Joachim Nagel ©Nils Thies

Bankenrefinanzierung aus Sicht einer Zentralbank Vortrag beim 20. wissenschaftlichen Kolloquium des Instituts für bankhistorische Forschung "Die Refinanzierung der Banken. Marktbedingungen und Krisenfestigkeit im historischen und internationalen Vergleich"

Es gilt das gesprochene Wort.

0 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Gelegenheit, heute über das Thema "Bankenrefinanzierung aus Sicht einer Zentralbank" referieren zu dürfen. Wir werden dieses Thema später noch in der Podiumsdiskussion miteinander diskutieren, und das verspricht spannend zu werden. Refinanzierung war lange eher ein Thema für Lehrbücher der Bankbetriebslehre: Im Großen und Ganzen schien es zu funktionieren, dramatische Veränderungen waren über Jahrzehnte zunächst wenig zu verzeichnen. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Ich möchte in meinem heutigen Vortrag mit Ihnen eine Tour d'Horizon durch das Thema unternehmen, erst in Deutschland, dann im Euro-Raum, und schließlich in einem globalen Ausblick.

In Bezug auf Deutschland werde ich aufzeigen, wie sich die Bankenrefinanzierung strukturell verändert hat – seit den 1990er Jahren infolge der Deregulierungen, und dann in Gegenrichtung infolge der Finanzkrise. In Bezug auf den Euro-Raum werde ich erörtern, wie sich die Refinanzierungsmuster in der Währungsunion entwickelt haben. Das beginnt im sogenannten "Honeymoon" der Währungsunion, als in deren ersten Jahren die Zinsen der Teilnehmerländer stark konvergierten. Mit Beginn der Finanzkrise kippte diese Entwicklung ins dramatische Gegenteil. In Bezug auf die globale Entwicklung kann ich die Frage, wohin der Weg für das Bankwesen und den Kapitalmarkt künftig führen wird, nur anreißen. Aber diese Frage hat das Potenzial, die künftige Geldpolitik vor fundamentale Herausforderungen zu stellen.

1. Bankenrefinanzierung und geldpolitische Transmission

Um meiner Argumentation einen Rahmen zu geben, möchte ich uns zunächst das Grundschema der Bankenrefinanzierung ins Gedächtnis rufen – und die Bedeutung der Bankenrefinanzierung für die traditionelle Geldpolitik, wie wir sie bis zur Finanzkrise jahrzehntelang verfolgt haben.

Wir sehen Banken grundsätzlich als "Schuldenumwandler": Sie reichen Kredite kurz-, lang- und mittelfristig aus und erzeugen dabei im großen Stil Geld in Form von Guthaben auf Bankkonten. Die ausgereichten Kredite müssen gegenfinanziert werden. Das geschieht durch Eigenkapital, vor allem aber durch Depositen, Mittelaufnahme bei anderen Banken und die Ausgabe von Anleihen. Während Banken langfristiges Geld durch ihr Kreditgeschäft selbst erzeugen, brauchen sie für kurzfristige Verpflichtungen Zentralbankgeld. Zentralbankguthaben benötigen sie für den unbaren Zahlungsverkehr, zur Mindestreserve-Erfüllung und für ihren Bargeld-Bedarf. Durch diese kurzfristigen Zahlungspflichten entsteht im Wesentlichen das strukturelle Liquiditätsdefizit. Nur hierbei sind die Banken auf die Primärliquidität in Zentralbankgeld angewiesen. Das notwendige Zentralbankgeld teilt das Eurosystem im Rahmen seiner geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte durch Tender zu.

Seit Ausbruch der Finanzkrise hat sich diese Beziehung durch die geldpolitischen Hilfsmaßnahmen gewandelt: Infolge der umfangreichen Ankäufe des Eurosystems dürfte das Bankensystem noch über einige Jahre in der Position eines strukturellen Liquiditätsüberschusses gegenüber dem Eurosystem verbleiben. Derzeit beträgt dieser Überschuss etwa 500 Mrd. Euro.

Der strukturelle Liquiditätsbedarf war und ist also der Ansatzpunkt der Geldpolitik. Deshalb interessiert uns in der Zentralbank das Thema Bankenrefinanzierung in besonderer Weise, und im Interesse unseres besonderen Auftrages. Der verpflichtet uns, für einen möglichst stabilen Geldwert zu sorgen. Das ist im Interesse der Realwirtschaft und aller Bürger. Stabiles Geld unterstützt langfristig wirtschaftliche Stabilität, Wachstum und Beschäftigung. Das Bankensystem und seine Aufgaben sind für Zentralbanken daher kein Selbstzweck, sie sind Teil der geldpolitischen Transmission. Das große Problem dabei ist die Frage, wie sich der kurzfristige geldpolitische Impuls der Zentralbank auf die langfristige Kreditvergabe der Banken auswirkt, und damit das Wirtschaftswachstum positiv beeinflussen kann. Jahrzehntelang hat das anscheinend ganz gut funktioniert. Doch in den letzten beiden Jahrzehnten hat es Entwicklungen gegeben, wodurch an den bestehenden Mechanismus grundsätzliche Fragen aufgeworfen werden.

2. Finanzkrise und Bankenrefinanzierung in Deutschland

Zur Entwicklung der Bankenrefinanzierung in Deutschland haben meine Kolleginnen und Kollegen im Monatsbericht der Bundesbank vom April dieses Jahres einen wichtigen Beitrag veröffentlicht. Gerade hier beim Institut für bankhistorische Forschung wird sich mancher unter uns erinnern: In den 1980er Jahren schien namhaften Banken das klassische Bankgeschäft nicht mehr ausreichend. Man erwartete dauerhaft zu geringe Margen und sah die Zukunft vor allem im Eigenhandel. In den 1990er Jahren begann auch in Deutschland eine schrittweise Deregulierung der Finanzmärkte. Die Deregulierung erlaubte es den Banken, das Spektrum ihrer Geschäfte zu verschieben. Weite Teile des Kreditgewerbes blieben beim klassischen Bankgeschäft. Insbesondere große Banken stiegen jedoch ins Investmentbanking und in umfangreiche Kapitalmarktoperationen ein. Dieses Phänomen ließ sich weltweit beobachten.

Die 1990er und 2000er Jahre waren dann für einige Banken eine Phase außerordentlichen Wachstums. Dieses Wachstum beruhte neben der Deregulierung auch auf einer zunehmenden internationalen und europäischen Verflechtung der Finanzmärkte. Auf diesen zweiten Aspekt werde ich gleich ausführlicher eingehen. So wie einige Banken ihre Geschäfte in den Kapitalmarkt hinein expandierten, so refinanzierten sie sich auch in zunehmendem Maße an diesem Markt. Deutsche Banken emittierten seit Mitte der 1990er Jahre in massiv wachsender Menge Schuldverschreibungen, später dann auch Verbriefungen. Mit dem Wachstum dieser marktbasierten Refinanzierungsformen wuchs bei den Bankschuldverschreibungen zunächst der Anteil der unbesicherten, und noch stärker bei den Verbriefungen der Anteil der nachrangig besicherten. In der Folge sank bei einigen großen Banken in Deutschland deutlich die relative Bedeutung der klassischen Refinanzierung durch Depositen und Eigenkapital. Stattdessen wuchs die Abhängigkeit vom Geld- und Kapitalmarkt. Die Zentralbankrefinanzierung machte bei den meisten Banken nur einen relativ geringen Anteil des Refinanzierungsmix aus. Ihren Liquiditätsbedarf konnten sie problemlos am Interbankengeldmarkt stillen.

Im Sommer 2007 griff die Subprime-Krise auf den Geldmarkt über. Für die deutschen Banken wurde es spürbar teurer, sich über den Interbanken- und Kapitalmarkt zu refinanzieren. Die Lehman-Insolvenz im Herbst 2008 verstärkte diese Entwicklung. Mit steigender Risikowahrnehmung lösten besicherte bisher unbesicherte Interbankengeschäfte ab. Der Interbanken-Geldmarkt trocknete in der Folge de facto aus. Das Eurosystem intervenierte 2008, indem es – neben Leitzinssenkungen und weiteren Maßnahmen – zum Mengentender mit Vollzuteilung überging. Als sich die Finanzkrise zu einer europäischen Staatsschuldenkrise wandelte, stellte das Eurosystem zum Jahreswechsel 2011/2012 über zwei Dreijahrestender rund eine Billion Euro bereit – eine rekordhohe und rekordlange Zentralbankliquidität, die die im Bankensystem ohnehin vorhandene Überschussliquidität noch weiter erhöhte.

Europas Banken können sich seither kaum günstiger refinanzieren. In Deutschland sinkt die Emission von Schuldverschreibungen im Trend bereits seit dem Jahrtausendwechsel – und das auch nach 2008, als der Verbriefungsmarkt als alternative Marktrefinanzierung praktisch weggefallen ist. Im Bankensektor hält die Bilanzschrumpfung an. Bankschuldverschreibungen und Pfandbriefe nehmen bei der Refinanzierung eine immer geringere Rolle eine. Neben der Refinanzierung durch die Zentralbank wächst nun wieder die Bedeutung privater Depositen. Sind wir deshalb auf dem Weg zurück in eine Welt wie in den 1960er Jahren? Einige Gründe lassen mich daran zweifeln:

Erstens lässt sich die Geschichte nicht zurückdrehen. Die kapitalmarktfinanzierte Finanzhausse bis zur Krise beruhte auf Innovationen, die sich heute nicht mehr einfach aus den Märkten verbannen lassen, und die oft ja auch sehr nützlich sind. Zweitens war die Deregulierung seit den 1980er Jahren auch Folge allgemeinen Klagens aus Teilen des Kreditgewerbes, das damals schon im klassischen Zinsmargengeschäft keine Zukunft mehr sah. Wo sollte diese Zukunft heute herkommen? Drittens gibt es berechtigte Diskussionen, wie die Zukunft des Bankensektors überhaupt aussehen kann, angesichts der strukturellen und technischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Und viertens wären wir trotz wachsender Depositenrefinanzierung froh, wenn das Bankensystem in Europa seine volkswirtschaftliche Funktion wieder stärker erfüllen würde, auch ohne immer weiter ausgreifende Refinanzierung durch die Zentralbank.

Die Geldpolitik ist sich der Bedeutung bewusst, die das Bankensystem für die Realwirtschaft hat. Zahlreiche Stützungsmaßnahmen des Eurosystems sollen die Kreditvergabe im Euro-Raum fördern. Die Ankaufprogramme für Covered Bonds und ABS zielen dabei auf die spezifischen Märkte für Bankanleihen. Allerdings sind auch die begebenden Banken schon aus Eigeninteresse in der Pflicht, für ein Funktionieren dieser Geschäftsfelder zu sorgen. Sie sind sowohl Käufer wie Verkäufer von Bankanleihen, deshalb sie sind von deren Werthaltigkeit abhängig.

3. Liquiditätspolitik und Fragmentierung in der Europäischen Währungsunion 

Nach dem Blick auf die Entwicklung in Deutschland möchte ich nun die Entwicklung in der Währungsunion beleuchten. Auch hier sind drei Phasen signifikant: Zunächst vor der Währungsunion mit erheblichen Zinsdifferenzen, dann im "Euro-Honeymoon" mit massiv konvergierenden Zinsen, und ab Ausbreitung der Finanzkrise eine dramatische Zinsdivergenz und Fragmentierung der Märkte.

Die Zinskonvergenz von 1999 bis 2007 lässt sich so lesen, dass die Märkte die Währungsunion in ihren Anfangsjahren als Kapitalmarktunion interpretierten. Geld- und Kapitalmärkte verflochten sich. Die konvergenten Zinsen bedeuteten, dass man Länderrisiken unterschätzte oder ausblendete. Die Weltfinanzkrise begann 2007/2008 zunächst in den USA. Als sie das Europa der Währungsunion erreichte, deutete man sie zunächst als gesamteuropäisches Phänomen. Dann korrigierten die Märkte ihre Einschätzung, die Probleme wuchsen sich zu einer Staatsschuldenkrise aus. Ab etwa 2010 preisten die Marktteilnehmer in Europa Kontrahenten- und Länderrisiken wieder ein, aber dies in einer ebenso abrupten wie teils überzogenen Gegenreaktion. Nun strebten die Zinsen gefährlich auseinander. Dabei bildeten sich Fraktionen, und zwar innerhalb des Bankensystems, aber auch geografisch zwischen den Ländern: zwischen den Staaten des Südens und denen des Nordens der Währungsgemeinschaft.

Die Märkte haben sich fragmentiert. Entlang der Staatsgrenzen haben sich Clubs gebildet. Dem Club der In-Banken fließen Depositen zu. Sie liegen vor allem in den nördlichen Ländern. Aber auch die Schweiz oder Dänemark sind über den Einlagenzufluss nur begrenzt glücklich. Andernorts werden Einlagen abgezogen. Sie liegen häufig in südlichen Euro-Staaten. Auf die Probleme der Finanzkrise hat das Eurosystem mit seiner historischen expansiven Geldpolitik reagiert. Die Überschussliquidität ist eine Nebenwirkung dieser Krisen-Geldpolitik. Damit geht das anhaltende Niedrigzinsumfeld einher. In dieser Umwelt fällt es vielen Banken nicht leicht, Erträge zu erwirtschaften und sich zu konsolidieren. Für die Geldpolitik ist dennoch eine andere Perspektive geboten: Sie zielt am Ende auf die realwirtschaftliche Entwicklung. Wir müssen die Gesamtwirtschaft im Auge haben.

Und hier, im Euro-Raum, kann es sein, dass wir in einer historischen Sondersituation sind. Dazu müssen wir kurz einen ganz großen historischen Bogen schlagen: Bei den zahlreichen deflatorischen Finanzkrisen des 19. Jahrhunderts fand man in deutschsprachigen Zeitungen die Floskel: "Der Credit ist aus dem Markt." Damals verwendete man "Credit" noch im klassischen Wortsinn, und zwar für "allgemeines Vertrauen". Die letzte große historische Deflationskrise war die Weltwirtschaftskrise ab 1929. Die ökonomische Analyse der damaligen Krisenursachen ist für alle modernen geldpolitischen Strömungen grundlegend. Vor allem US-amerikanische Forscher und Geldpolitiker haben als wesentliche Ursache für die Schwere der damaligen Krise eine unkoordinierte fehlorientierte Geld- und Währungspolitik durch die Zentralbanken und insbesondere durch das Federal Reserve System ausgemacht.

In 2008 wollte man es besser machen, als zunächst in den USA und im Vereinigten Königreich, später dann im Euro-Raum "der Credit aus dem Markt" ging. Wichtige Zentralbanken weltweit fluteten ab 2008 mit Quantitative Easing-Maßnahmen die Märkte mit Liquidität. Das Eurosystem war zögerlicher, intervenierte in der Folge aber mit Ankäufen von Staatsanleihen und gedeckten Bankschuldverschreibungen. Namentlich amerikanische Ökonomen forderten seit Jahren immer schnellere und massivere Liquiditätsinterventionen.

Der Euro-Raum aber ist politisch-ökonomisch etwas historisch Neues. Es handelt sich um einen Binnenmarkt souveräner Staaten mit einer gemeinsamen Währung. Im "Euro-Honeymoon" bis 2008 interpretierten die Märkte dieses Gebilde kontrafaktisch wie einen Bundesstaat. Als ihnen 2010 klar wurde, dass die Euro-Staaten tatsächlich noch immer souverän sind, wurde der Euro-Raum fraktioniert. Genau genommen ging "der Credit" dabei nicht allgemein aus dem Markt, sondern er differenzierte sich aus, entlang der Nationalgrenzen. Das ist meines Wissens historisch neu. Das Anti-Krisenrezept Liquiditätsschwemme aber ist für einheitliche Wirtschafts- und Bankensysteme ersonnen, etwa für die USA.

Es wird nun spannend sein zu sehen, wie die Liquiditätspolitik des Eurosystems im fragmentierten Euro-Bankensystem wirken wird. Der Club von Europas In-Banken ist bekanntlich auf die Zusatzliquidität des Eurosystems nicht angewiesen. Andere Banken können ohne Zentralbankrefinanzierung zur Zeit offenbar nicht gut über die Runden kommen. Grundsätzlich kann die Langfristfinanzierung des Eurosystems diesen Banken helfen, ihre Bilanzen und Geschäftsmodelle zu restrukturieren. Sie könnten zukünftig in den In-Club zurückkehren, so dass sich die Fragmentierung auflösen würde. Es ist aber darauf zu achten, dass nicht das Gegenteil geschieht, dass nämlich unsere One-fits-all-Zentralbankrefinanzierung die Fragmentierung, also die Renationalisierung und Clubbildung, eher noch verfestigt statt löst.

Bisher scheint man hier nicht hinreichend vorangekommen zu sein. Für den gemeinsamen Markt und erst recht für eine Währungsunion ist aber ein integrierter Geld- und Kapitalmarkt essentiell. Eine Banken- wie eine Kapitalmarktunion ist dafür hilfreich. Aber vor allem muss "der Credit" als allgemeines Vertrauen wiederkehren, nicht nur als Partial- oder Gruppenvertrauen. Es muss am Ende auch gelingen, die Fragmentierung und Renationalisierung zu überwinden. Dazu sind folgende Dinge zu erreichen:

  • die akute kriseninduzierte Divergenz muss gestoppt werden, etwa bei den Zinsaufschlägen für einzelne Staatsanleihen gegenüber Bundesanleihen.

  • Der Geld- und Interbankenmarkt muss sich wiederbeleben, und

  • die Target2-Salden müssen wieder sinken.

Institutionell hat sich inzwischen einiges getan. Bankenunion und Kapitalmarktunion sind wichtige Bausteine für eine vertiefte Integration des Bankensystems. Die einheitliche Bankenaufsicht und der Bankenabwicklungsmechanismus sind bereits in den meisten Euro-Staaten realisiert. Sie schaffen einen wichtigen Rahmen für einen soliden Finanzsektor. Das Comprehensive Assessment der EZB von 2014 konnte zudem zu einer höheren Transparenz beitragen. Auch neue bankenregulatorische Vorschriften werden sich darauf auswirken, nach welchen Strategien sich Kreditinstitute künftig refinanzieren. Die vom Basel III-Akkord vorgeschriebenen Liquiditätskennziffern, darunter die Mindestliquiditätsquote LCR und die strukturelle Liquiditätsquote NSFR, zielen letztlich auf eine Renaissance des Banken-Kerngeschäfts: Sie werten die Bedeutung von Privatkundeneinlagen auf, und eine nachhaltige Fristenstruktur kommt wieder in Mode. Ergänzend wird auch die Qualität und Quantität des Eigenkapitals gestärkt.

Aber auch hier meine ich: Das "New Normal" wird nicht das alte sein. Denn unser Wirtschaftssystem hat sich auch während der Krise dramatisch weiterentwickelt, globalisiert und vernetzt. Was könnte das für das Bankwesen der Zukunft bedeuten? Und welche Rolle werden Zentralbanken darin einnehmen? Letztlich bleibt der Geldpolitik noch, einen Appell an die Finanzwelt zu richten: Banken im Euro-Raum müssen krisenfest aufgestellt sein, um nicht Belastungs- sondern Wachstumsfaktoren der Volkswirtschaft zu sein. Das Eurosystem ist mit seinen Krisenmaßnahmen bis in den Grenzbereich seines Mandats gegangen. Allen Marktakteuren muss klar sein, dass es keine dauerhafte Abhängigkeit von der Zentralbankfinanzierung geben darf. Mit seinen langfristigen Refinanzierungsangeboten hat das Eurosystem selbst einen Teil des grenzüberschreitenden Geschäfts gefördert. Das darf und wird nur temporär sein. Sollte in der Krise die Risikosensibilität gestärkt worden sein, was Liquidität und Kontrahentenausfall angeht, und sollten Kapitalmarktinstrumente künftig risikoadäquater bepreist werden, wäre die Rückkehr zur geldpolitischen Normalität erleichtert.

4. Langfristige Trends und Herausforderungen

Aus der Geschichte lässt sich wenigstens die eine Gewissheit unbestreitbar lernen: Historischer Wandel hört niemals auf. Das Standard-Arrangement in den modernen Finanzsystemen ist heute typischerweise zweistufig aufgebaut: aus einem privaten Bankensystem, das Giralgeld erzeugt, und einer staatlichen Zentralbank, die Währungsgeld bereitstellt. Die Geschäftsbanken müssen sich zu einem gewissen Teil bei der Zentralbank refinanzieren. Dieses Arrangement ist, je nach Land, kaum 200 Jahre alt. Es hat lange gute Zeiten erlebt, aber auch, wie jüngst, massive Krisen durchgemacht; und es ist niemals unumstritten gewesen. Wie sich das zweistufige Finanzsystem künftig entwickeln wird, wird sowohl von marktimmanenten Trends als auch von der politischen Willensbildung beeinflusst.

Dabei ist die Refinanzierung Dreh- und Angelpunkt der Konzepte. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Banken verschiebt sich. Unternehmen finanzieren sich immer weniger bankbasiert. Stattdessen haben sich neue Formen der Finanzierung herausgebildet. Hierzu zählen verschiedene Modelle der Direktfinanzierung. Alternative Handelsplattformen etablieren sich, und Unternehmen begeben direkt am Kapitalmarkt Anleihen. Diese Refinanzierungsform war nie günstiger als heute.

Auch die Regulatorik gestaltet weiter mit, wie die Finanzwelt umgebaut wird. Das führt zu der Frage: Welche Aufgaben sollen Banken künftig erfüllen? Welchen Anteil an der volkswirtschaftlichen Liquiditätsversorgung werden sie haben? Wir können beobachten, wie einzelne Banken ihre Geschäftsfelder umstrukturieren. Für das Bankwesen insgesamt können wir festhalten, dass die Bankbilanzen schrumpfen. Auf dem Geldmarkt werden sich kaum die Verhältnisse der Vorkrisenzeit wiederherstellen. Großvolumige unbesicherte Transaktionen scheinen einstweilen nicht mehr denkbar. Aktuell schätzen Marktteilnehmer, dass über 90% aller Transaktionen besichert ablaufen.  Schließlich stellt sich die Frage, wann wir als Zentralbanker wieder von geldpolitischer Normalität sprechen können.

5. Schluss

Sehr geehrte Damen und Herren, 

mir ist sehr bewusst, dass ich in meinem Vortrag nur ausgewählte Aspekte an der Oberfläche anreißen konnte. Ich habe mehr Fragen als Antworten, und ich bin sehr gespannt, wie sich die Dinge in der näheren und ferneren Zukunft ordnen werden. Genauso gespannt bin ich deshalb auch auf die Debatte mit Ihnen, jetzt gleich, und später in der Podiumsdiskussion.