Aktuelle Themen der Geldpolitik Rede bei der Vortragsveranstaltung „Geldpolitik in Zeiten der Inflation“ der Commerzbank AG

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

hoffentlich sind Sie nach dem Sommer und Urlaub gut erholt – trotz der ereignisreichen Tage, die zurückliegen. Vielleicht zehren Sie ja noch vom Passivsport: von der spannenden Zeit vorm Fernseher bei den Olympischen Spielen und den Paralympics.

Ein in anderer Weise „sportliches Programm“ erwartet uns jetzt: Ein weites Feld an Inhalten in kurzer Redezeit. Lassen Sie uns zunächst drei stets zentrale Fragen erörtern: Wohin geht die Konjunktur? Wohin entwickelt sich die Inflation? Und wohin bewegt sich die Geldpolitik? Gefolgt von drei speziellen Themen der Geldpolitik: der Bilanzabbau, der geänderte geldpolitische Handlungsrahmen und das Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik.

2 Konjunktur

Starten wir mit der Wirtschaftslage sowie dem Konjunkturausblick. Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal dieses Jahres um 0,1 % gesunken, nachdem sie Anfang 2024 noch leicht gewachsen war. Belastend wirkten vor allem schwache Investitionen und der Bausektor. Aber auch die Exporte und der private Konsum gingen etwas zurück.

Die gestiegenen Finanzierungskosten haben weiterhin die Investitionen gedrückt und damit die inländische Nachfrage nach Industrieerzeugnissen und Bauleistungen. Gegenwind für die privaten Investitionen kam zudem von der hohen wirtschaftspolitischen Unsicherheit. Hinzu kam bei der Bautätigkeit ein Gegeneffekt nach der milden Witterung im ersten Quartal. Außerdem leidet Deutschlands Industrie weiter unter einer schwachen Auslandsnachfrage. Die Kapazitäten in der Industrie sind mittlerweile deutlich unterdurchschnittlich ausgelastet. Auch dies dämpft die Investitionen.

Somit tritt die Wirtschaft hierzulande seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor über zwei Jahren auf der Stelle. Auch für das Gesamtjahr 2024 könnte es, gemäß den jüngsten Prognosen von Wirtschaftsforschungsinstituten, in etwa auf eine Stagnation hinauslaufen.

Die Hoffnungen auf eine Belebung der Industrie in der zweiten Jahreshälfte haben sich mit den Stimmungsindikatoren der vergangenen Monate deutlich eingetrübt. Und die Konsumzurückhaltung scheint hartnäckiger zu sein, als unsere Bundesbank-Fachleute bei der Veröffentlichung der Deutschland-Prognose im Juni erwartet hatten. Doch weiterhin gilt, dass die kräftig steigenden Löhne, nachlassende Inflation und robuste Arbeitsmarktentwicklung zunehmend größere Ausgabenspielräume schaffen. Diese könnten die privaten Haushalte allmählich auch für mehr Konsum nutzen. Für das kommende Jahr rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute mit einem zaghaften Wirtschaftswachstum zwischen ½ und 1 %. Die neue Deutschland- Prognose der Bundesbank erscheint im Dezember.

Meine Damen und Herren, ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten schon mehrfach betont: Wir sollten unseren Wirtschaftsstandort nicht schlechtreden. Umgekehrt ist es selbstverständlich ganz wichtig, Schwächen zu erkennen und Probleme beherzt anzugehen. Zu viel Pessimismus schadet. Ebenso schaden aber auch rosarote Brillen oder blindes Vertrauen, dass alles schon irgendwie von selbst wieder besser werde. Zweifellos wird derzeit in Deutschland nicht so viel investiert, wie wir das gerne sehen würden. Und die Industrie hat mit einem schwierigen Wettbewerbsumfeld zu kämpfen. Hier müssen Hemmnisse abgebaut werden.

An dieser Stelle möchte ich aus gegebenem Anlass eine Randbemerkung machen: Damit Unternehmen ihre Zukunftsaufgaben angehen und finanzieren können, benötigen wir starke und robuste Banken. Bei möglichen Zusammenschlüssen kommt es darauf an, dass am Ende ein wettbewerbsfähiges Institut entsteht, das diese Aufgabe bestmöglich erfüllt.

Was die Hemmnisse angeht, möchte ich den Rahmen nicht sprengen und deshalb nur beispielhaft Ansatzpunkte für mehr Standortattraktivität aufzählen: Es gilt, Bürokratielasten soweit wie möglich zu reduzieren, Verwaltungsverfahren wie etwa Genehmigungsprozesse zu beschleunigen. Bei der grünen Transformation sollte die Politik für mehr Planungssicherheit sorgen. Insbesondere bei digitaler Infrastruktur und Bildung sind Verbesserungen nötig. Außerdem sollte die Politik Maßnahmen ergreifen, die das Arbeitsangebot erhöhen, denn der Mangel an Personal wird sich demografisch bedingt weiter verschärfen.

Schlagzeilen wie „Bremsklotz Deutschland“[1] im Euroraum sind unerfreulich. Doch Fakt ist eben, dass die konjunkturelle Schwäche im größten Mitgliedsland den Durchschnitt gegenwärtig nach unten drückt. Die Wirtschaft im Euroraum als Ganzes hat in den ersten beiden Quartalen dieses Jahres etwas Tritt gefasst (mit Wachstumsraten von 0,3 % beziehungsweise 0,2 % gegenüber dem Vorquartal). In den neuen Projektionen veranschlagen die EZB-Fachleute für 2024 insgesamt ein verhaltenes Wirtschaftswachstum von 0,8 %, das nächstes Jahr leicht auf 1,3 % zulegen dürfte.

Der Ausblick ist insbesondere angesichts des weiter angespannten geopolitischen Umfelds unsicher. Weder in der Ukraine noch im Nahen Osten hat sich die Lage entschärft. Auch mit dem Wahlausgang in den USA sind wirtschaftliche Unsicherheiten verbunden. Einen Vorgeschmack hat das TV-Duell vergangene Woche gegeben. Nachteile für Europa könnten etwa aus einer protektionistischeren US-Handelspolitik entstehen, aus staatlichen Maßnahmen zugunsten des Standorts USA oder durch eine Abkehr der USA von multilateraler Zusammenarbeit (zum Beispiel bei Klimaschutz, NATO, WTO).

Erfreulich hingegen ist der nach wie vor robuste Arbeitsmarkt im Euroraum. Die Arbeitslosenquote verzeichnete im Juli mit 6,4 % ein Allzeittief. In Deutschland hat sich der Arbeitsmarkt angesichts der ausbleibenden Konjunkturerholung zwar nicht verbessert – aber eben auch nicht deutlich verschlechtert. Da die Unternehmen hierzulande während der andauernden konjunkturellen Schwächephase weitgehend auf Entlassungen verzichtet haben, sehen sie insgesamt wenig Bedarf, neu einzustellen. Auch wenn es in Teilbereichen durchaus schwierig ist, offene Stellen zu besetzen.

Laut einer EZB-Analyse ist das Horten von Arbeitskräften – wenn also Personal auf Vorrat gehalten wird – verglichen mit der Vorpandemiezeit im Euroraum noch immer ausgeprägt. Durch die zeitweise hohen Gewinnmargen sei es den Unternehmen möglich, ihr Personal in größerem Umfang oder länger als gewöhnlich zu halten, wenn sich Lage oder Aussichten verschlechtern.[2]

Wenn sich nun die Gewinnmargen normalisieren, dürften sie umgekehrt die Beschäftigung weniger stützen als zuvor. Zudem lässt das Horten von Arbeitskräften erwarten, dass es in der wirtschaftlichen Erholungsphase zu weniger Neueinstellungen als üblich kommt. Stattdessen dürfte eher die Produktivität steigen. Die neuen Projektionen beinhalten 2025 und 2026 im Euroraum einen Anstieg der Arbeitsproduktivität von jeweils etwa 1 % nach einer Stagnation im laufenden Jahr und einem Minus von knapp 1 % im vergangenen Jahr. Das würde für sich genommen die Lohnstückkosten und darüber die Inflation dämpfen.

3 Inflation

Kommen wir damit zur Frage Nummer zwei nach dem Preisausblick. Diesbezüglich steht neben der bislang schwachen Produktivitätsentwicklung zurzeit das kräftige Lohnwachstum im Fokus. Für Deutschland wurden in den jüngsten Tarifabschlüssen hohe Lohnsteigerungen vereinbart. Und auch in den anstehenden Verhandlungen zeichnen sich relativ hohe Neuabschlüsse ab. Die Gewerkschaften streben verständlicherweise einen nachhaltigen Ausgleich der in den vergangenen drei Jahren aufgelaufenen Reallohnverluste an.

Da Inflationsausgleichsprämien nur noch bis Ende dieses Jahres abgabenfrei sind, fordern die Gewerkschaften nun verstärkt dauerhafte Lohnsteigerungen. Die bis zuletzt hohe Streikbereitschaft und die immer noch verbreitete Arbeitskräfteknappheit sprechen weiterhin für vergleichsweise hohes Lohnwachstum. Auch längerfristig dürfte das knappe Arbeitsangebot hierzulande ein wesentlicher Einflussfaktor für das kräftige Lohnwachstum und mithin den hohen heimischen Preisauftrieb bleiben.

Im Euroraum hat sich der Tariflohnanstieg im zweiten Quartal deutlich abgeschwächt. Dies war aber zum Teil bedingt durch einen Sondereffekt in Deutschland (durch im Vorjahr gezahlte Inflationsausgleichsprämien, die nun entfielen). Wegen des anhaltend engen Arbeitsmarkts im Euroraum ist ein schnelles Abflauen der Lohndynamik unwahrscheinlich.

Der nur langsam nachlassende Lohndruck macht den Disinflationsprozess zäh. Aktuell ist die Inflation noch nicht da, wo wir im EZB-Rat sie haben wollen. Im August lag die Gesamtinflationsrate im Euroraum bei 2,2 % nach 2,6 % im Vormonat. Der deutliche Rückgang war hauptsächlich energiepreisbedingt. Die deutsche Teuerungsrate – gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex – hat zwar 2,0 % erreicht. Doch das dürfte leider vorerst noch nicht von Dauer sein. Bei den Dienstleistungen bleibt die Preissteigerung im Euroraum mit zuletzt 4,1 % bedenklich hoch. Die Kerninflationsrate hat nur geringfügig auf 2,8 % nachgegeben.

In den neuen Projektionen des EZB-Stabs erreicht der Preisanstieg im Euroraum Ende 2025 wieder die 2 %-Marke. Der Weg dorthin bleibt unsicher und wird ein paar Kurven aufweisen. Beispielsweise sind gegen Ende dieses Jahres vorübergehend wieder etwas höhere Inflationsraten zu erwarten, weil die Energiepreise im Schlussquartal des vergangenen Jahres rückläufig waren.

Insgesamt betrachtet sind wir jedoch in Richtung Preisstabilität mit großen Schritten vorangekommen. Im Zuge des Disinflationsprozesses haben sich auch die Inflationserwartungen wie gewünscht zurückgebildet, und das Risiko höherer Inflationserwartungen ist nach Einschätzung von Märkten und befragten Fachleuten gesunken. Dies spricht für gut verankerte Inflationserwartungen. Im EZB-Rat müssen wir nun ausreichend langen Atem beweisen. Wenn uns das gelingt, dann schaffen wir es bei unserem Lauf auch bald über die Ziellinie!

4 Geldpolitik

Die dritte meiner eingangs gestellten Fragen, wohin sich der geldpolitische Kurs bewegt, ist im Grunde beantwortet: Nach der steilen Straffungsphase folgten neun Monate unveränderter Leitzinsen, bevor der EZB-Rat im Juni und nun auch im September die Zügel etwas gelockert hat.

Wie genau es weitergeht, ist offen, aber sicher werden die Leitzinsen nicht so schnell und stark runtergehen, wie sie raufgegangen sind! Abhängig von den eingehenden Daten können die Zeitabstände zwischen den potenziellen Schritten variieren. Denn der geldpolitische Kurs muss lange genug hinreichend straff bleiben, damit die Inflationsrate mittelfristig zum 2 %-Ziel zurückkehrt. Entsprechende Annahmen über die Leitzinsen liegen ja auch den EZB-Projektionen zugrunde.

Meine Damen und Herren, über den besten Zeitpunkt für eine Zinsänderung gibt es in der Öffentlichkeit unterschiedliche Meinungen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Risiken nicht eindeutig beziffern und die Wirkungsverzögerungen der Geldpolitik nicht sicher abschätzen lassen. Wichtig ist mir, die Inflation möglichst bald stabil beim Zielwert von 2 % zu sehen. Um das zu erreichen, werden wir uns auch bei unseren künftigen Entscheidungen in keiner Weise im Vorhinein festlegen. Vielmehr werden wir neue Daten weiter ergebnisoffen prüfen. Wir sind zinspolitisch nicht per Autopilot unterwegs.

4.1 Bilanzabbau

Nun komme ich zu den drei speziellen Themen der Geldpolitik. Um den geldpolitischen Kurs anzupassen, sind die Leitzinsen die zentrale Stellgröße. Darüber hinaus beeinflusst auch der graduelle Bilanzabbau die Ausrichtung der Geldpolitik. Denn hinter der Länge der Bilanz stehen letztlich frühere expansive Sondermaßnahmen.

Zum Rückgang der Bilanzsumme des Eurosystems hat bisher vor allem beigetragen, dass die Banken ihre Kredite aus den längerfristigen Refinanzierungsgeschäften an uns zurückgezahlt haben. Bei den TLTROs stehen nur noch relativ geringe Restbestände aus (rund 76 Mrd. Euro). Nächste Woche ist der vorletzte Fälligkeitstermin, und im Dezember dieses Jahres werden die letzten gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte zurückgezahlt.

Außerdem sinkt der große Anleihebestand des Eurosystems allmählich: durchschnittlich um etwa 25 bis 30 Mrd. Euro pro Monat (seit Juli 2023) durch den Stopp der Reinvestitionen im Rahmen des APP, das das größte Kaufprogramm ist. Die Reinvestitionen im Rahmen des Pandemie-Notfallkaufprogramms (PEPP) werden seit Juli dieses Jahres um durchschnittlich 7,5 Mrd. Euro pro Monat verringert und Ende 2024 ebenfalls ganz eingestellt.

Die aktuelle Bilanzsumme von knapp 6.500 Mrd. Euro wird noch deutlich schrumpfen. Bislang haben die Märkte den Bilanzabbau des Eurosystems (von in der Spitze über 8.800 Mrd. Euro) reibungslos aufgenommen. Auch für die Zukunft bin ich hier zuversichtlich.

Im EZB-Rat gehöre ich zu denen, die sich für einen kleineren Fußabdruck des Eurosystems an den Finanzmärkten einsetzen. Dieser Prozess erfordert seine Zeit. Er ist eng damit verknüpft, wie die Geldpolitik umgesetzt wird und auf die Finanzmärkte wirkt. Deshalb möchte ich jetzt als zweites meiner drei speziellen Themen der Geldpolitik kurz auf die Mitte März beschlossenen Änderungen am geldpolitischen Handlungsrahmen eingehen.

4.2 Änderungen am geldpolitischen Handlungsrahmen

Sie mögen denken: Was für ein trockenes, schwer verdauliches Thema, und noch dazu kurz nach dem Mittagessen! Doch sich mit diesen vermeintlich lästigen Details zu befassen, lohnt sich. Denn vom neuen geldpolitischen Handlungsrahmen hängt ab, wie die Banken künftig mit Zentralbankliquidität versorgt werden und wie sich die kurzfristigen Geldmarktsätze zukünftig entwickeln.

Bei zwar abnehmender, aber vorerst weiterhin hoher Überschussliquidität im Bankensystem wird sich zunächst wohl wenig ändern: Wir werden auch künftig regelmäßig den Banken Zentralbankliquidität zu einem festen Zinssatz in der von ihnen nachgefragten Höhe leihen, wobei zum Besichern dieser Kredite ein breites Spektrum an Anleihen und anderen Forderungen zulässig ist. Der Mindestreservesatz zur Bestimmung der unverzinsten Pflichteinlagen der Banken beim Eurosystem beträgt unverändert 1 %.

Genau am heutigen Tag verengt sich der Abstand zwischen Hauptrefinanzierungs- und Einlagesatz von bisher 50 auf 15 Basispunkte. Diese operative Anpassung wird einen Anreiz zur Abgabe von Geboten bei den wöchentlichen Tendern bieten. Mithin dürften sich die kurzfristigen Geldmarktsätze auch weiterhin in der Nähe des Einlagesatzes bewegen, bei begrenzten Schwankungen. Wir werden dabei die Marktmäßigkeit unseres Implementierungsrahmens im Blick behalten.[3]

Der EZB-Rat hat sich außerdem darauf verständigt, zu einem späteren Zeitpunkt neue strukturelle längerfristige Refinanzierungsgeschäfte und ein strukturelles Wertpapierportfolio einzuführen. Diese Geschäfte sollen künftig dazu beitragen, den strukturellen Liquiditätsbedarf des Bankensektors zu decken. Aber das ist Zukunftsmusik. Denn wie bereits erwähnt, sind die Überschussliquidität bei den Banken und die Anleihebestände des Eurosystems noch sehr umfangreich.

Wir werden nun Erfahrungen und Erkenntnisse sammeln. Geplant ist, 2026 die wesentlichen Parameter des geldpolitischen Handlungsrahmens erneut zu überprüfen. Falls nötig, sind aber auch frühere Anpassungen möglich.

4.3 Zusammenspiel Geld- und Fiskalpolitik

Mein Spezialthema Nummer drei, „das Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik“, ist ein Dauerthema. Grundsätzlich entscheidet die Kombination beider Politikbereiche darüber, wie expansiv oder restriktiv der Gesamteffekt auf die Wirtschaft ausfällt.

In manchen Krisenzeiten, etwa während der Corona-Pandemie, können Geld- und Fiskalpolitik ihren jeweiligen Zielen folgend an einem Strang ziehen. In Zeiten hoher Inflation hingegen kann Konfliktpotenzial bestehen. Die Fiskalpolitik sollte eine restriktive Geldpolitik bei der Inflationsbekämpfung zumindest nicht konterkarieren, sondern sie dabei möglichst unterstützen.

Dieses und nächstes Jahr dürfte der fiskalpolitische Kurs im Euroraum in etwa neutral wirken, also keinen zusätzlichen Inflationsdruck erzeugen. Allerdings liegt die Ursache für den erwarteten Rückgang der Defizitquote in auslaufenden Krisenstützungsmaßnahmen. Restriktiv wirkt die Fiskalpolitik so gesehen nicht.

Die Schuldenquote des Euroraums wird gemäß EZB-Projektionen bei fast 90 % verharren. In manchen Mitgliedsländern ist die Staatsverschuldung bedenklich hoch, ohne dass sich eine baldige Trendwende abzeichnet. Die Geldpolitik sollte sich hiervon nicht beeinträchtigen lassen. Denn die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, mit dem geldpolitisch gebotenen Zinsniveau klarzukommen. Die Staaten sollten sich auf ein erhöhtes Zinsniveau einstellen.

Ende April sind die neuen EU-Fiskalregeln in Kraft getreten. Allerdings ist noch nicht klar, welche konkreten Anforderungen zur Haushaltskonsolidierung daraus folgen. Im Juli wurde für sieben Staaten eine übermäßige Neuverschuldung festgestellt, darunter die Euroländer Frankreich, Italien, Belgien, Slowakei und Malta. Entscheidend wird sein, die neuen Regeln so umzusetzen, dass hohe Schuldenquoten tatsächlich sinken. Dazu müssten entsprechend ambitionierte Vorgaben gesetzt werden, und die Regierungen müssen sie dann auch ambitionierter einhalten als in der Vergangenheit.

Zentrale Herausforderung für die Fiskalpolitik bleibt in jedem Fall das Prioritätensetzen. Und dies wird nicht einfacher, wenn Mehrausgaben etwa für Klimaschutz, Verteidigung oder angesichts der demografischen Belastungen auf der Dringlichkeitsliste nach oben rücken.

Das gilt selbst für Deutschland, wo die Verschuldungsquote nicht mehr weit weg von der 60 %-Obergrenze liegt. Hier kann es dann in der Tat sinnvoll sein, durch eine moderate Reform der Schuldenbremse den fiskalischen Spielraum etwas zu vergrößern, solange Deutschland die europäischen Schuldenregeln erfüllt. Hierzu hat die Bundesbank Vorschläge gemacht.

5 Schluss

Meine Damen und Herren,

nach drei Fragen und drei Themen möchte ich mit einem Dreiklang enden. Demokratie, Freiheit und Offenheit sind zentrale Werte, auf denen unsere Gesellschaft, unser tägliches Zusammenleben, unser Wohlstand fußen. Wir leben in einer herausfordernden Zeit. Exemplarisch dafür stehen die Wahlen in Frankreich, in drei ostdeutschen Bundesländern und im November in den USA. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass uns Demokratie, Freiheit und Offenheit als sichere Basis erhalten bleiben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Fußnoten:

  1. Konjunktur: Wirtschaft in Euro-Zone wächst – jedoch nicht in Deutschland (wiwo.de), Wirtschaft in Euro-Zone wächst trotz Bremsklotz Deutschland 0,2 Prozent (msn.com).
  2. Europäische Zentralbank, Höhere Gewinnmargen und ihr Beitrag zur Arbeitskräftehortung, Wirtschaftsbericht, Ausgabe 4 / 2024, S. 61‑65.
  3. Vgl. Nagel, J., Überlegungen zum neuen geldpolitischen Handlungsrahmen des Eurosystems | Deutsche Bundesbank, Rede beim Konstanzer Seminar über Geldtheorie und Geldpolitik, 16.5.2024.