Schwerpunkte des Monatsberichts Juni
Perspektiven der deutschen Wirtschaft – Gesamtwirtschaftliche Vorausschätzungen für die Jahre 2015 und 2016 mit einem Ausblick auf das Jahr 2017
Die deutsche Wirtschaft hat sich von der konjunkturellen Schwäche Mitte des vergangenen Jahres schneller als erwartet erholt und ist auf einen von der Binnen- und Außennachfrage gestützten Wachstumspfad zurückgekehrt. Die Binnenwirtschaft profitiert von der guten Arbeitsmarktlage und den kräftigen Einkommenszuwächsen. Das Auslandsgeschäft wird zwar gegenwärtig durch dämpfende Effekte aus der Weltwirtschaft beeinträchtigt, dem stehen aber die Euro-Abwertung und die sich festigende konjunkturelle Erholung des Euro-Raums gegenüber. Zudem dürfte die Weltwirtschaft wieder an Schwung gewinnen.
Unter diesen Bedingungen könnte die deutsche Wirtschaft nach einer Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,7% im laufenden Jahr im kommenden Jahr um 1,8% und im darauf folgenden Jahr um 1,5% expandieren. In kalenderbereinigter Rechnung entspräche dies Expansionsraten von 1,5% im Jahr 2015 und jeweils 1,7% in den Jahren 2016 und 2017. Da die erwarteten Zuwächse das geschätzte Potenzialwachstum von 1,2% pro Jahr übertreffen, dürfte der Nutzungsgrad der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten spürbar ansteigen und am Ende des Prognosehorizonts die Normalauslastung deutlich übertreffen. Damit geht einher, dass Reserven am Arbeitsmarkt mobilisiert werden und die Löhne mittelfristig stärker ansteigen.
Für die Staatsfinanzen zeichnen sich vor diesem Hintergrund weiterhin Überschüsse in einer Größenordnung von 0,5% des BIP ab. Dabei überdecken die anziehende Konjunktur und weiter sinkende Zinsausgaben die grundsätzlich expansive Ausrichtung der Finanzpolitik. Der Preisanstieg auf der Verbraucherstufe dürfte sich verstärken, zunächst unter dem Einfluss der Euro-Abwertung gegenüber wichtigen Währungen; später dürfte zunehmend der binnenwirtschaftliche Kostenauftrieb zum Tragen kommen. Gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) könnte sich die Preissteigerungsrate von 0,5% im laufenden Jahr auf 1,8% im kommenden Jahr und 2,2% im darauf folgenden Jahr erhöhen. Ohne Energie gerechnet würde die Rate von 1,2% im Jahr 2015 auf 2,2% im Jahr 2017 steigen.
Gegenüber der Projektion vom Dezember 2014 wurde vor allem für das laufende Jahr die Erwartung für das Wirtschaftswachstum deutlich angehoben und hinsichtlich des Preisanstiegs erheblich zurückgenommen. Wichtige Gründe hierfür waren der kräftige Rückgang der Rohölnotierungen und die Abwertung des Euro. Für den Prognosezeitraum wird unterstellt, dass die Rohölnotierungen nur leicht steigen und die Wechselkurse unverändert bleiben. Sollte der Euro kräftig aufwerten, ergäben sich konjunkturelle Abwärtsrisiken. Weitere außenwirtschaftliche Risiken resultieren aus den Verwundbarkeiten einiger aufstrebender Volkswirtschaften und den geopolitischen Spannungen. In Bezug auf die wirtschaftliche Erholung des Euro-Raums sind Rückschlagsgefahren noch nicht gebannt. Aus binnenwirtschaftlicher Sicht stellen zunehmende Verknappungen am Arbeitsmarkt ein angebotsbedingtes Risiko für das Wirtschaftswachstum dar. Dies könnte sich auch in einem verstärkten Preisauftrieb äußern.
Inflationserwartungen: neuere Instrumente, aktuelle Entwicklungen und wesentliche Einflussfaktoren
Erwartungen über die zukünftige Entwicklung der Inflation sind ein wichtiger Indikator zur Beurteilung der Wirksamkeit und der Glaubwürdigkeit der Geldpolitik. Sie lassen sich aus Umfragen oder aus Finanzmarktinstrumenten wie inflationsindexierten Anleihen oder Inflationsswaps ermitteln. Die so bestimmten Erwartungen sind meist Punktprognosen.
Das noch junge Finanzmarktinstrument „Inflationsoption“ ermöglicht es, darüber hinauszugehen und sogenannte risikoneutrale oder präferenzgewichtete Wahrscheinlichkeitsverteilungen abzuleiten. Solche Verteilungen erlauben Aussagen darüber, mit welcher Streuungsbreite Marktteilnehmer die Punktprognosen versehen, ob sie die Risiken, den Mittelwert zu verfehlen, symmetrisch einschätzen und für wie wahrscheinlich sie es halten, dass außergewöhnlich hohe oder niedrige Inflationsraten eintreffen.
Eine Studie, die den Zeitraum zwischen 2009 und 2014 umfasst, zeigt, dass die Eintrittswahrscheinlichkeiten für zukünftige Inflationsraten im Zeitablauf nicht immer gleich auf makroökonomische Daten und geldpolitische Ankündigungen reagierten. Zudem lässt sich beobachten, dass mit der Intensivierung der Staatsschuldenkrise auch die Unsicherheit der Marktteilnehmer über die künftige Inflationsentwicklung im Euro-Raum angestiegen ist.
Im vergangenen Jahr sanken vor allem die langfristigen marktbasierten Inflationserwartungen deutlich, stiegen nach dem Jahreswechsel aber wieder etwas an, und zwar nicht nur im Euro-Raum, sondern auch in den USA und im Vereinigten Königreich. In diesem Zusammenhang wird häufig auf einen stärkeren Einfluss der Ölpreise hingewiesen. Ob dieser Einfluss jedoch über die Zeit bestehen bleibt, ist derzeit noch nicht abschließend zu beurteilen. Der geringere, vor allem in Finanzmarktdaten erfasste Erwartungswert und die größere Schwankungsbreite der Inflationserwartungen sollten vor dem Hintergrund der großen Bedeutung fest verankerter Inflationserwartungen für eine auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik gründlich analysiert werden.
Marktfähige Finanzierungsinstrumente von Banken und ihre Bedeutung als Sicherheiten im Eurosystem
Begünstigt durch Maßnahmen zur Finanzmarktförderung und den europäischen Integrationsprozess konnte die marktbasierte Finanzierung von Banken mit Beginn der Währungsunion zum traditionellen Einlagengeschäft aufschließen. Das Eurosystem akzeptiert einen Großteil der marktfähigen Finanzierungsinstrumente von Banken als Sicherheit in seinen Refinanzierungsgeschäften. Dies ist Ausdruck eines geldpolitischen Handlungsrahmens, der durch ein breites Spektrum an Sicherheiten und einen breiten Zugang von Banken zu den Refinanzierungsgeschäften die Gleichbehandlung der Geschäftspartner im Euro-Raum fördern soll.
Die Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems sind dabei grundsätzlich umfangreiche kurzfristige Kreditgeschäfte, für die Banken entsprechend notenbankfähige Aktiva zur Besicherung vorhalten. Die Tatsache, dass ein breiter Kreis von Vermögenswerten notenbankfähig ist, unterscheidet das Eurosystem wesentlich von vielen anderen Zentralbanken.
In der seit über sieben Jahren andauernden Finanz- und Staatsschuldenkrise unterstützte das Eurosystem vielfältig die Märkte für Finanzierungsinstrumente der Banken. Dabei versuchte es, gravierende Engpässe bei der Verfügbarkeit von Sicherheiten sowie ihre marktdestabilisierenden Folgen zu vermeiden und gleichzeitig die eigenen Risikokontrollmaßnahmen auf einem ausreichend hohen Niveau zu erhalten. Grundsätzlich darf dieser Einfluss auf die Ausgestaltung und Verwendung von marktfähigen Finanzierungsinstrumenten der Banken jedoch kein Ersatz für notwendige Anpassungen im Bankensektor sein. Perspektivisch und zumindest vorübergehend könnte für Banken die Notwendigkeit sinken, für regelmäßige Refinanzierungsgeschäfte notenbankfähige Wertpapiere vorzuhalten, wenn das Eurosystem im Rahmen des erweiterten Ankaufprogramms größere und längerfristige Wertpapierbestände erworben und auf diesem Weg umfangreiche Liquidität bereitgestellt hat. Dagegen wird das sich im Zuge der Krise entwickelnde regulatorische Umfeld einen wachsenden Einfluss auf die marktfähigen Finanzierungsinstrumente der Banken nehmen.