25 Jahre Einführung der D-Mark in der DDR Rede beim Festakt "25 Jahre deutsch-deutsche Währungsunion" in Leipzig

Es gilt das gesprochene Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich begrüße Sie im Namen des Vorstands der Deutschen Bundesbank zur Festveranstaltung anlässlich des Jubiläums der deutsch-deutschen Wirtschafts- und Währungsunion, die sich heute, am 1. Juli 2015, zum 25. Mal jährt. Ich bin mir sicher, dass mit der Einführung der D-Mark in der DDR der politische Einigungsprozess Deutschlands unumkehrbar geworden ist. Und ebenso sicher bin ich mir, dass sich jeder ehemalige Bürger der DDR genau an diesen Tage erinnern kann - ausgenommen vielleicht jene, die im Kindesalter waren. 

Ich freue mich sehr darüber, hier in Leipzig, der Stadt der Montagsdemonstrationen, das Augenmerk auf diesen wichtigen Meilenstein zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung zu legen: die Einführung der D-Mark in der DDR. Insbesondere freue ich mich, viele der Personen 25 Jahre nach der Einführung der D-Mark in der DDR begrüßen zu dürfen, die entscheidenden Anteil daran hatten, dass es zur deutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und zur Deutschen Einheit gekommen ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Geschichte ist nicht abstrakt oder einem Lehrbuch entnommen. Geschichte wird von Personen gestaltet. Die Personen, die die Geschichte 44 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der nachfolgenden Teilung Deutschlands verändert haben, waren die Bürger der DDR, die durch friedliche Demonstrationen Veränderungen erreicht haben. Diesen Menschen gebührt unser aller Dank.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland enthielt in der Präambel den Auftrag, die "nationale und staatliche Einheit zu wahren, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen" und "in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Diesen Auftrag haben Politiker in Ost und West umgesetzt, die sich für die Deutsche Einheit eingesetzt haben.

Und deshalb ist es für mich eine besondere Ehre, viele dieser Personen 25 Jahre nach der Einführung der D-Mark in der DDR hier begrüßen zu dürfen.
Hierzu zählen Personen, die von Seiten der Parlamente und der Regierungen die Gunst der Stunde beherzt genutzt haben, um die Deutsche Einheit auf den Weg zu bringen.

Vor und nach dem Mauerfall gab es bei den Menschen in der DDR zweifellos den großen Wunsch, die eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern. Als Symbol für Freiheit und Wohlstand diente gerade die D-Mark, mit ihrer hohen Kaufkraft und besonderen Stabilität.

"Kommt die D-Mark, bleiben wir - kommt sie nicht, geh'n wir zu ihr!" - das drückt aus, was die Menschen in der DDR damals dachten, auch in Leipzig. Da ab dem Mauerfall bis zum Januar 1990 bereits über 300.000 Menschen ernst gemacht hatten und in den Westen übergesiedelt waren, gab es keinen Zweifel daran, dass weitere Menschen ihren Worten auch Taten folgen lassen würden, um ihr Glück im Westen zu suchen. Hätte sich diese Wanderungsbewegung unvermindert fortgesetzt, wären die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen für beide deutschen Staaten unabsehbar gewesen.

Auch daher war der Politik daran gelegen, sehr schnell Fakten zu schaffen. Schon im Februar 1990 vereinbarten die Regierungen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, die soziale Marktwirtschaft auch auf dem Gebiet der DDR einzuführen.

Bereits am 18. Mai 1990 wurde deshalb der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR abgeschlossen, mit dem die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vereinbart wurde. Die D-Mark kam dann sehr schnell: Am 1. Juli 1990, weniger als acht Monate nach dem Mauerfall, wurde sie in der DDR als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt und ersetzte damit die Mark der DDR.

Das hohe Tempo ließ die Einführung der D-Mark in der DDR zum Balanceakt werden, und das gleich in verschiedener Hinsicht.

Zum einen war die logistische Herausforderung, die D-Mark nach Ostdeutschland zu bringen, sehr groß. Zum anderen war die schnelle Einführung aber auch deshalb ein Drahtseilakt, weil in kürzester Zeit Entscheidungen getroffen werden mussten, die für die wirtschaftliche Entwicklung gerade der neuen Bundesländer von enormer Tragweite waren. Dabei waren unterschiedliche Ziele zu berücksichtigen, die sich nur schwer oder gar nicht miteinander in Einklang bringen ließen.

Entscheidend war natürlich vor allem die Frage, zu welchem Kurs die Umstellung von der Mark der DDR zur D-Mark erfolgen sollte.

Ein zu hoher Umtauschkurs hätte die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe gefährden können, die fortan mit westdeutschen und internationalen Anbietern im Wettbewerb standen. Und ein Anstieg der gesamtdeutschen Geldmenge, dem kein entsprechender Anstieg der Gütermenge gegenübergestanden hätte, hätte einen Inflationsdruck auslösen können, auf den die Bundesbank dann geldpolitisch hätte reagieren müssen.

Auf der anderen Seite hätte ein niedriger Umtauschkurs die ostdeutschen Ersparnisse stark schrumpfen lassen, hinter denen schließlich die persönlichen Lebensleistungen der Bürgerinnen und Bürger der DDR standen.

Ein niedriger Umtauschkurs hätte schließlich auch ein deutlich niedrigeres Lohnniveau bedeutet. Die Erwartungen der Menschen an ihre persönliche Einkommenssituation wären womöglich enttäuscht worden, so dass die Wanderungsbewegungen vielleicht eher befeuert als gebremst worden wären.

Erschwert wurde der Drahtseilakt auch dadurch, dass viele Entscheidungen unter sehr hoher Unsicherheit, oder um es bildlich auszudrücken, in dichtem Nebel, zu treffen waren: Denn um einen Umtauschkurs zu bestimmen, der der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der jeweiligen Länder hinreichend Rechnung trägt, muss man diese Leistungsfähigkeit auch kennen. Doch zur Produktivität der ostdeutschen Unternehmen gab es zum damaligen Zeitpunkt keine verlässlichen Angaben. Es hieß nur, dass die DDR - angeblich - die zehntstärkste Volkswirtschaft der Welt gewesen sein soll.

Konkurrierende Ziele, fehlende Informationen: Die Politik war bei der Festlegung des Umtauschkurses wirklich nicht zu beneiden. Entsprechend viele Ratschläge und Mahnungen wurden ausgesprochen. Und auch die Bundesbank bezog Stellung. Das durfte man von ihr auch erwarten, schließlich war sie für die Stabilität der D-Mark verantwortlich - zumal sie auf Basis eigener Schätzungen über die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe davor warnte, dass eine Umstellung zum Nennwert zu einem Inflationsschub in Ost- und Westdeutschland hätte führen können.

Am Ende entschied sich die Politik bei der Umstellung der Löhne tatsächlich für einen einheitlichen Kurs von 1:1. Dieser Kurs galt außerdem auch für kleine Sparguthaben. Darüber liegende Guthaben wurden im Verhältnis von 2:1 umgewandelt, so dass der gewogene Umtauschkurs bei den Sparguthaben letztlich bei etwa 1,8:1 lag.

Neben der Festlegung des Kurses war eine zweite schwierige Aufgabe zu bewältigen: Die Banknoten und Münzen mussten physisch in die DDR transportiert werden. Der logistische Aufwand war sehr hoch und wurde unter großem Zeitdruck bewältigt:

  • 441 Mio. Stück Banknoten und

  • 102 Mio. Stück Münzen,

  • die zusammen genommen über 1.200 Tonnen wogen und fast 28 Mrd. D-Mark wert waren,

wurden im Vorfeld der Währungsunion mit fast 100 Transporten in die DDR gebracht. Dabei mussten viele Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. So lagerte in den ostdeutschen Tresoren sehr viel altes DDR-Bargeld, welches erst weggeschafft werden musste. Auch die Frage des Polizeischutzes der Transporte war zu klären, da die DDR noch ein souveräner Staat war und die westdeutsche Polizeigewalt an der innerdeutschen Grenze endete. 

Es wurde den Bundesbankern - und nicht nur ihnen - also viel Improvisationstalent in kurzer Zeit abverlangt. Doch zu guter Letzt lief alles recht reibungslos ab. Ab dem 1. Juli 1990 - einem Sonntag - konnten die DDR-Bürger wie geplant über die D-Mark verfügen. Bereits um 0 Uhr öffnete die erste Filiale einer Geschäftsbank am Alexanderplatz in Berlin und hatte mit einem Ansturm von ca. 10.000 Personen zu kämpfen. Während des restlichen Tages gab es dagegen bei den Auszahlungen keine besonderen Vorkommnisse.

Doch die schnelle Währungsunion der Bundesrepublik mit der DDR kam einer Schocktherapie gleich. Ostdeutschland hatte zwar eine konvertible und stabile Währung bekommen. Doch das deutsche Beispiel zeigt, welche Probleme sich in einer Währungsunion ergeben können, wenn Löhne, Preise und Produktivität auseinandergehen, ohne dass ein Überdruckventil in Form eines flexiblen Wechselkurses zur Verfügung steht. In Ostdeutschland mussten nach der Einführung der D-Mark viele Unternehmen schließen. Viele Betriebe der sozialistischen Wirtschaftsordnung der DDR waren international nicht wettbewerbsfähig. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Entwicklung wurden im vereinten Deutschland durch Zahlungen über die öffentlichen Haushalte oder die Sozialversicherungssysteme abgefedert.

Doch man darf nicht vergessen, dass das Projekt "Deutsche Einheit", in das die Währungsunion eingebettet war, ein historisch politisches Projekt war. Viele Entscheidungen, die damals getroffen wurden, waren politisch motiviert. Wäre die ostdeutsche Bevölkerung, zum Beispiel durch andere Umstellungskurse, finanziell wesentlich schlechter gestellt worden, wären die Abwanderungsbewegungen nach Westdeutschland sehr wahrscheinlich noch stärker geworden. Es gab ja keine natürlichen Mobilitätshindernisse wie Sprachbarrieren oder Kulturunterschiede, wie sie zu anderen Transformationsländern bestehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
der Bundesbank oblagen in diesem historischen politischen Projekt vor allem die Aufgaben, die D-Mark in der DDR einzuführen und für stabile Preise zu sorgen. Beide Herausforderungen hat sie gut gemeistert. Mit der D-Mark-Einführung wurde der Inbegriff von Kaufkraft, Stabilität und internationalem Ansehen in die DDR transportiert. Doch eine Währungsunion allein kann nicht helfen, wenn die Realwirtschaft krankt. Die wirtschaftlichen Probleme in den neuen Bundesländern konnten nicht im Rahmen eines mehrmonatigen Kraftakts gelöst werden; dazu bedurfte es eines längeren Atems.

Der 1. Juli 1990, der Tag der deutsch-deutschen Währungsunion, war auch noch in anderer Hinsicht bedeutend: Er markierte die erste Stufe der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und damit den Weg hin zu einer Gemeinschaftswährung. Nicht nur Ost- und Westdeutschland wollten in dieser Zeit weitreichender politischer Veränderungen näher zusammenrücken, sondern auch die Europäische Gemeinschaft wollte einen höheren Grad der Integration erreichen. Dieser mündete unter anderem in die Gründung des Europäischen Systems der Zentralbanken und die Einführung des Euro.

Doch auch im Euro-Raum kam es nach der Euro-Einführung in einigen Ländern zu einer beträchtlichen Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und zu einer Ausweitung der öffentlichen Haushaltsdefizite.

Der Ordnungsrahmen der Europäischen Währungsunion sieht im Unterschied zu Deutschland aber keine systematischen finanziellen Ausgleichmechanismen für die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten oder Regionen vor. Im Gegenteil: Um das Prinzip der Eigenverantwortung zu verankern, gibt es das ausdrückliche Verbot, dass Mitgliedsländer für die Schulden anderer Länder eintreten. Und auch dem Eurosystem ist es verboten, die Staaten zum Beispiel durch Kredite direkt zu finanzieren. Am Ende obliegt es deshalb den einzelnen Ländern, eine funktionsfähige Verwaltung aufzubauen, die Bürger nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Allgemeinwohls heranzuziehen, den in diesen Ländern entstandenen Reformstau abzubauen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um ihre öffentlichen Schulden zu verringern und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft zu erhöhen. 

Nur wenn dies gelingt, wird auch die Europäische Währungsunion ein Garant für Wachstum und Wohlstand sein. 

Abschließend möchte ich mich bei allen bedanken, die sich in der Politik, der Bundesbank und in allen anderen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens für die deutsch-deutsche Währungsunion und die Deutsche Einheit eingesetzt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nun freue ich mich auf den Vortrag von Herrn Dr. Theodor Waigel, den damaligen Bundesfinanzminister, mit dem ich schon als Vorsitzender des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages von 1994 bis 1998 eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.