Der digitale Euro – Leitmotiv eines digitalen Europas? Rede beim „Executive Breakfast“ zum digitalen Euro des BürgerInnen Forum Europa

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrter Vizepräsident,[1]
lieber Othmar, 
meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich danke Ihnen für Ihre Einladung und die freundliche Begrüßung. Es ist mir eine große Freude, heute bei Ihnen im wunderschönen Wien zu sein. Eine Stadt, in der Geschichte und Kunst auf einzigartige Weise verschmelzen. Und eine Stadt, die seit jeher inspirierte: Philosophen, Malerinnen wie auch Musiker. Haydn, Mozart und Beethoven zählen zu den berühmtesten Komponisten aller Zeiten. Sie alle erlebten ihre Hauptschaffenszeit hier in Wien – einem der kulturellen Zentren der Klassik.

Sicher fragen Sie sich jetzt, was die Wiener Klassik mit dem digitalen Euro zu tun hat? Um dieses Thema soll es schließlich in meinem heutigen Vortrag gehen.

2 Wiener Klassik und digitaler Euro

Eine Herausforderung, für die man sich im digitalen Zeitalter doch mal prominente Unterstützung holen kann. ChatGPT machte dazu folgenden Vorschlag:

"Digitaler Euro und Wiener Klassik mögen auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Aber man könnte sagen, dass beides Meisterwerke einer bestimmten Zeit sind. Und während Mozart und Beethoven ihre Kompositionen mit Federkiel und Papier geschrieben haben, schreiben wir heute eine neue Symphonie für das 21. Jahrhundert, mit Nullen und Einsen."

Sehr poetisch, keine Frage! Aber leider nicht ganz das, woran ich dachte. Ich hatte eher folgendes im Sinn:

Die Wiener Klassik war eine musikalische Epoche, die für Innovation und Modernisierung stand. Neue Ideen wie das Streichquartett stammten aus dieser Zeit. Wie die Wiener Klassik zu ihrer Zeit die Musik, könnte der digitale Euro in naher Zukunft unser Geld modernisieren. Er wäre ein bedeutsamer Schritt in der Weiterentwicklung unseres Geldes. Mit dem digitalen Euro könnte das Eurosystem die vielfältigen Potenziale der Digitalisierung zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger nutzen.

Sowohl die Werke der Wiener Klassik als auch der digitale Euro zeichnen sich dadurch aus, dass sie allen Menschen zugänglichsein sollen. So ließ Mozart beispielsweise seine Opern auch in deutscher Sprache singen. Zugang für alle ist auch ein wichtiges Motiv beim digitalen Euro: Mit ihm sollen alle Bürgerinnen und Bürgern im Euroraum jederzeit und überall bezahlen können.

Ihre Ursprünge hatte die klassische Musik genau hier, im Herzen Europas. Sie war ein Abbild der Gesellschaft Europas der damaligen Zeit. Auch der digitale Euro verkörpert den europäischen Gedanken. Er ist ein europäisches Vorhaben, das auf unseren gemeinsamen Standards, Regeln und europäischer Infrastruktur aufbauen würde. Das stärkt die Unabhängigkeit Europas im Zahlungsverkehr nachhaltig. Einem Feld, das in meinen Augen zur kritischen Infrastruktur zählt und in dem Europa stärker als andere Regionen dieser Welt von internationalen Anbietern abhängig ist. 

Das wären meine Ideen, aber keine Sorge: mein heutiger Vortrag wird sich nicht ausschließlich um die Wiener Klassik drehen. Es soll um ganz grundsätzliche Fragen gehen: Ein digitaler Euro, was wäre das eigentlich, warum bräuchten wir ihn und wann könnten wir mit ihm rechnen? 

3 Digitale Welt, digitales Geld

Unser aller Leben wird immer digitaler. Anders als noch vor 25 Jahren werden Hotelzimmer heute in der Regel digital gebucht, Fahrkarten und Flugtickets papierlos gekauft und viele Käufe des alltäglichen Lebens nicht mehr im stationären Handel, sondern im E-Commerce getätigt. Es braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass diese Entwicklung weiter voranschreiten wird. Damit verändert sich auch, wie die Menschen bezahlen.

Digitales Bezahlen wird immer beliebter. Sei es mit dem Smartphone, der Smartwatch oder mit der Karte. Inzwischen werden fast zwei Drittel der Umsätze im stationären Handel in Deutschland bargeldlos bezahlt.[2] In Deutschland, wie auch in Österreich – beide bekannt als bargeldaffine Länder – ist die Nutzung von Bargeld rückläufig. Die Ergebnisse der jüngsten Studie zum Zahlungsverhalten im Euroraum zeigen, dass der Anteil an Bartransaktionen im stationären Handel in Österreich zuletzt um 9 Prozentpunkte und in Deutschland sogar um 13 Prozentpunkte gefallen ist.[3] Hinzu kommt die zunehmende Beliebtheit des Online-Handels, in dem Bargeld kaum einsetzbar ist. 

Das lässt folgenden Schluss zu: Zu einer digitalen Welt gehört digitales Bezahlen. Hiervon sollten sich nicht nur Internetgiganten angesprochen fühlen, sondern eben auch die Zentralbanken. Facebook im Jahr 2019, Paypal mit seinem US-Dollar-Stablecoin im Sommer dieses Jahres oder erst kürzlich die möglichen Pläne des Twitter-Nachfolgers X[4] – wir sehen seit einigen Jahren immer wieder Anläufe von Tech-Konzernen, ihre Daten- und Marktmacht zunehmend auch für den Zahlungsverkehr zu nutzen. Und der Wettbewerbsdruck durch internationale Player wird – da bin ich mir ganz sicher – nicht abnehmen. 

Vor diesem Hintergrund müssen Zentralbanken darüber nachdenken, wie ihr Beitrag zu digitalem Geld und einem sicheren, effizienten und innovativen Zahlungsverkehr aussehen könnte. Das ist aus meiner Sicht auch durchaus im Interesse der Finanzwirtschaft, denn die Rolle der Banken beim digitalen Zahlungsverkehr hat in den letzten Jahren eher abgenommen.

Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Wäre es nicht geradezu merkwürdig, wenn die Zentralbanken nicht mit der Zeit gehen würden? Die Welt wird digitaler, also werden wir es auch.

Mit dem digitalen Euro bekämen die Menschen die Möglichkeit, auch elektronisch mit Zentralbankgeld zu bezahlen – also Geld ohne Ausfallrisiko. Und zwar im gesamten Euroraum und in nahezu allen Bezahlsituationen des Alltags – sei es an der Ladenkasse, unter Freunden und Verwandten oder bei Käufen im Internet. 

Zwar gibt es heute schon digitale Bezahllösungen für viele Einsatzbereiche. Aber diese sind häufig nicht universell einsetzbar – zum Beispiel nur im Onlinehandel, aber nicht in Geschäften vor Ort. Oder es werden nicht alle privaten Bezahlverfahren von jedem Händler unterstützt. Die Idee ist, eine Art „digitales Bargeld“ zu schaffen: Die Menschen sollen jederzeit, überall und in allen Bezahlsituationen mit einem Verfahren – dem digitalen Euro – zahlen können. 

Ein wichtiger Punkt, der bei unseren Arbeiten im Vordergrund steht, ist die Privatsphäre. Der Schutz der persönlichen Daten ist für die Bürgerinnen und Bürger enorm wichtig. Unsere Nutzerbefragungen haben das deutlich gezeigt. Klar ist: Die Zentralbanken würden die Identität der Nutzerinnen und Nutzer bei Zahlungen mit dem digitalen Euro nicht kennen. Und die Banken und andere Zahlungsdienstleister würden auf personen- und transaktionsbezogene Daten nur in notwendigem Umfang zugreifen können. Hier geht es vor allem darum, die Anforderungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung einzuhalten und die einschlägigen europäischen Rechtsvorschriften zu erfüllen.

Wichtig wird auch sein, Potenziale für die Zukunft zu erschließen. Unser Anspruch muss sein, mit den neuesten technischen Möglichkeiten zu experimentieren und uns diese – sofern geeignet – bestmöglich zu Nutze zu machen. Der digitale Euro sollte „state of the art“ sein. Das würde auch beim Schutz der Privatsphäre neue Standards setzen.

Was die genaue technologische Ausgestaltung des digitalen Euro betrifft, ist zwar noch vieles im Fluss. Ich bin aber überzeugt, dass ein zukunftsfähig ausgestalteter digitaler Euro echten Nutzen stiften würde. Dafür braucht es ein Konzept, das flexibel auf zukünftige Anforderungen reagiert und neue Geschäftsfelder ermöglicht. Denkbar wäre zum Beispiel, den digitalen Euro als Token zu konzipieren. Damit wäre er unter anderem besser für bedingte Zahlungen in programmierbaren Umgebungen nutzbar. Ich denke dabei besonders an Anwendungen im Internet der Dinge. Das ist für viele Neuland – auch für uns. Umso wichtiger ist auch hier das Credo: Sorgfalt vor Schnelligkeit

Einig waren wir uns im Eurosystem von Anfang an, dass die Banken, Sparkassen und Zahlungsdienstleiter auch beim digitalen Euro eine wichtige Rolle spielen würden. Der digitale Euro würde deshalb auch nicht durch das Eurosystem, sondern mittelbar durch private Intermediäre in Verkehr gebracht. Meine Vorstellung wäre, dass die Kreditinstitute und Zahlungsdienstleister auf dem digitalen Euro aufsetzend weitere Innovationen entwickeln könnten. Ebenfalls herrscht Einigkeit darüber, dass ein digitaler Euro in erster Linie zum Bezahlen gedacht wäre, nicht zur Wertaufbewahrung. Dazu wird es klare Regeln geben. Haltegrenzen für digitale Euro-Guthaben sind im Gespräch. Wie ein solches Limit genau ausgestaltet wäre und in welcher Höhe, steht noch nicht fest. Ganz unabhängig davon sollte es in jedem Fall weitere Analysen zu den möglichen Auswirkungen eines digitalen Euro auf das Finanzsystem geben. Ich sehe es als wichtige Aufgabe, hier für zusätzliche Transparenz zu sorgen.

4 Status quo und weitere Schritte

Wo stehen wir heute? Die Untersuchungsphase des Eurosystems ist erfolgreich abgeschlossen. Über zwei Jahre haben wir an Grundkonzepten gearbeitet, auf die wir aufsetzen können. Der EZB-Rat hat entschieden, mit den Vorarbeiten für die mögliche Einführung eines digitalen Euro zu beginnen. Ein wichtiger Schritt, den ich sehr begrüße.

Seit dem ersten November befinden wir uns nun in dieser Phase, in der das Regelwerk zur Nutzung des digitalen Euro fertiggestellt werden soll. Außerdem wird in dieser Phase getestet und erprobt, wie sich ein digitaler Euro entwickeln lässt, der sowohl den Anforderungen des Eurosystems und des Gesetzgebers als auch den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer gerecht wird: beispielsweise in Bezug auf Nutzungserlebnis oder Datenschutz. Zudem müssen wir uns überlegen, wer als Anbieter für die Plattform und Infrastruktur des digitalen Euro in Frage käme.

Ich möchte betonen, dass wir in dieser Phase weiterhin den engen Austausch mit der Kreditwirtschaft, der Öffentlichkeit und allen anderen beteiligten Interessengruppen suchen. Denn ein solches Großprojekt betrifft uns alle. In zwei Jahren wird der EZB-Rat entscheiden, ob er zur nächsten Phase der Vorbereitungen übergeht und damit den Weg für die mögliche Ausgabe ebnet.

Die tatsächliche Einführung würde dann in Etappen erfolgen. Ein stufenweises Vorgehen hat klare Vorteile: Es sorgt für mehr Flexibilität und minimiert Risiken. Im ersten Schritt, womöglich in vier bis fünf Jahren, könnte eine erste Version, die P2P- sowie Online-Zahlungen unterstützt, eingeführt werden. Im zweiten Schritt könnte die Funktionalität dann um Zahlungen an der Ladenkasse erweitert werden. Das würde Händlern mehr Zeit für mögliche Anpassungen ihrer Systeme geben und eine reibungslose Implementierung sicherstellen.

Aber das ist­ noch Zukunftsmusik. Der Übergang in die Vorbereitungsphase ist noch keine Entscheidung darüber, ob es einen digitalen Euro tatsächlich geben wird. Dafür muss zunächst ein stabiler Rechtsrahmen geschaffen werden. Ohne den geht es nicht. Erst wenn dieser vollendet ist, könnte das Eurosystem die Schritte zur tatsächlichen Umsetzung und Einführung einleiten.

5 Verordnungsvorschlag der Kommission

Die Europäische Kommission hat Ende Juni einen Verordnungsvorschlag dazu veröffentlicht, der in den kommenden Wochen und Monaten mit dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament verhandelt wird. Die gespannten Blicke richten sich in nächster Zeit also auch nach Brüssel und Straßburg. 

Dieser Verordnungsentwurf sieht vor, den digitalen Euro mit dem Status als gesetzliches Zahlungsmittel zu versehen. Damit könnte die Rolle des Euro als öffentliches Geld gestärkt werden. Gleichzeitig würde mit dem gesetzlichen Rahmen sichergestellt, dass die Rolle der Banken und anderer Zahlungsdienstleister im Finanzsystem bestehen bleibt. Sie würden auch bei Zahlungen mit dem digitalen Euro angemessene Einnahmen generieren können. Für Privatpersonen wäre seine Grundnutzung kostenfrei. Und durch die Unterstützung für sogenannte bedingte Zahlungen – also Zahlungen, die bei Erfüllung bestimmter Bedingungen weitgehend automatisiert ausgeführt werden – würde Innovationspotenzial in der Zukunft erschlossen.

Auch die Möglichkeit von Offline-Zahlungen soll gesetzlich festgeschrieben werden. Diese könnten aus meiner Sicht zwei wichtige Vorteile bieten: Erstens könnte man auch ohne Netzverbindung digital bezahlen – sei es beim Bergsteigen in den Alpen oder an Bord eines Flugzeugs. Zweitens könnten solche Zahlungen besonders datensparsam ablaufen. Um ein hohes Datenschutzniveau zu bieten, sollen bis zu einer bestimmten Höhe Offlinezahlungen möglich sein, die ohne Beteiligung der Intermediäre ablaufen würden. Das würde neue Maßstäbe für den Datenschutz beim digitalen Bezahlen setzen. 

Zeitgleich zum Vorschlag zum digitalen Euro hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht, der gesetzlich garantieren soll, dass der Zugang zu Bargeld und die Möglichkeit für Barzahlungen sichergestellt bleiben. Das begrüße ich sehr, denn es unterstreicht einen wichtigen Aspekt: Euro-Bargeld und digitaler Euro gehen Hand in Hand. Unser Euro-Bargeld würde durch den digitalen Euro ergänzt, er würde es nicht ersetzen. Das ist dem gesamten Eurosystem, der Bundesbank, den geschätzten Kolleginnen und Kollegen der OeNB und auch mir persönlich ein besonderes Anliegen.[5]

6 Fazit

Meine Damen und Herren, 

Eine erfolgreiche digitale Transformation beginnt mit dem Menschen. Was genauso gut auch die Worte eines großen Vordenkers oder Visionärs unserer Zeit sein könnten, ist eines der Leitmotive des BürgerInnen Forums Europa[6]. Es könnte nicht besser zum digitalen Euro passen. 

Schließlich geht es darum, die Potenziale der Digitalisierung zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in Europa zu nutzen. Dieses Motiv wird uns auf dem Weg zu einem möglichen digitalen Euro begleiten, so wie sich musikalische Motive durch die zeitlosen Meisterwerke der Wiener Klassik ziehen. 

Lassen Sie uns gemeinsam die digitale Zukunft Europas zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger mitgestalten. Ich denke, dass wir mit dem digitalen Euro auf einem guten Weg sind. 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fußnoten:

  1. Geschäftsführer des BürgerInnen Forum Europa.
  2. Vgl. Bundesbank (2022): Zahlungsverhalten in Deutschland 2021 (bundesbank.de).
  3. Vgl. SPACE (2022); Study on the payment attitudes of consumers in the euro area (SPACE) – 2022 (europa.eu). .
  4.  Elon Musk Wants Users' 'Entire Financial Life' on X by the End of 2024 (businessinsider.com)
  5. Position der OeNB zum Bargeld und digitalen Euro - Oesterreichische Nationalbank (OeNB)
  6. Vgl. BGFE-Programm, S. 21.