzeit zur Verfügung stehen, ihre Schwachstellen. Beispielsweise funktionieren einige Zahlungskarten nur in bestimmten Ländern. Zudem basieren alle grenzüberschreitenden Zahlungslösungen aktuell auf außereuropäischen Systemen, was unsere strategische Autonomie bei dieser kritischen Infrastruktur einschränkt.

Als Dienstleister für die Allgemeinheit denken wir deshalb darüber nach, eine digitale Form von Zentralbankgeld für die breite Öffentlichkeit anzubieten.

3 Ergebnisse einer Bundesbank-Umfrage zum digitalen Euro

Wenn ich jetzt persönlich vor Ihnen stünde, sähe ich eine Gruppe von Expertinnen und Experten, die genau wissen, was digitales Zentralbankgeld auszeichnet und wie es sich von anderen digitalen Vermögenswerten unterscheidet. Bei der Hauptzielgruppe des digitalen Euro, also der breiten Öffentlichkeit, gibt es jedoch erhebliche Wissens- und Verständnislücken.

Für Deutschland ist das der Fall, wie eine repräsentative Umfrage zeigt, die kürzlich im Auftrag der Bundesbank durchgeführt wurde.[1] Nur 41 Prozent der Befragten gaben an, bereits etwas über den digitalen Euro gehört, gelesen oder gesehen zu haben. Dagegen sagten 59 Prozent, dass sie bisher nichts darüber wüssten.

Das Ergebnis überrascht allerdings nicht sonderlich. Solange noch keine endgültige Entscheidung über die Einführung des digitalen Euro gefallen ist, hat es wenig Sinn, dass das Eurosystem eine groß angelegte Sensibilisierungskampagne für die Öffentlichkeit einleitet.

Sobald die Einführung beschlossene Sache ist, wird es natürlich eine Werbe- und Aufklärungskampagne geben – und die wird auch notwendig sein.

Derzeit gibt es grundlegende Missverständnisse über den digitalen Euro. Selbst innerhalb der Gruppe der Befragten, die schon etwas darüber gehört hatten, wussten 26 Prozent nicht, was der digitale Euro wirklich ist. Nur 17 Prozent der Antworten gingen in die richtige Richtung, nämlich dass es sich dabei um ein zusätzliches Zahlungsmittel handelt, das von der Zentralbank herausgegeben wird. 

Das heißt also, dass nur sieben von hundert Deutschen etwas über digitales Zentralbankgeld wissen und das Konzept richtig verstanden haben. Alle übrigen kennen den digitalen Euro entweder nicht oder haben keine klare Vorstellung davon. Einige verwechseln den digitalen Euro entweder mit Kryptowerten oder ganz allgemein mit bargeldlosen Zahlungsmitteln. Andere sind der Meinung, dass er Bargeld ersetzen oder der Überwachung ihrer Zahlungsströme dienen soll.

Solche Missverständnisse hängen sicherlich zum Teil mit negativen Stimmen und Falschmeldungen zum digitalen Euro zusammen. Und diese Missverständnisse lassen vermuten, dass es eine Herausforderung werden wird, die Menschen darüber aufzuklären, was der digitale Euro wirklich ist – und was nicht.

Die Umfrage ist insofern ermutigend, als sich die Hälfte der Befragten grundsätzlich vorstellen kann, einen digitalen Euro zu nutzen. Dieser Frage ging die Erklärung voraus, dass es sich hierbei um eine digitale Form von Bargeld handele, das von der Zentralbank ausgegeben würde und als zusätzliches Zahlungsmittel verwendet werden könnte. Außerdem wurde erläutert, dass das Bargeld bleibt.

Darüber hinaus bin ich zuversichtlich, dass viele Befragte, die sich derzeit nicht vorstellen können, den digitalen Euro zu nutzen, ihre Meinung ändern werden, sobald sie ihn in der Praxis erleben.

Die Umfrage hat auch gezeigt, welche Merkmale ein digitaler Euro aufweisen muss, damit er in der Bevölkerung Akzeptanz findet. So gaben beispielsweise 59 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer an, dass für sie die Möglichkeit, offline zu bezahlen, wichtig oder sehr wichtig sei. Für 72 Prozent war wichtig, dass der digitale Euro auf einer rein europäischen Infrastruktur beruht.

Am wichtigsten war den Befragten jedoch der Schutz der Privatsphäre. Für drei Viertel von ihnen war es wichtig oder sehr wichtig, dass die Privatsphäre beim Bezahlen mit dem digitalen Euro besser geschützt bleibt als bei bestehenden digitalen Zahlungsmöglichkeiten.

4 Der digitale Euro und der Schutz der Privatsphäre

Damit der digitale Euro ein Erfolg wird, ist es daher von entscheidender Bedeutung, ein Höchstmaß an Privatsphäre bei gleichzeitiger Einhaltung der Vorschriften zur Geldwäscheprävention zu gewährleisten.

Daher freue ich mich, dass Sie sich direkt im Anschluss an meine Videobotschaft mit der Thematik Privatsphäre und digitales Zentralbankgeld beschäftigen werden. In den beiden betreffenden Forschungspapieren finden sich aufschlussreiche Überlegungen zum Zielkonflikt zwischen Datennutzung und Datenschutz.[2]

Daten gelten als wertvollste Ware des 21. Jahrhunderts. Grundsätzlich ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn Menschen für Dienstleistungen mit ihren personenbezogenen Daten bezahlen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie wissen, wer welche Daten zu welchem Zweck nutzt, und dass sie dieser Nutzung auch ausdrücklich zustimmen.

Mit der kommerziellen Nutzung ihrer Daten sind jedoch viele Menschen nicht einverstanden. Sie wollen nicht, dass ihr Konsumverhalten nachverfolgt wird. Und es ist ihr gutes Recht, dass ihre Daten geschützt werden.

Wenn Sie also auf einem Weingut in Eltville ein paar Flaschen Riesling kaufen und mit dem digitalen Euro zahlen würden, könnte nur die Bank, die Ihre elektronische Geldbörse verwaltet, die Transaktion vollständig einsehen. Es ist der Bank jedoch nicht gestattet, diese Informationen ohne Ihre Zustimmung kommerziell zu nutzen.

Das Eurosystem wird nicht in der Lage sein, Ihnen persönlich diese Transaktion zuzuordnen. Und wenn Sie offline bezahlen, werden gar keine personenbezogenen Daten an Dritte weitergegeben – genau wie beim Bargeld.[3]

5 Schluss

Sehr geehrte Damen und Herren, 

bis zur Einführung des digitalen Euro liegt noch ein weiter Weg vor uns. Der Austausch von Ansichten und Meinungen mit Fachleuten, die nicht aus dem Eurosystem stammen, ist hierbei sehr wichtig und wertvoll.

 

  1. Deutsche Bundesbank (2024), Bundesbank-Umfrage: Digitaler Euro findet als Bezahl-Option breite Akzeptanz in der Bevölkerung, Pressenotiz vom 4. Juni 2024.
  2. Agur, I., A. Ari und G. Dell’Ariccia (2023), Bank Competition and Household Privacy in a Digital Payment Monopoly, IMF Working Paper WP 23/121; Tinn, K. und C. Dubach (2024), (Central Bank) Digital Currency with Asymmetric Privacy -Theory Model, Mimeo.
  3. Europäische Zentralbank (2024), Progress on the preparation phase of a digital euro - First progress report