Der digitale Euro – Pläne und Perspektiven für Europa Rede bei der Online-Gesprächsrunde der "Europa-Union Deutschland e.V."

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren, 

ich danke Ihnen für die freundliche Begrüßung und Ihre Einladung.

Erasmus von Rotterdam, Victor Hugo und Winston Churchill – drei große Namen, drei große Persönlichkeiten, drei große Berühmtheiten in Philosophie, Literatur und Politik. Doch sie alle haben eines gemeinsam: Jeder hat seinerzeit an ein geeintes und friedliches Europa appelliert. Dass es ausgerechnet ein Brite war, der die europäische Annäherung selbst miterlebte und sogar maßgeblich vorantrieb, entbehrt aus heutiger Sicht nicht einer gewissen Ironie. 

Seit den Appellen der genannten drei Geistesgrößen hat sich vieles zum Besseren gewandelt. Nicht nur politisch, auch wirtschaftlich und gesellschaftlich ist Europa inzwischen deutlich näher zusammengerückt. Einen bedeutenden Anteil daran haben auch Vereine wie die Europa-Union. Ihre Bemühungen verdienen höchsten Respekt und volle Unterstützung. Denn mit Ihnen setzen sich Bürgerinnen und Bürger für ein vereintes, föderal organisiertes, demokratisches und friedliches Europa ein.[1] 

Wie wichtig Europa ist, betonte vor Kurzem auch unser Bundespräsident. Bei einer Rede anlässlich des „Fête de l'Europe“ in Dresden zitierte Frank Walter Steinmeier den ehemaligen Bundesaußenminister Genscher: Europa ist unsere Zukunft, eine andere haben wir nicht.[2] Das teile ich voll und ganz. Als Mitglied des europäischen Parlaments habe ich über viele Jahre intensiv an der europäischen Idee mitgewirkt. Und dieses Thema lässt mich auch in meiner heutigen Funktion nicht los.

Für die europäische Integration spielt auch der Euro eine wichtige Rolle. Eine gemeinsame Währung senkt die Kosten für den Handel. Der Euro ist darüber hinaus aber noch mehr: ein Symbol für das Zusammenrücken in Europa, das im Alltag für jeden sichtbar und im Portemonnaie konkret spürbar ist. Und auch auf Reisen in benachbarten Ländern möchte wohl niemand auf den Komfort einer einheitlichen Währung verzichten. Wechselstuben und Wechselkursgebühren gehören zumindest in den 20 Ländern des Euroraums der Vergangenheit an.

Verstärkt durch eine sich digitalisierende Wirtschaft und Gesellschaft werden die Grenzen noch weniger spürbar. Allerdings muss man feststellen, dass Euro-Banknoten und Euro-Münzen eine immer geringere Rolle im Zahlungsverkehr spielen. Elektronische, bargeldlose Zahlungen gewinnen an Bedeutung. Es ist in meinen Augen deshalb nur folgerichtig, dass Zentralbanken in einer Welt im digitalen Wandel über digitales Geld nachdenken – für unseren Alltag und als Ergänzung zu Bargeld. Auch das Eurosystem arbeitet mit Nachdruck an diesem Thema – so wie inzwischen 93 Prozent der Zentralbanken.[3] 

Wir stehen beim digitalen Euro demnächst vor richtungsweisenden Entscheidungen. Doch bevor ich über die nächsten Schritte spreche, möchte ich zunächst über die bisherigen Etappen auf dem Weg zu einem digitalen Euro berichten. Seit Beginn des Projekts vor zwei Jahren haben wir uns im Rahmen der Untersuchungsphase eingehend mit der möglichen Ausgestaltung eines digitalen Euro befasst. Ganz konkret ging es darum, einige grundlegende Fragen zu beantworten. Zum Beispiel: 

  • Wie kann das Eurosystem den Zahlungsverkehr in Europa zukunftssicher machen?
  • Wer könnte den digitalen Euro wie nutzen?
  • Wie würde ein digitaler Euro aussehen?

Wie Sie sich alle vorstellen können, war die Auseinandersetzung mit diesen Fragen im Eurosystem sehr intensiv. Inzwischen haben wir schon einiges erreicht: Motive geschärft, konzeptionelle Überlegungen konkretisiert, intensiv experimentiert. Dabei haben wir eine bessere Vorstellung über die technische Machbarkeit bekommen. Aber natürlich sind bei weitem noch nicht alle Fragen beantwortet. Es geht schließlich um eine völlig neue Form von Geld – die will wohlüberlegt sein. Vertrauenswürdige, effiziente und sichere Zahlungssysteme sind enorm wichtig, damit die Wirtschaft gut funktionieren kann. Dazu trägt auch das erfolgreiche Zusammenspiel von Zentralbankgeld und Geschäftsbankengeld bei. 

2 Ein digitaler Euro …

Die Existenz von Zentralbankgeld und die Möglichkeit, jederzeit Geschäftsbankengeld auf dem Bankkonto gegen den gleichen Betrag in bar tauschen zu können, „verankert“ das Vertrauen der Menschen in die Stabilität des Geldsystems. Ein Euro ist ein Euro – unabhängig davon, ob er auf dem Konto liegt oder als Münze in der Hand. Wenn Sie heute Euro-Bargeld in den Händen halten, stehen dahinter als Herausgeber des Geldes die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken des Euroraums – darunter die Bundesbank. Aber Zentralbankgeld für jedermann gibt es heute nur als physisches Bargeld. Damit kann man im Onlinehandel, auf digitalen Plattformen oder an vielen Fahrkartenautomaten nicht bezahlen. Ein digitaler Euro würde all dies ermöglichen. Wie heute im stationären Handel, würden wir damit eine zusätzliche Wahlmöglichkeit für die digitale Welt anbieten. 

3 … als nächste Evolutionsstufe des Geldes …

Wir beobachten seit einiger Zeit einen Trend zum digitalen Bezahlen. Mittlerweile werden 60 Prozent aller Umsätze an der Ladenkasse mit Karte beglichen. Zum anderen verlagert sich das Konsumverhalten der Menschen zunehmend in Richtung des Onlinehandels. Die Zahlungsverhaltensstudie der Bundesbank zeigt, dass inzwischen jeder vierte Euro im Internet ausgegeben wird.[4] Bargeld steht dort nicht als Bezahloption zur Verfügung. 

Dadurch tut sich eine Lücke auf. Eine Lücke zwischen dem zunehmend digitalen Alltag der Bürgerinnen und Bürger und dem bislang nur analog verfügbaren Zentralbankgeld. Der digitale Euro würde eine Brücke ins digitale Zeitalter schlagen. Unser Ziel ist es, die Vorteile des Zentralbankgeldes mit den Ansprüchen zu kombinieren, die Menschen heute an Geld haben. 

4 … macht das Leben einfacher …

Der digitale Euro wäre eine zusätzliche Option, kein Ersatz für heutige Zahlverfahren. Die Menschen werden weiterhin selbst entscheiden, wie und womit sie gerne bezahlen möchten. Dafür steht die Bundesbank, denn sie stellt sicher, dass jeder auch in Zukunft mit dem Zahlungsmittel seiner Wahl bezahlen kann. Wir wollen nicht steuern, verdrängen oder lenken. Und ich kann Ihnen versichern: Wir werden auch unser Euro-Bargeld weiter anbieten. Eine große Stärke des Bargelds liegt darin, dass Sie es überall im gesamten Euroraum einsetzen können. Dies gilt zumindest für Zahlungen an der Ladenkasse sowie bei Zahlungen zwischen physisch anwesenden Personen.

Ein digitaler Euro wäre zusätzlich auch im Onlinehandel und im Übrigen auch für den Zahlungsverkehr mit öffentlichen Stellen nutzbar. Zwar gibt es heute schon digitale Bezahllösungen für viele Einsatzbereiche. Aber diese sind häufig nicht universell einsetzbar – vielleicht im Onlinehandel, aber nicht in stationären Geschäften. Oder es werden nicht alle privaten Bezahlverfahren überall von jedem Händler unterstützt. Und hier kommt die Idee des „digitalen Bargeldes“ ins Spiel: jederzeit, überall und in allen Bezahlsituationen mit einem Verfahren – dem digitalen Euro – zahlen können. 

5 … und Europa widerstandsfähiger.

Die Einführung eines digitalen Euro hätte auch aus politisch-strategischer Sicht klare Vorteile. Alltägliche Zahlungen im oder in das europäische Ausland sind heute meist nur mithilfe von internationalen Kartensystemen oder globalen Internetplattformen möglich. Das gilt sogar innerhalb des Euroraumes. Europa ist im Zahlungsverkehr viel stärker von internationalen Anbietern abhängig als andere Regionen auf der Welt. Es gibt keine digitale, europaweite Lösung, die auf europäischer Infrastruktur aufbaut. Und das schafft Abhängigkeiten. Abhängigkeiten in einem Bereich, der für mich ganz eindeutig zur kritischen Infrastruktur zählt. Der Trend hin zur weiteren Digitalisierung und digitalem Bezahlen verstärkt diese Abhängigkeiten noch weiter.

Hier brauchen wir mehr Europa. Zumindest als zusätzliche Option. Das kann in meinen Augen aber nur gelingen, wenn wir über Grenzen hinweg an einem Strang ziehen. Mit dem digitalen Euro würde das Eurosystem ein neues Zahlungsnetz knüpfen, über das alle Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen im Euroraum erreicht werden können. Dabei würden Banken und andere Zahlungsdienstleister – wie bisher – dafür sorgen, dass auf Basis gemeinsamer, EU-weiter Regeln einfache, bequeme und sichere Bezahlangebote entstehen, die auch den Schutz persönlicher Daten nach europäischen Datenschutzgesetzen sicherstellen.

6 Die Rolle der Intermediäre

Von Anfang an bestand Einigkeit, dass Banken und andere Zahlungsdienstleister weiterhin den direkten Kontakt zu den Kunden haben. Wir setzen ganz bewusst auf ihre Erfahrung und Innovationskraft an der Kundenschnittstelle. Das Eurosystem möchte keine Geschäftsbank für 350 Millionen Menschen in Europa werden. 

Intermediäre könnten den digitalen Euro der Kundenseite mittels eigener Wallet-Lösungen zur Verfügung stellen, also nahtlos in ihr eigenes Angebot im Online oder Mobile Banking integrieren. Oder sie könnten eine eigenständige App, die vom Eurosystem entwickelt wird, nutzen und diese mit dem Bankkonto verknüpfen. Sie merken schon, dass die Nutzung mit dem Smartphone zunächst im Vordergrund steht. Andere Zugangswege wie physische Karten könnten später folgen. Schließlich müssen auch weniger digital-affine Menschen den digitalen Euro nutzen können. 

Klar ist, dass der digitale Euro eine Zahlungslösung für den Alltag wäre. Er soll – anders als zum Beispiel das Bargeld – nicht zum Zweck der Wertaufbewahrung oder zur Geldanlage genutzt werden. Unter anderem sind Haltegrenzen für digitale Euro-Guthaben im Gespräch. Diese wären Schutzmechanismen, um unkontrollierte Abflüsse von Sichteinlagen bei Geschäftsbanken zu verhindern. Wie ein solches Limit genau ausgestaltet wäre und in welcher Höhe, steht noch nicht fest. Für Banken und andere Zahlungsdienstleister wäre der digitale Euro eine echte Chance. Intermediäre könnten auf seiner Basis innovative und wertschöpfende Dienstleistungen entwickeln, die von Tag eins an eine europäische Reichweite hätten. Damit würden sie im Wettbewerb mit den großen internationalen Anbietern und Plattformen gestärkt. 

Eine Umfrage[5] des Center for Financial Studies unter Fach- und Führungskräften in der Finanzindustrie zeigt deshalb, dass die meisten Befragten die Einführung eines digitalen Euro begrüßen würden. So hält fast die Hälfte der Befragten eine Einführung für wünschenswert und weitere 14 Prozent sogar für zwingend notwendig. Im Rahmen der Studie sieht ein Viertel der Befragten zudem die Gefahr einer wirtschaftlichen Schwächung des Euroraums, wenn der digitale Euro nicht kommen sollte.

Doch nicht nur bei Bezahlvorgängen von Privatpersonen, sondern auch in der Industrie sollte ein digitaler Euro Innovationen fördern können. Denn in der Industrie 4.0 und im Internet-of-Things wird perspektivisch digitales Geld benötigt, das in vollständig automatisierte Prozesse eingebunden werden könnte und universell einsetzbar wäre. Der digitale Euro könnte auch hier einen Mehrwert schaffen, da er breite Akzeptanz garantieren und gleichzeitig wertstabil und sicher sein würde. Was die technologische Ausgestaltung des digitalen Euro betrifft, ist noch vieles im Fluss. Ich bin aber überzeugt, dass ein zukunftsfähig ausgestalteter digitaler Euro echten Nutzen stiften würde. Dafür braucht es ein Konzept, das flexibel auf zukünftige Anforderungen reagiert und auch neue Geschäftsfelder ermöglicht.

7 Rechtlicher Rahmen

Ein weiterer wichtiger Baustein für einen digitalen Euro wird der Rechtsrahmen sein. Die Europäische Kommission hat Ende Juni ihre Legislativvorschläge zum digitalen Euro sowie zum Zugang zu Euro-Bargeld vorgelegt. Damit wird deutlich, dass auch die Europäische Kommission das Euro-Bargeld und den digitalen Euro als zwei Seiten einer Münze sieht. Den Vorwürfen, mit dem digitalen Euro würde man das Bargeld zurückdrängen wollen, ist damit aus meiner Sicht der Wind aus den Segeln genommen. 

Mit den Vorschlägen würde einerseits die Rolle des Bargelds gestärkt. Akzeptanz und Zugang zu Bargeld würden gesetzlich garantiert. Kurz gesagt: Jeder, der mit Bargeld zahlen möchte, soll dies auch zukünftig tun können. Andererseits würde mit dem gesetzlichen Rahmen eine solide Grundlage für einen digitalen Euro im europäischen Zahlungsverkehr geschaffen. Der Gesetzesentwurf sieht vor, den digitalen Euro mit dem Status als gesetzliches Zahlungsmittel zu versehen. Damit könnte die Rolle des Euro als öffentliches Geld gestärkt werden. Gleichzeitig würde mit dem gesetzlichen Rahmen sichergestellt, dass die Rolle der Banken und anderer Zahlungsdienstleister im Finanzsystem bestehen bleibt. Sie würden auch bei Zahlungen mit dem digitalen Euro angemessene Einnahmen generieren können. Für Privatpersonen wäre seine Grundnutzung kostenfrei. Und durch die Unterstützung für sogenannte bedingte Zahlungen – also Zahlungen, die bei Erfüllung bestimmter Bedingungen weitgehend automatisiert ausgeführt werden – würde auch Innovationspotenzial in der Zukunft erschlossen.

Auch die Möglichkeit von Offline-Zahlungen soll gesetzlich festgeschrieben werden. Das würde aus meiner Sicht einen echten Mehrwert schaffen. So könnte man auch ohne Internetverbindung an den entlegensten Stellen digital bezahlen – sei es beim Bergsteigen in den französischen Alpen, an der portugiesischen Atlantikküste oder an Bord eines Flugzeugs. Und all das unter der Wahrung eines höchstmöglichen Maßes an Privatsphäre für die Nutzerinnen und Nutzer. 

8 Fazit

Meine Damen und Herren, 

die seit Oktober 2021 laufende Untersuchungsphase steht unmittelbar vor dem Abschluss. Der EZB-Rat wird zeitnah entscheiden, ob das Projekt in einer Vorbereitungsphase auf dem Weg zur tatsächlichen Einführung fortgesetzt wird. Ich möchte betonen: Der EZB-Rat wird nicht darüber entscheiden, ob es einen digitalen Euro geben wird, sondern nur über eine mögliche Fortführung des laufenden Projektes. Als Nächstes würden dann die Arbeiten an Konzept, Technik und Regelwerk fortgeführt und sicherlich auch weiter konkretisiert. Das Ziel wäre, die mögliche Einführung eines digitalen Euro vorzubereiten. Denn für eine tatsächliche Einführung braucht es zunächst einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens und einen rechtlichen Rahmen, der diesen widerspiegelt. Dabei wird es in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren noch stärker auf eine gute Zusammenarbeit mit der Politik ankommen. Ich halte es – vorbehaltlich der dann noch zu treffenden Entscheidung über die wirkliche Ausgabe eines digitalen Euro – für realistisch, dass es weitere vier bis fünf Jahre dauert, bis wir einen digitalen Euro in der Hand oder besser gesagt auf dem Smartphone haben werden.

Zum Abschluss möchte ich gerne noch einmal auf Winston Churchill zurückkommen. Er sagte einst: Erfolg ist nicht endgültig, Misserfolg ist nicht fatal: Was zählt, ist der Mut, weiterzumachen. Dem kann ich mich nur anschließen! Lassen Sie uns gemeinsam mit Mut und Zuversicht die Zukunft Europas mitgestalten. Mit dem digitalen Euro würde ein greifbares Symbol der europäischen Einigung – unser Geld – in der immer digitaler werdenden Welt ankommen und damit die Verankerung des europäischen Gedankens bei den Bürgerinnen und Bürger weiter stärken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 

Fußnoten:

  1. https://www.europa-union.de/ueber-uns/ueber-uns
  2. https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2023/07/230704-Dresden-Europafest.html
  3. Kosse, A., I. Mattei (2023), Making headway – Results of the 2022 BIS survey on central bank digital currencies and crypto, BIS Papers No 136, July 2023.
  4.  Zahlungsverhalten in Deutschland 2021 | Deutsche Bundesbank
  5. Center for Financial Studies (2023), CFS-Umfrage zur Notwendigkeit eines „digitalen Euro“, 24.8.2023