Alter Wein in neuen Schläuchen? Die Ziele makroprudenzieller Regulierung Rede beim Banken- und Unternehmensabend in der Hauptverwaltung Bayern

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Müller,

ich habe die Einladung nach München sehr gerne angenommen. In München habe ich zwei ausgesprochen produktive Forschungsaufenthalte am CES-ifo verbracht, mit vielen Kollegen an der Universität und den Forschungsinstituten bin ich in engem Kontakt. Und nicht zuletzt habe ich die Verleihung der Hans-Möller-Medaille, zu deren Anlass ich bereits im Jahr 2012 bei der Hauptverwaltung in München zu Gast sein durfte, noch in sehr guter Erinnerung.

Mit München verbinde ich aber nicht nur gute Forschungsbedingungen, sondern natürlich auch die besondere Atmosphäre der Stadt – die ich auch jenseits von Biergärten, Braukultur und Oktoberfest immer sehr genieße. Daher erlauben Sie mir, dass ich heute nicht über Bier spreche, sondern die Frage stelle, was die Ziele makroprudenzieller Regulierung sind – und ob wir nicht nur alten Wein in neue Schläuche füllen.

Mit meinem Vortrag stelle ich auf ein relativ neues Politikfeld ab, in dem die Bundesbank eine wichtige Rolle spielt – die makroprudenzielle Regulierung. Viele werden mit diesem Begriff auf den ersten Blick nicht viel anfangen können. Worum geht es also? Makroprudenzielle Regulierung hat das Ziel, das Finanzsystem stabiler zu machen. Finanzkrisen haben hohe Kosten für die Wirtschaft. Das Wachstum sinkt, die Staatsverschuldung steigt, und viele dieser negativen Effekte sind sehr dauerhaft. Das Finanzsystem stabiler zu machen und dafür zu sorgen, dass Finanzkrisen die Realwirtschaft nicht zu sehr in Mitleidenschaft ziehen, ist also eine wichtige politische Aufgabe.

Die meisten wirtschaftspolitischen Themen, über die wir heute diskutieren, hat es in der ein oder anderen Form schon einmal gegeben. Das Politikfeld "Finanzstabilität" aber ist neu – zumindest gibt es ein explizites Mandat für diese Politik erst seit der Finanzkrise. Aber sind die Maßnahmen, die wir ergreifen können, wirklich so neu? Oder wird nicht bereits Bestehendes nur neu verpackt – füllen wir also alten Wein in neue Schläuche?

Diese Gefahr besteht tatsächlich, wenn wir nicht sehr klar definieren, welche Ziele mit makroprudenziellen Maßnahmen erreicht werden sollen, welche konkreten Instrumente wir einsetzen wollen und wie wir die Effektivität dieser Instrumente überprüfen wollen. Denn wie wir das Ziel "Finanzstabilität" am besten erreichen, ist nicht von vorneherein klar. Und genau darüber möchte ich heute sprechen. Was sind die konkreten Ziele makroprudenzieller Maßnahmen? Und: Wie grenzt sich diese Politik von anderen Maßnahmen ab – vor allem von der traditionellen Bankenaufsicht, aber auch anderen Eingriffen in die Finanzmärkte wie Kapitalverkehrskontrollen?

Es gibt in der Tat bewährte Maßnahmen, mit denen sich die Stabilität eines Finanzsystems erhöhen lässt. Wie beim Wein gibt es gute Jahrgänge, die die Zeiten überdauern. Aber es gibt auch Maßnahmen, die zwar in der Vergangenheit dazu beigetragen haben mögen, das Finanzsystem stabiler zu machen. Gleichzeitig haben diese Maßnahmen die Funktionsweise der Finanzmärkte zu weit eingeschränkt. Diese schlechten Weine sollten wir lieber nicht mehr einschenken.

Aber lassen Sie mich zu meiner ersten Frage kommen:

1 Was bedeutet makroprudenzielle Regulierung?

Am einfachsten lässt sich makroprudenzielle Regulierung erklären, indem man sie von der traditionellen Bankenaufsicht – der mikroprudenziellen Aufsicht –  abgrenzt. Die Bankenaufsicht kontrolliert die Einhaltung der gesetzlichen Spielregeln für Banken. Diese Spielregeln zielen auf die Stabilität jeder einzelnen Bank. Beispielsweise muss eine Bank ihre Kreditrisiken entsprechend bestimmter Vorgaben mit Eigenkapital absichern, um ihren Verpflichtungen gegenüber Fremdkapitalgebern auch im Falle eines Kreditausfalls nachkommen zu können. Durchgeführt wird die Aufsicht von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Bundesbank. Aber schon sehr bald, Anfang November, geht die Verantwortung auf die Europäische Zentralbank (EZB) über. Im Rahmen der Bankenunion werden dann Teams unter Leitung der EZB alle großen Banken der Eurozone direkt beaufsichtigen.

Spätestens seit der Finanzkrise ist klar, dass die Stabilität der einzelnen Bank kein Garant für die Stabilität des gesamten Finanzsystems ist. Störungen auf Märkten oder bei Banken, die für relativ unbedeutend gehalten wurden, haben weite Teile des Finanzsystems in Schieflage gebracht.

Warum konnte das passieren? Verantwortlich für solche systemischen Krisen sind Ansteckungseffekte. Diese Ansteckungseffekte können ganz direkt entstehen, weil es vertragliche Verpflichtungen zwischen Banken in Schieflage und Banken, die eigentlich solide sind, gibt. Über diese direkten Kanäle können Risiken übertragen werden und Probleme für das System insgesamt entstehen.

Es gibt aber auch indirekte Ansteckungskanäle die, wie wir aus empirischen Untersuchungen wissen, oft noch bedeutender sind. Wenn Banken ähnliche Geschäftsmodelle haben oder wenn sie sich demselben gesamtwirtschaftlichen Risiko aussetzen, dann kann das gesamte System in Schieflage geraten. Eine Änderung der Rahmenbedingungen kann beispielsweise dazu führen, dass viele Banken gleichzeitig ihre Bilanz anpassen müssen. Es kann ein Teufelskreis entstehen aus einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen, dem Versuch, Forderungen abzustoßen, daraus entstehenden Verlusten, und einem zu geringen Eigenkapital, um diese Verluste aufzufangen.

Um einen solchen Teufelskreis zu verhindern, weitet der makroprudenzielle Ansatz den Fokus entsprechend aus: Ziel ist nicht die Stabilität einzelner Banken, sondern die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes. Finanzstabilität soll gewährleisten, dass das Finanzsystem auch in Krisenzeiten seine volkswirtschaftlichen Funktionen erfüllt. Sparer sollten geeignete Anlagemöglichkeiten finden, und es sollten nur die Projekte finanziert werden, bei denen Ertrag und Risiko in einem angemessenen Verhältnis stehen. Außerdem muss der Zahlungsverkehr jederzeit reibungslos funktionieren, eine Funktion die gerade in Krisenzeiten nicht automatisch gewährleistet ist.

Auch wenn es um die Stabilität des gesamten Finanzsystems geht, spielen Anforderungen an das Eigenkapital von Banken eine wichtige Rolle. Denn besser kapitalisierte Banken können Verluste besser auffangen. Es wird weniger wahrscheinlich, dass Krisen das gesamte System in Schieflage bringen. Dies ist ein Grund dafür, warum mehr Eigenkapital eine so zentrale Rolle für die Regulierung der Banken spielt.

Aber neben Anforderungen an das Eigenkapital sind weitere Eingriffsmöglichkeiten denkbar. Finanzkrisen entstehen aus einer zu starken Verschuldung. Direkte Beschränkungen der Kreditvergabe von Banken oder konkrete Vorgaben zu den Standards der Kreditvergabe könnten das System also stabilisieren. Oder es könnten Eigenkapitalanforderungen danach gestaffelt werden, wie "systemrelevant" eine Bank tatsächlich ist. Und nicht zuletzt könnten Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs ein Finanzsystem gegenüber Krisen im Ausland abschotten.

Viele dieser Maßnahmen klingen vernünftig, aber gleichzeitig können auch unerwünschte Nebenwirkungen eintreten. Oder es können mit einer Maßnahme ganz andere Ziele angestrebt werden als das Ziel "Finanzstabilität". Es muss also überprüft werden, welche Ziele eine Regulierung verfolgt und ob diese Ziele erreicht werden. Dazu brauchen wir klare Definitionen der Ziele, Transparenz bezüglich der Zielsetzung und Standards der Politikevaluation.

2 Ziele und Instrumente makroprudenzieller Maßnahmen

Wirtschaftspolitische Eingriffe in die Finanzmärkte können unterschiedliche Ziele haben. Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs sind oft eingesetzt worden, um eine von ausländischen Einflüssen unabhängige Geldpolitik durchführen zu können. Viele Eingriffe in die Tätigkeit von Banken – z.B. regionale Beschränkungen der Kreditvergabe oder Beschränkungen der Zinssetzung – haben sozial- oder regionalpolitische Ziele oder dienen dem Verbraucherschutz. Diese Maßnahmen können zwar die Finanzmärkte stabilisieren, sie können aber auch andere wichtige Funktionen der Finanzmärkte einschränken.

Ein prominentes Bespiel sind Kapitalverkehrskontrollen, die nach der schweren Wirtschaftskrise der 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eingeführt wurden. Einer Phase der Globalisierung der Finanzmärkte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts folgte eine lange Phase der Abschottung der Märkte. Tatsächlich waren Finanzkrisen in dieser Zeit relativ selten. Gleichzeitig hat die Abschottung aber dazu geführt, dass in den einzelnen Ländern wenig Wettbewerb auf den Finanzmärkten herrschte und dass gerade die "Insider" Vorteile hatten. Dieser Trend wendete sich erst in den vergangenen 20 Jahren, als die Integration der Märkte sogar noch weit über das frühere Niveau hinausging.

Wie also sollen wir diese Phase der Abschottung bewerten? Positiv, weil die Märkte relativ stabil waren? Oder negativ weil der Wettbewerb beschränkt war und bestimmte Interessensgruppen profitierten? Ohne eine klare Definition der Ziele von Politik und eine möglichst genaue Überprüfung, ob diese Ziele erreicht wurden, lassen sich diese Fragen nicht beantworten.

Deshalb versuchen wir heute, dass abstrakte Ziel "mehr Finanzstabilität" auf messbare Zwischenziele herunter zu brechen. Zum Beispiel fragen wir, wie stark die Kreditvergabe steigt und wie gut die Banken kapitalisiert sind. Messbare Zwischenziele sind Voraussetzung für eine Politikevaluation. Sie zeigen an, wie gut die Politik ihre Ziele erreicht. Und die Zwischenziele sind eng mit den Instrumenten verbunden, die uns in der Regulierung zur Verfügung stehen.

Dieser Dreiklang zwischen "Ziel – Zwischenziel – Instrument" mag noch wenig konkret klingen. Deswegen möchte ich ihn mit einer Analogie zur Geldpolitik verdeutlichen. Das Mandat der Geldpolitik lautet,  Preisstabilität zu gewährleistet. Wie Finanzstabilität ist aber auch Preisstabilität nicht direkt messbar. Deshalb definiert der EZB-Rat Preisstabilität als eine Wachstumsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex von unter, aber nahe 2%. Das stellt ein messbares Zwischenziel dar, das mit Hilfe des geldpolitischen Instrumentariums erreicht werden kann.

Was für die Geldpolitik gilt, gilt auch für die makroprudenzielle Regulierung. Um mehr Finanzstabilität zu erreichen ist eine angemessene Ausstattung der Banken mit Eigenkapital ein greifbares Zwischenziel und mögliches Instrument. Mehr Eigenkapital stellt einen Puffer im Finanzsystem dar, der hilft Risiken abzufedern und größere Abschreibungen zu verkraften. Diese höhere Widerstandsfähigkeit senkt die Wahrscheinlichkeit, dass Gläubiger in unsicheren Zeiten ihre Einlagen abziehen und so Banken zum Notverkauf ihrer Vermögenswerte zwingen. Da das Eigenkapital von Banken eine so bedeutsame Rolle spielt, wurden nach der Krise die Anforderungen an das Eigenkapital von Banken erhöht. Zudem können nunmehr Zuschläge auf das Eigenkapital verlangt werden, wenn ein Institut als systemrelevant eingestuft wird oder wenn die Kreditvergabe in einem Land zu stark steigt. In einem solchen Fall kann ein sogenannter Antizyklischer Kapitalpuffer eingeführt werden.

Während Eigenkapitalanforderungen bei der bilanziellen Stärke von Banken ansetzen, können Banken auch resistenter gegenüber Krisen gemacht werden, indem die Konzentration von Risiken begrenzt wird. Ein mögliches Instrument sind Großkreditgrenzen, die die Höhe einer Forderung gegenüber einem einzelnen Kreditnehmer beschränken.

In Deutschland sind Großkreditgrenzen fester Bestandteil des regulatorischen Instrumentenkastens. Sie wurden als Reaktion auf eine Krise eingeführt, bei der sich eine Bank durch Anlagen in den USA zuerst hoffnungslos überschuldet hatte. Gemeint ist nicht die Hypo Real Estate, sondern die Herstatt Bank. Diese musste 1974 aufgrund von Dollarspekulationen Insolvenz anmelden.

Großkreditbeschränkungen sind sicherlich sinnvoll – das hat der Fall Herstatt gezeigt. Das nun herrschende Regime hat aber auch Schwächen, da Staatsanleihen faktisch von den Großkreditgrenzen ausgenommen sind. Großkreditobergrenzen sollten aber für alle Forderungen der Banken gelten, damit diese keinen Anreiz haben, einen hohen Bestand an Staatsanleihen zu halten.

Ein anderes Zwischenziel makroprudenzieller Regulierung kann es sein, übermäßiges Kreditwachstum zu verhindern. Vor der Finanzkrise hatten nicht nur Haushalte in den in USA, sondern auch in vielen europäischen Ländern wie Spanien und Irland hohe Immobilienkredite aufgenommen. Als sich das gesamtwirtschaftliche Umfeld verschlechterte, konnten viele dieser Kredite nicht mehr bedient werden. Wie schon in vielen historischen Finanzkrisen führten Übertreibungen auf den Immobilienmärkten dazu, dass das gesamte Finanzsystem in Schieflage geriet. Heute können wir makroprudenzielle Instrumente einsetzen, mit denen sich die Höhe von Immobiliendarlehen in Abhängigkeit vom verfügbaren Einkommen des Kreditnehmers oder der hinterlegten Sicherheit begrenzen lässt.

Auch dieses Instrument findet sich in der Geschichte der Bankenregulierung. So führten die Vereinigten Staaten nach einer Wirtschaftskrise 1864 eine sogenannte Loan-to-Value Obergrenze ein. Sie beschränkte Hypothekenkredite auf 50% des zugrunde liegenden Immobilienwertes. Außerdem wurde die Immobilienkreditvergabe durch Banken auf 25% ihres Eigenkapitals beschränkt. Diese Maßnahmen trugen dazu bei, dass die meisten Banken das Platzen der damaligen Immobilienblase überlebten.

Entsprechende Beschränkungen von Immobilienkrediten können also durchaus sinnvoll sein, um eine zu hohe Verschuldung zu verhindern. Daher beobachtet die Bundesbank den deutschen Immobilienmarkt derzeit sehr genau. Aktuell können zwar keine unmittelbaren Gefahren für die Finanzstabilität ausgemacht werden. Dennoch setzt sich die Bundesbank vorsorglich mit Handlungsoptionen auseinander, um für den Fall vorbereitet zu sein, dass sich die Einschätzung zu den Finanzstabilitätsrisiken in Zukunft ändert.

Regulierungen der Finanzmärkte können aber auch noch weiter gehen.  Als Reaktion auf die schwere Wirtschaftskrise zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden nicht nur Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Es wurden Banken auch zahlreiche weitergehende Beschränkungen auferlegt. Ein Beispiel für einen recht drastischen Eingriff in die Funktionsweise von Märkten sind die vom Wirtschaftsministerium festgelegten direkten Zinskontrollen in den 1960er Jahren in Deutschland.

In der deutschen Zinsverordnung wurden "Höchstsätze für Habenzinsen" vom Bundeswirtschaftsministerium in Absprache mit der Bankenaufsicht im Gesetz festgeschrieben. In der Zinsverordnung von 1965 heißt es, dass die Zinsen für kurzfristige Spareinlagen maximal 3¼% betragen dürfen. Auf Spareinlagen juristischer Personen, die kirchlichen Zwecken dienen, durfte ein halbes Prozent mehr gezahlt werden. Aus heutiger Sicht mag das viel klingen, aber zu dieser Zeit lag auch die Inflationsrate auf einem ähnlichen Niveau und stieg in den 1970er Jahren noch einmal deutlich an.

Verbote bestimmter Aktivitäten oder direkte Beschränkungen der Preissetzung von Banken sind weitreichende Eingriffe in die Märkte. Sie sind nur dann gerechtfertigt, wenn gut begründet werden kann, dass andere Instrumente nicht ausreichen, um die Stabilität der Märkte zu verbessern.

Bei vielen Maßnahmen ist nicht von vorneherein klar, welche Effekte sie haben. Führt eine Maßnahme dazu, dass die Finanzmärkte stabiler werden? Welche Ausweichreaktionen gibt es? Wie lässt sich verhindern, dass makroprudenzielle Regulierung als trojanisches Pferd für protektionistische oder rein politisch motivierte Markteingriffe verwendet wird?

Beim Wein lässt sich nach einiger Zeit recht verlässlich sagen, welches ein guter und welches ein schlechter Jahrgang ist. Ein einfacher Geschmackstest hilft hier weiter. Bei der Frage, welche Effekte Regulierungen der Märkte haben, brauchen wir mehr als einen Geschmackstest. Wir brauchen klare Verfahren, um einmal ergriffene Maßnahmen zu überprüfen und zu evaluieren. Anders als in der Vergangenheit haben wir dazu heute neue Institutionen und bessere Datengrundlagen.

3 Evaluation makroprudenzieller Maßnahmen

Neue Institutionen

Makroprudenzielle Regulierung ist heute in einen internationalen und europäischen Rahmen eingebettet. Auf internationaler Ebene beschäftigt sich der Financial Stability Board – oder "Finanzstabilitätsrat" – mit der Frage, wie unsere Datenbasis verbessert werden kann und welche zusätzlichen Regulierungen erforderlich sind. Auf europäischer Ebene beobachtet der "Europäischen Ausschuss für Systemrisiken" die Stabilität der Finanzmärkte, und er gibt Warnungen und Empfehlungen an die nationalen Regierungen. Denn die Entscheidung über makroprudenzielle Maßnahmen liegt weiterhin auf der nationalen Ebene.

In Deutschland wird die makroprudenzielle Regulierung durch den Ausschuss für Finanzstabilität koordiniert. Seine stimmberechtigten Mitglieder sind je drei Vertreter der Bundesbank, der BaFin und des Bundesfinanzministeriums. Die Bundesbank spielt in diesem Gremium eine besondere Rolle, denn sie liefert die Analysen zu und hat ein Vetorecht.

Diese neuen Institutionen sind komplex, und die Entscheidungsprozesse müssen sich an vielen Stellen noch einpendeln. Aber wir sind auch mit diesen Gremien einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Denn über diese Gremien findet ein sehr intensiver Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Ländern statt. Es werden Standards gesetzt, an die sich die einzelnen Länder halten müssen. Und die internationalen Gremien spielen eine wichtige Rolle bei der Koordination und Evaluation makroprudenzieller Maßnahmen.

Dieser Rahmen aus verschiedenen nationalen und supranationalen Behörden bewirkt einen höheren Rechtfertigungszwang und eine höhere Transparenz, auch hinsichtlich der verfolgten Ziele.

Möchte ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union beispielsweise die Eigenkapitalanforderungen für seine Banken anheben, dann muss das betreffende Land diese Maßnahme auf europäischer Ebene anzeigen. Diese Anzeige umfasst detaillierte Informationen über die Hintergründe, Ziele und möglichen Nebenwirkungen dieser Maßnahme.

Eine hohe Transparenz halte ich für entscheidend. Denn sie ermöglicht, ergriffene Maßnahmen anderer Länder und Behörden von außen zu überprüfen. Der Rechtfertigungszwang ist ein wichtiger Baustein effektiver und effizienter Politik, der sich bereits in anderen Politikbereichen bewährt hat.

So gibt es beispielsweise ein Rechtfertigungsprinzip im Freihandelsabkommen der Welthandelsorganisation WTO, um verdeckte Handelsbeschränkungen einzudämmen. Es besagt im Kern, dass ein Land auf Nachfrage erklären muss, warum es von internationalen Produktstandards abweicht. So forderte Europa eine Rechtfertigung für die ungewöhnlich hohen japanischen Sicherheitsanforderungen für AlpinSki. Nachdem Japan nicht überzeugend erklären konnte, warum japanischer Schnee anders als europäischer sei, musste es schließlich den internationalen Standard akzeptieren.

Der internationale und europäische Rahmen hat eine weitere Stärke: die gegenseitige Anerkennung und teilweise sogar verpflichtende Übernahme von Maßnahmen, die im Ausland eingeführt worden sind. In der europäischen Union gibt es keine Kapitalverkehrskontrollen mehr. Wenn die Immobilienkredite in einem bestimmten Land begrenzt werden sollen, müssen entsprechende Regelungen auch für Kredite aus dem Ausland gelten. Das wird durch das sogenannte Reziprozitätsprinzip erreicht. Führt ein Land einen Antizyklischen Kapitalpuffer ein, muss dieser durch andere Länder anerkannt werden. Dadurch können nicht nur verzerrende Anreizwirkungen vermieden werden. Auch ein Umgehen der Regulierung wird erschwert.

Insgesamt halte ich die neuen Institutionen für eine deutliche Verbesserung gegenüber der Zeit vor der Krise. Aber wir können meines Erachtens noch weiter gehen. Der Europäische Rat für Systemrisiken hat beispielsweise einen wissenschaftlichen Beirat, der viele relevante Diskussionen angestoßen und vorangetrieben hat. Über ähnliche Gremien sollten wir auch auf nationaler Ebene nachdenken. Insgesamt können wir den Dialog zwischen Politik und Wissenschaft weiter verbessern. Das erfordert auf Seiten der Politik eine größere Bereitschaft, unabhängige wissenschaftliche Expertise zu berücksichtigen. Auf Seiten der Wissenschaft erfordert es eine ausgewogene Balance zwischen Grundlagenforschung und Anwendungsorientierung; und es erfordert eine Berücksichtigung der institutionellen Rahmenbedingungen, in denen wir arbeiten.

Neue Methoden und Daten

Ich bin sehr zuversichtlich, dass dieser verbesserte Dialog zwischen Forschung und Politik gelingen wird. Denn anders als in früheren Jahrzehnten, aus denen viele meiner Beispiele für regulatorische Maßnahmen stammten, haben wir heute eine deutlich verbesserte Infrastruktur für eine gute Evaluation von Politikmaßnahmen. Um zu überprüfen, ob eine bestimmte (makroprudenzielle) Maßnahme ihr Ziel erfüllt, sind einzelwirtschaftliche Informationen erforderlich. Es müssen geeignete empirische Methoden zur Verfügung stehen, mit Hilfe derer Ursache und Wirkung einer Maßnahme möglichst genau abgeschätzt werden können.

In beiden Bereichen haben wir erhebliche Fortschritte gemacht. Die Bundesbank stellt sowohl für eigene Analysen als auch für externe Forscher umfangreiche Datensätze bereit. Sie ist zudem in eine Reihe von europäischen Projekten eingebunden, die Quervergleiche zwischen Ländern ermöglichen. Und auch die empirischen, ökonometrischen Methoden sind heute sehr viel weiter entwickelt. Hier kann die Bundesbank an ihre langjährige Tradition anknüpfen, neue wissenschaftliche Methoden für die Politikanalyse nutzbar zu machen.

4 Ausblick

Wie sich ein bestimmter Wein-Jahrgang entwickelt, entscheidet sich oft erst nach einigen Jahren. Viele Einflüsse von außen spielen eine Rolle. Ganz ähnlich ist es bei der makroprudenziellen Regulierung. Jede Entscheidung über eine bestimmte Maßnahme wird unter einem erheblichen Maß an Unsicherheit getroffen. Ob es Ausweichreaktionen gegeben hat, ob die Ziele einer Maßnahme erreicht werden, werden wir oft erst im Nachhinein wissen. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass gut gemeinte Maßnahmen auch zweckentfremdet werden können.

Gerade in einem so jungen Politikfeld wie der makroprudenziellen Regulierung ist daher eine gute Evidenzbasierung erforderlich. Wir brauchen eine gut empirische Fundierung, um die Wirkungen der Politikmaßnahmen im Nachhinein untersuchen und bewerten können. Nur so können wir die Wirkung makroprudenzieller Maßnahmen über die Zeit beobachten, dokumentieren und analysieren.

Gleichzeitig müssen wir einen Dialog mit der Öffentlichkeit darüber führen, welche Maßnahmen wir einsetzen können, um die Finanzmärkte stabiler zu machen – und welche Herausforderungen dabei vor uns liegen. Ich hoffe, dass dieser Abend hier in München einen Anstoß dafür liefert und bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.