2015 – Was steht auf der Agenda? Jahresempfang der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Nordrhein-Westfalen
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Kraft,
liebe Frau Präsidentin Müller,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich, beim heutigen Jahresempfang der Bundesbank-Hauptverwaltung in Nordrhein-Westfalen zu Ihnen sprechen zu dürfen.
Traditionell geben Jahresempfangsreden einen Ausblick auf die Themen, die uns in diesem Jahr beschäftigen werden.
Das Jahr 2015 begann aber schon mit Ereignissen, die uns in finanz- und wirtschaftspolitischer Hinsicht über das Jahr hinaus beschäftigen werden –mit Folgen und Auswirkungen, die wir heute noch gar nicht abschätzen können. Ich möchte einige Beispiele nennen.
Die Ölpreise sind auf ein vor einem Jahr noch undenkbares Tief gefallen – was Verbraucher und Wirtschaft deutlich entlastet und maßgeblich dazu geführt hat, dass die Inflationsrate mit einem negativen Vorzeichen versehen ist.
Die Schweizerische Nationalbank hat sich entschieden, den Wechselkurs des Schweizer Franken nicht mehr künstlich hochzuhalten.
Die Renditen der Staatsanleihen sind auf einem absoluten Tiefpunkt, der DAX notiert auf neuen Höchstständen.
Der EZB-Rat hat beschlossen, im großen Stil Staatsanleihen zu kaufen.
Der Regierungswechsel in Griechenland hat die Notwendigkeit der Stabilisierung des Euro-Raums wieder stärker in den Vordergrund gerückt.
„Über die Zukunft zu reden ist der beste Vorwand, sich vor der Gegenwart zu drücken“, spöttelte einst der bekannte Schriftsteller und Satiriker Mark Twain. Aber keine Angst, ich werde auch auf die Gegenwart eingehen und beginne mit der aktuellen konjunkturellen Lage in Deutschland.
2 Deutschland: aktuelle konjunkturelle Lage
Im Jahr 2014 wuchs die deutsche Wirtschaft um 1,5 Prozent. Dieser Wert liegt über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre und mithin auch über dem Potenzialwachstum. Warum also die Sorgenfalten auf mancher Stirn?
Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die konjunkturelle Entwicklung im vergangenen Jahr sehr ungleichmäßig verlief: Einem sehr starken ersten Quartal, in dem die Wirtschaft vom milden Winterwetter und der geringen Anzahl an Ferientagen profitierte, folgte nicht nur der prompte Gegeneffekt, sondern auch eine anhaltend schwächere konjunkturelle Grunddynamik.
Allerdings: Nach Einschätzung unserer Konjunkturexperten könnte die deutsche Wirtschaft die konjunkturelle Schwächephase schneller überwinden als noch vor einigen Wochen erwartet.
Insgesamt betrachtet sind die wirtschaftlichen Aussichten Deutschlands für 2015 gut: Die Stimmung in der gewerblichen Wirtschaft hat sich aufgehellt. Und das Konsumklima ist ausgesprochen günstig. Die vorteilhafte Lage am Arbeitsmarkt, die guten Einkommensperspektiven und die spürbar gestiegenen Reallöhne fördern die Kauflaune. Die Binnenwirtschaft zeigt sich also in guter Verfassung.
Die deutschen Unternehmen haben ihr Eigenkapital gestärkt, sie sind finanziell überwiegend gut aufgestellt und mit attraktiven Produktpaletten auf den Weltmärkten präsent. Sie sind in der Lage, die Chancen, die sich aus einer Erholung im Euro-Raum und im Welthandel ergeben, zu nutzen.
Auch bei den Staatsfinanzen sind Erfolge zu vermelden: Die öffentlichen Haushalte kamen in 2014 in der Summe praktisch ohne neue Schulden aus.
Um es kurz zu fassen: die Deutsche Bundesbank rechnet damit, dass sich die konjunkturelle Lage in Deutschland relativ zum schwachen zweiten Halbjahr 2014 weiter aufhellt.
Außerdem wirkt der stark gefallene Ölpreis wie ein kleines Konjunkturprogramm. Die Autofahrer unter Ihnen freuen sich, dass das Tanken günstiger ist. Sie können mehr Geld für andere Dinge ausgeben. Und die Unternehmen verzeichnen niedrigere Produktionskosten.
Dieser zusätzliche Anschub für die Wirtschaft ist noch nicht vollständig in unserer Prognose von Anfang Dezember 2014 berücksichtigt.
Im Vergleich zu manchen anderen Ländern im Euro-Raum befindet sich die deutsche Wirtschaft derzeit also in einem guten Zustand.
3 Wachstumsperspektiven der deutschen Volkswirtschaft
Die deutsche Wirtschaft ist in einer vergleichsweise guten Verfassung, weil das Land die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise schneller und besser verkraftet hat als viele andere europäische Länder.
Dazu haben die Strukturreformen am Arbeitsmarkt und die in Angriff genommene Haushaltskonsolidierung beigetragen, aber auch das verantwortungsvolle Verhalten der Tarifparteien und die geringe Verschuldung der Unternehmen.
Deutschland darf sich aber nicht auf der guten Wirtschaftslage ausruhen, denn bedeutende Herausforderungen belasten die langfristigen Wachstumsaussichten.
Insbesondere die ungünstige demographische Entwicklung kann in Zukunft das Wachstum dämpfen. Dem Arbeitsmarkt werden immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Das wiederum dämpft die langfristigen Wachstumsperspektiven, das sogenannte Potenzialwachstum.
Die steigende Lebenserwartung erfordert auch ein höheres Renteneintrittsalter, um die Auswirkungen auf das Rentenniveau, aber auch die Lohnnebenkosten einzudämmen. Mit der schrittweisen Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre wurde dies in Angriff genommen.
Insofern ist die abschlagsfreie Rente mit 63 für langjährig Versicherte ein Schritt in die falsche Richtung, zumal damit vor allem Facharbeiter aus dem Erwerbsleben ausscheiden, die händeringend benötigt werden.
Die Arbeitnehmer sollten stattdessen den Anreiz erhalten, länger zu arbeiten, so wie es der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise vorgeschlagen hat.
Mehr Ältere im Arbeitsleben zu halten wird aber nicht ausreichen, um den alterungsbedingten Rückgang des Arbeitskräftepotenzials auszugleichen.
Zuwanderung von qualifizierten ausländischen Arbeitskräften ist daher wirtschaftspolitisch sinnvoll und notwendig.
Deshalb ist es wichtig, dass Deutschland sich als weltoffenes Land zeigt, das neue Mitbürgerinnen und Mitbürger willkommen heißt und ihnen faire Chancen bietet.
Willkommenskultur und Integration sind aber auch Aufgaben für die gesamte Gesellschaft. Zuwanderer müssen nicht nur in die Arbeitswelt integriert werden, sondern Teil unserer Gesellschaft werden.
Eines scheint mir aber klar zu sein: Zuwanderung in realistischer Größenordnung kann die Auswirkungen des demographischen Wandels in Deutschland lediglich mildern, jedoch keinesfalls aufhalten oder umkehren.
Deshalb bietet die günstige Position der deutschen Wirtschaft heute keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um den Wohlstand auch in Zukunft zu sichern.
Und im Interesse der künftigen Generationen müssen die Grundlagen für den Wohlstand in der Zukunft bereits heute gelegt werden.
Dazu gehören im Übrigen auch solide Staatsfinanzen. Deshalb haben Bundestag und Bundesrat auf Vorschlag der Föderalismuskomission 2009 das Grundgesetz geändert. Die Vorgabe des ausgeglichenen Haushaltes muss für den Bund ab dem Jahr 2016 und für die Länder ab dem Jahr 2020 eingehalten werden.
4 Wo steht die Euro-Zone in der Welt
Die Europäische Union (EU) ist bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen mit ihren 500 Millionen Einwohnern der größte Wirtschaftsraum der Welt. In der EU entsteht gut ein Viertel der weltweiten Wirtschaftsleistung, und damit etwas mehr als in den USA und deutlich mehr als in China.
Nach der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrages startete die Währungsunion mit elf Gründungsmitgliedern. Inzwischen sind weitere acht Staaten dem Euro-Raum beigetreten, zuletzt Litauen am 1. Januar 2015.
Die Währungsunion stellt bekanntlich eine einzigartige Konstruktion aus mittlerweile 19 nationalen, souveränen Finanz- und Haushaltspolitiken und einer gemeinsamen Geldpolitik dar.
Damit unterscheidet sich die Währungsunion von den meisten anderen Währungsräumen: In den USA gibt es eine einheitliche Währung und eine gemeinsame Finanzpolitik. Dasselbe gilt in Japan und China. Im Euro-Raum gibt es eine gemeinsame Geldpolitik, aber 19 unterschiedliche Finanz- und Haushaltpolitiken.
Um diesen gemeinsamen Währungsraum stabil zu halten, wurde mit dem Maastricht-Vertrag ein einheitliches Regelwerk erarbeitet. Jedes Euro-Land hat in freier nationaler Souveränität durch seinen Euro-Beitritt entschieden, sich diesem Regelwerk zu unterwerfen.
Damit die gemeinsame Geldpolitik ungehindert von politischer Einflussnahme ihren Auftrag erfüllen kann, Preisstabilität im Euro-Raum zu gewährleisten, wurde dem Eurosystem eine weitreichende Unabhängigkeit gewährt.
Zur Sicherung dieser Unabhängigkeit wurde den Notenbanken des Eurosystems außerdem verboten, den Regierungen Kredit zu geben oder Staatsanleihen direkt zu erwerben.
Außerdem haben sich die Regierungen der Euro-Länder zu solider Haushaltspolitik verpflichtet, denn übermäßige öffentliche Verschuldung kann die Stabilität der gemeinsamen Währung gefährden.
Schließlich wurde auch festgelegt, dass kein Land für die Schulden der Gemeinschaft oder die eines anderen Mitgliedstaates haften soll. Das sollte die finanzpolitische Eigenverantwortung betonen. Diese Regeln sollen die Grundlage für solide Staatsfinanzen schaffen.
Dieser Ordnungsrahmen hat sich jedoch als anfällig erwiesen. Mit zahlreichen Maßnahmen haben die Euro-Staaten und das Eurosystem eine Eskalation der Krise verhindert. Mit diesen Maßnahmen wurden aber Elemente der Gemeinschaftshaftung eingeführt, und damit das Gleichgewicht aus fiskalpolitischer Kontrolle und Haftung gestört.
Um die Währungsunion dauerhaft als Stabilitätsunion zu bewahren, müssen wir deshalb die Balance von Kontrolle und Haftung wieder herstellen.
Hierzu muss der bestehende Ordnungsrahmen der Währungsunion gehärtet und das Prinzip der Eigenverantwortung gestärkt werden. Um es mit den Worten von Walter Eucken zu sagen: „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“
Alle diese Maßnahmen können den gemeinsamen Währungsraum aber nur dauerhaft stabilisieren, wenn die Mitgliedstaaten gleichzeitig ihren Beitrag leisten, um wettbewerbliche Wirtschaftsstrukturen und solide Staatsfinanzen zu schaffen.
In jedem europäischen Krisenland sind die Ursachen und Probleme anders gelagert. In allen Fällen gilt aber, dass der Schlüssel zur Überwindung der Krise in den betroffenen Ländern selbst und nicht in der Geldpolitik liegt.
Zweifellos sind in den Krisenländern beträchtliche Anpassungsanstrengungen unternommen worden. Viele Länder sind bereits einen Gutteil der Wegstrecke gegangen.
Umso bedenklicher wäre es, wenn das Erreichte aufs Spiel gesetzt und Reformfortschritte zurückgedreht würden.
5 Aktuelle Entwicklungen in der Geldpolitik
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sie haben in letzter Zeit sicher mit Spannung die Berichterstattung über die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verfolgt.
Das Eurosystem hat in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Maßnahmen einen bedeutenden Teil dazu beigetragen, eine Eskalation der Krise im Euro-Raum zu verhindern.
Die Nachwehen dieser Krise sind in manchen Euro-Ländern noch deutlich spürbar. Die Konjunkturentwicklung im Euro-Raum ist gedämpft, auch weil die notwendigen Reformen in einigen Krisenländern noch Zeit benötigen, um ihre volle Wirkung zu entfalten.
Die ohnehin schwache Preisdynamik wird zusätzlich durch den drastischen Rückgang des Ölpreises noch weiter gebremst. Zuletzt war die Inflationsrate sogar negativ. Eine lockere Geldpolitik ist in einem solchen Umfeld also durchaus gerechtfertigt.
Ein vorübergehender, durch sinkende Ölpreise verursachter Rückgang der Inflationsrate bedeutet aber nicht, dass eine Deflation vorläge: Die Gefahr einer Deflation, also einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen, einem Einbruch der Wirtschaftsleistung und zurückgehenden Löhnen, ist derzeit als sehr gering einzuschätzen.
Um einer Phase zu lange zu niedriger Inflationsraten und befürchteten Gefahren für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik entgegenzutreten, hat der EZB-Rat am 22. Januar 2015 eine außergewöhnliche Entscheidung getroffen: den großvolumigen Ankauf von Staatsanleihen.
Das Eurosystem plant, bis mindestens September 2016 Wertpapiere im Gesamtwert von 1,14 Billionen Euro anzukaufen – in jedem Monat 60 Milliarden Euro. Unter den Wertpapieren sind jedoch nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Asset Backed Securities und Covered Bonds, die das Eurosystem schon seit einigen Monaten ankauft.
Es ist kein Geheimnis, dass die Bundesbank dem beschlossenen Ankaufsprogramm von Staatsanleihen aus mehreren Gründen kritisch gegenübersteht.
Allerdings will ich auch konstatieren, dass der EZB-Rat Einschränkungen beschlossen hat, die die bilanziellen Risiken der Käufe begrenzen sollen. Die Notenbanken des Eurosystems haften nur für einen kleinen Teil des Programms gemeinschaftlich. Zusammen mit anderen Ausgestaltungsmerkmalen mindert dies einige der Probleme von Staatsanleihekäufen.
6 Schluss
Meine Damen und Herren,
Mark Twain hat einmal gesagt: "Eine gute Rede hat einen guten Anfang und ein gutes Ende – und beide sollten möglichst dicht beieinander liegen"
. Darum möchte ich Ihre Aufmerksamkeit nicht länger auf die Probe stellen und nun zum Ende meines Vortrags kommen.
Eine erfolgreiche Notenbank und eine erfolgreiche Währung benötigen mehr als viele andere öffentliche Institutionen das Vertrauen der Menschen und der Märkte. Vertrauen ist auch die Basis für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, es ist quasi das "Betriebskapital" einer Notenbank.
Vertrauen lässt sich am besten durch den persönlichen Austausch bei Gesprächen schaffen. Darum freue ich mich schon auf die Gespräche mit Ihnen.