Das Projekt „Digitaler Euro“ Rede bei der Veranstaltung „Der digitale Euro – wo stehen wir heute? Chancen und Risiken für Verbraucher, Wirtschaft, Staat“

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre freundliche Begrüßung. In Hannover zu sprechen ist für mich immer ein Heimspiel. Heute soll es um die Zukunft des Geldes gehen. Was das Thema „Geld“ angeht, bin ich überzeugt: Zu einer digitaler werdenden Welt gehört auch digitales Geld.

Was meine ich damit? Die Digitalisierung zeigt sich an allen Ecken und Enden: Von A wie digitale Akte bis Z wie Zahlungsverkehr verbreiten sich digitale Dienste. Täglich spüren wir die Auswirkungen der Digitalisierung. Sei es die Tageszeitung, die wir bequem auf dem Tablet von unterwegs lesen, unsere Lieblingslieder, die wir per App streamen oder der Einkauf, den wir mit dem Smartphone bezahlen können.

Ein Trend zum bargeldlosen Bezahlen zeigt sich auch in der regelmäßig durchgeführten Zahlungsverhaltensstudie der Bundesbank[1]. Bislang ist Bargeld dort nach wie vor das am häufigsten eingesetzte Zahlungsmittel. Der Trend ist allerdings rückläufig. Im Jahr 2021 ist der Anteil der Bezahlvorgänge mit Bargeld auf 58 Prozent gesunken. Dazu dürfte neben der Corona-Pandemie auch die weiter gestiegene Beliebtheit des Onlinehandels beigetragen haben. In unserer Erhebung im Jahr 2021 wurde bereits jeder vierte Euro im Internet ausgegeben. Für Zahlungen in der digitalen Welt bedarf es digitaler Zahlungsmittel und die Nachfrage danach steigt – nicht nur im Onlinehandel. Falls wir zukünftig verstärkt in virtuelle Welten wie das Metaverse abtauchen sollten, so bezahlen wir dort sicher nicht mit physischem Bargeld. Die Entwicklung zum bargeldlosen Bezahlen wird also – aller Voraussicht nach – anhalten, wenn auch vielleicht mit einem etwas schwächeren Tempo. Die Erhebung von Daten für die nächste Zahlungsverhaltensstudie startet übrigens in Kürze.

Angesichts dieser Trends ist es naheliegend, auch unser Geld, unseren Euro, weiterzuentwickeln. Denn wäre es in Zeiten der Digitalisierung nicht geradezu merkwürdig, wenn Zentralbanken Privatpersonen das von ihnen ausgegebene Geld ausschließlich als Bargeld, nicht aber digital anbieten würden?

Es ist richtig und wichtig, sich jetzt mit dem Thema auseinanderzusetzen. Denn wie bereits John F. Kennedy feststellte: Der Wandel ist das Gesetz des Lebens; wer nur auf die Vergangenheit blickt, verpasst mit Sicherheit die Zukunft. Wie sich die Zukunft genau entwickelt, wissen wir zwar nicht. Wir wissen aber, dass sich Entwicklungen in der digitalen Welt schnell – sehr schnell – vollziehen.

Ich werde häufig gefragt, ob der digitale Euro „echtes“ Geld wäre und welchen Wert er hätte. Ich kann Ihnen versichern: Der digitale Euro wäre jederzeit ein „echter“ Euro, das heißt zehn digitale Euro hätten exakt den gleichen Wert wie eine 10-Euro-Banknote. Denn ein digitaler Euro wäre eine weitere Form von Zentralbankgeld, welches bisher für die breite Öffentlichkeit nur in Form von Bargeld zugänglich ist.

Gleichzeitig ist es mir wichtig zu betonen: Unser Euro-Bargeld würde durch einen digitalen Euro ergänzt, aber nicht ersetzt werden. Im Vorstand der Bundesbank bin ich sowohl für den Bereich Bargeld als auch für den bargeldlosen Zahlungsverkehr zuständig. Ich kann deshalb aus voller Überzeugung sagen: Wir müssen uns nicht für das eine oder das andere entscheiden, es geht ausgezeichnet beides zusammen. Bargeld und ein digitaler Euro befriedigen durchaus unterschiedliche Bedürfnisse und würden sich in vielerlei Hinsicht hervorragend ergänzen. Alle, die bar zahlen wollen, können und sollen dies auch weiterhin tun.

Neben der Digitalisierung könnten auch politische Erwägungen einen digitalen Euro notwendig machen. Es geht dabei um Unabhängigkeit und Souveränität. Denn Zahlungen im europäischen Ausland oder online über Ländergrenzen hinweg sind meist nur mithilfe von internationalen Kartensystemen oder Internetplattformen möglich. Es gibt zwar auch sehr erfolgreiche nationale Produkte, wie zum Beispiel die girocard, die app-basierte Bezahllösung „bizum“ in Spanien oder „iDEAL“, den Marktführer in den Niederlanden beim Bezahlen im Internet. Es fehlt aber eine europaweite digitale Lösung, die auf europäischer Infrastruktur aufbaut. Das schafft Abhängigkeiten und zwar in einem Bereich, der für mich ganz eindeutig zur kritischen Infrastruktur zählt.

Hier brauchen wir mehr Europa. Mit einem digitalen Euro würden wir eine Bezahllösung mit öffentlichem Geld für den gesamten Euroraum schaffen – mit Regeln und Infrastruktur made in Europe. Aufbauend auf dieser Plattform könnten Marktakteure innovative Dienste für die Nutzerinnen und Nutzer entwickeln. Es gibt also gute Gründe für einen digitalen Euro und es lohnt sich, jetzt darüber nachzudenken.

2 Das (technische) Projekt des Eurosystems

Wo stehen wir zurzeit in unseren Bestrebungen? Im Oktober 2021 hatte der EZB-Rat eine zweijährige Untersuchungsphase zum digitalen Euro gestartet. Zunächst definierten wir ein Zielbild: Der digitale Euro soll ein Zahlungsmittel für die breite Bevölkerung sein. Gleichzeitig soll er – anders als das Bargeld – nicht der umfassenden Wertaufbewahrung dienen. Und er soll im gesamten Euroraum grundsätzlich kostenfrei und universell einsetzbar sein. Seit 2002 können wir im Euroraum mit einem einzigen Zahlungsmittel bezahlen, unserem Euro-Bargeld. Dies ist im digitalen Raum nicht möglich. Hier würde der digitale Euro einen besonderen Mehrwert bieten. Denn mit ihm könnten Nutzerinnen und Nutzer an der Ladenkasse, an Freunde und Bekannte aber ebenso im Online-Handel mit einem Zahlungsmittel im gesamten Euroraum zahlen.

Darüber hinaus steht bereits fest, dass die Endnutzer den digitalen Euro auf dem Smartphone halten könnten. Andere Zugangswege wie zum Beispiel Karten könnten später hinzukommen. Gerade für weniger digitalaffine Menschen wäre dies eine wertvolle Option.

In jedem Fall müssen wir den digitalen Euro von den Nutzern – also den Bürgerinnen und Bürgern – her denken und uns an ihren Bedürfnissen und Anforderungen orientieren. Natürlich ist die Handhabung eines digitalen Euro anders als die von Bargeld. Aber wir möchten auch die Nutzung des digitalen Euro möglichst einfach und unkompliziert machen.

Zudem haben wir uns bereits darauf geeinigt, dass es Schutzmechanismen geben muss, um etwaige Risiken für die Geldpolitik und die Finanzstabilität unter Kontrolle zu halten. Eine Möglichkeit wären Haltelimits. Wie hoch genau sie sein werden, muss noch entschieden werden.

So viel zum Projekt des Eurosystems. Bevor wir aber einen digitalen Euro entwickeln, muss ein solides Fundament gelegt werden. 

3 Der Rechtsrahmen

Zu diesem Fundament gehört auch ein passendes rechtliches Rahmenwerk. Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz des Themas geht es nicht ohne die Zustimmung der Politik. 

Ende Juni hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht, dessen zentrale Bestandteile ich mit Ihnen diskutieren möchte. Lassen Sie mich vorab festhalten: Wir kennen nun die Vorstellungen der Europäischen Kommission zum Rechtsrahmen für den digitalen Euro. Hinzukommen werden aber noch die Vorstellungen der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments. Mit ihnen wird der Vorschlag der Kommission nun abgestimmt. Inhaltliche Anpassungen sind also durchaus wahrscheinlich.

Ein Eckpfeiler des Vorschlags der Kommission ist, dass ein digitaler Euro als gesetzliches Zahlungsmittel gelten würde. Damit könnte die Rolle öffentlichen Geldes nachhaltig gestärkt werden. Als gesetzliches Zahlungsmittel müsste der digitale Euro grundsätzlich für alle Zahlungen akzeptiert werden. Abweichende Vereinbarungen zur Akzeptanz sollen zwar möglich sein, müssten aber immer individuell vereinbart werden. Darüber hinaus sind im aktuellen Legislativvorschlag Ausnahmen vorgesehen, zum Beispiel für Kleinstunternehmen, die keine vergleichbaren digitalen Zahlungsmittel akzeptieren.

Bei steigender Nachfrage nach digitalen Bezahlangeboten müssen wir sicherstellen, dass stets auch digital gezahlt werden kann. Der digitale Euro soll daher auch „offline“ verfügbar sein. Das würde digitale Zahlungen auch dann ermöglichen, wenn Internet- oder Mobilfunkverbindung gestört sind. Dies würde einen wichtigen Beitrag zur Widerstandsfähigkeit des Zahlungsverkehrs leisten. Im Entwurf der Kommission ist eine solche Offline-Variante von Beginn an vorgesehen.

Ein weiteres Thema ist die Privatsphäre. Der Vorschlag der Kommission stellt unter anderem klar, dass das Eurosystem die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer nicht direkt identifizieren können soll. Stattdessen wären nach derzeitigem Entwurf die Intermediäre für die Identifikation zuständig. Vollständige Anonymität kann es nicht geben, da die Vorschriften zur Geldwäschebekämpfung und zur Verhinderung von Terrorismusfinanzierung natürlich einzuhalten sind. Trotzdem ist uns als Eurosystem die größtmögliche Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger ein besonderes Anliegen. So ist im Rahmen des Legislativvorschlags durchaus vorstellbar, dass geringe Beträge mit einem nochmals höheren Grad an Privatsphäre abgewickelt werden können.

Darüber hinaus soll die bewährte Aufgabenteilung zwischen Zentralbanken und Privatwirtschaft beibehalten werden. Zwar würde der digitale Euro von den Zentralbanken konzipiert und herausgegeben. Die Verteilung an die Endkunden soll, ähnlich wie beim Bargeld, aber durch die Banken und Sparkassen erfolgen. Das ist auch gut so, denn das Eurosystem will keine Geschäftsbank werden. Wir bauen stattdessen auf die große Expertise der Kreditwirtschaft an der Schnittstelle zum Kunden. Im Einklang hiermit sieht der Legislativvorschlag der Kommission vor, dass Endnutzer über die Finanzwirtschaft Zugang zum digitalen Euro erhalten. Gleichzeitig wären Intermediäre verpflichtet, einen digitalen Euro mit seinen Kerndienstleistungen anzubieten.

Natürlich würde der rechtliche Rahmen für den digitalen Euro nicht für sich stehen, sondern sich in den bestehenden Gesetzeskontext im Zahlungsverkehr einfügen. Auch dieser wird weiterentwickelt. So ist es kein Zufall, dass zeitgleich mit den Vorschlägen zum digitalen Euro auch ein Legislativvorschlag zur Sicherstellung des Zugangs zu und der Akzeptanz von Bargeld präsentiert wurde. Die Rolle des Bargelds als bisher einziges gesetzliches Zahlungsmittel im Euroraum würde damit gestärkt. Beide Vorschläge zusammen firmieren passenderweise unter dem Namen „Single Currency Package“. Damit wird die ideelle Einheit von Bargeld und digitalem Euro, welche sich sinnvoll ergänzen, auch in den Vorschlägen der Kommission deutlich. Man könnte hier also von Regelungen für den Zahlungsverkehr „aus einem Guss“ sprechen. 

Mit dem gesetzlichen Rahmen würde auch die rechtliche Grundlage für Innovationen rund um den digitalen Euro geschaffen. Mehr Innovation im Zahlungsverkehr war auch eines der Ziele der zweiten Zahlungsdiensterichtlinie, der PSD2, die unter anderem im Bereich Open Banking neue Maßstäbe gesetzt hat. Um auch dieses Rahmenwerk zukunftsfest zu machen, hat die Europäische Kommission ebenfalls Ende Juni einen Vorschlag für eine Überarbeitung der PSD2 – Stichwort PSD3 und PSR – veröffentlicht. Mit den neuen Vorschlägen sollen vor allem der Verbraucherschutz und die Betrugsbekämpfung verbessert sowie Open Banking stärker gefördert werden. Konkret geht es beispielsweise um Anpassungen bei den Regelungen zum Zugang zu Zahlungskonten und zur Zwei-Faktor-Authentifizierung.

Gemeinsames Ziel sollte es sein, mit dem aktuellen Legislativvorschlag einen Rechtsrahmen für den Zahlungsverkehr in Europa zu schaffen, der auch zukünftig sichere und effiziente Zahlungen für alle Menschen in Europa ermöglicht und dabei Raum für Innovationen lässt.

4 Ausblick und Fazit

Wie geht es nun im Projekt „Digitaler Euro“ weiter? Es gilt, die im Rahmen der zweijährigen Untersuchungsphase erarbeiteten Ausgestaltungsoptionen zu bewerten und ein mögliches Gesamtdesign für einen digitalen Euro zu entwerfen. Darauf aufbauend kann der EZB-Rat im Herbst entscheiden, ob das Projekt mit einer sogenannten Vorbereitungsphase fortgesetzt werden soll. Bei dieser Entscheidung geht es nicht darum, ob ein digitaler Euro tatsächlich eingeführt wird. Denn diese Entscheidung wird das Eurosystem nicht ohne den Gesetzgeber fällen, der den zuvor skizzierten Rahmen setzen muss. 

Der enge Dialog mit der Politik wird in den nächsten Monaten aus meiner Sicht noch wichtiger. Insbesondere der Austausch mit den Mitgliedstaaten wird intensiver. Ich rechne aufgrund der Wichtigkeit und Komplexität des Verordnungsvorhabens mit einem Abschluss nicht vor Ende 2024. Hinzu kommt, dass das EU-Parlament im nächsten Jahr neu gewählt wird, was Verzögerungen nicht unwahrscheinlich macht.

Unabhängig vom Legislativvorschlag sind auch beim digitalen Euro noch viele Abwägungen vorzunehmen. Stand heute wäre mit einem digitalen Euro für jedermann wohl erst in vier bis fünf Jahren zu rechnen.

Wir müssen dafür sorgen, dass der bereits heute gut funktionierende und sehr leistungsfähige Zahlungsverkehr in Europa noch besser, sicherer und effizienter wird. Der digitale Euro würde dazu beitragen.

Darüber hinaus ist eines unserer Kernanliegen, dass der digitale Euro für alle zugänglich ist und niemanden ausschließt. Wir wollen für eine breite Akzeptanz und Nutzung sorgen. Auch Veranstaltungen wie diese hier tragen dazu bei, indem wir über den digitalen Euro diskutieren, mögliche Bedenken, aber auch Hinweise auf Chancen aufnehmen und im weiteren Projektverlauf berücksichtigen.

Denn wir stehen vor komplexen technischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen, die es gemeinsam zu beantworten gilt. Doch wir alle könnten profitieren: Ein digitaler Euro könnte schließlich nicht nur den Zahlungsverkehr stärken, sondern auch unser tägliches Leben vereinfachen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Fußnoten:

  1. Bundesbank, Zahlungsverhalten in Deutschland 2021, Juli 2022; www.bundesbank.de/zahlungsverhalten.