Schwerpunkte des Monatsberichts Juli
Wechselkurse und Finanzstress
Wechselkurse unterliegen in Zeiten hoher Anspannung an den internationalen Finanzmärkten erfahrungsgemäß größeren Schwankungen. Häufig werten dann die Währungen von Staaten, in denen die Zinsen vergleichsweise hoch sind, stark und abrupt ab. Das Gegenteil ist bei Niedrigzinswährungen zu beobachten. Im Zuge der globalen Finanzkrise legten beispielsweise Währungen wie der Schweizer Franken, der Yen oder der US-Dollar zumindest phasenweise kräftig an Wert zu, während andere Währungen wie der Australische Dollar, der Kanadische Dollar und die Währungen vieler Schwellenländer deutlich abwerteten. Als sich die Staatsschuldenkrise im Euro- Raum im Verlauf des Jahres 2011 zuspitzte, gewann der Schweizer Franken gegenüber dem Euro so stark an Wert, dass er annähernd Parität erreichte. Die Schweizerische Nationalbank kündigte daraufhin im Herbst 2011 sogar an, im Bedarfsfall unbeschränkt Devisen zu kaufen, um einen Mindestkurs von 1,20 Franken pro Euro durchzusetzen.
Der aktuelle Monatsbericht diskutiert verschiedene Erklärungsansätze für diese deutlichen Wechselkursbewegungen in Krisenzeiten. Dazu zählt zum einen die Rückabwicklung sogenannter Currency Carry Trades, also spekulativer Geschäfte, im Rahmen derer Investoren auf der Suche nach höherer Rendite internationale Zinsdifferenzen auszunutzen versuchen. Zum anderen wird häufig auf "Safe Haven"-Flüsse verwiesen, also auf Kapitalströme, die darauf zurückzuführen sind, dass Anleger ihr Kapital in einem bestimmten Währungsraum in Krisenzeiten für relativ sicher angelegt halten.
Da der Begriff einer "Safe Haven"-Währung nicht immer einheitlich verwendet und der Status als "Safe Haven"-Währung in verschiedenen Situationen unterschiedlichen Währungen zugeschrieben wird, wird zudem ein empirischer Ansatz zur Identifikation von "Safe Haven"- Währungen vorgestellt. Auf Basis der empirischen Ergebnisse können der Schweizer Franken und der US-Dollar als "Safe Haven"-Währungen bezeichnet werden. Für sich genommen steigen ihre Kurse, wenn die globale Aktienmarktrendite in Zeiten hohen Finanzstresses sinkt. Aufwertungen des Yen in Krisenzeiten scheinen indes in erster Linie auf die Rückabwicklung von Carry Trades zurückzuführen zu sein. Ein darüber hinausgehender Zusammenhang zwischen der Wechselkursänderungsrate und der globalen Aktienmarktrendite kann für den Yen dagegen nicht bestätigt werden.
Für den Euro deuten die Resultate des Modells auf keine krisenspezifische Reaktion hin. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Beobachtung, dass der Euro selbst zu Hochzeiten der Staatsschuldenkrise gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner nur vergleichsweise wenig an Wert verloren hat.
Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung und Herausforderungen für die Zukunft
In der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland sind rund 85% der Bevölkerung versichert. Mit Ausgaben in Höhe von fast 200 Mrd € ist sie nach der Rentenversicherung der zweitgrößte Sozialversicherungszweig. In den vergangenen zehn Jahren lag ihr Ausgabenanstieg deutlich über dem der übrigen großen Sozialversicherungszweige, obwohl wiederholte Eingriffe des Gesetzgebers in das Leistungsrecht erfolgten. Aufgrund der schwächeren Zunahme der beitragspflichtigen Einkommen musste der Beitragssatz deutlich angehoben werden, und zusätzlich wurden erheblich mehr Mittel aus dem Bundeshaushalt überwiesen. Derzeit scheint die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung angesichts hoher Rücklagen bei den Kassen und beim Gesundheitsfonds entspannt. Dabei hat sich der Trend aber bereits wieder umgekehrt. Schon im laufenden Jahr ist mit Defiziten und einem Abschmelzen der finanziellen Reserven zu rechnen. Bei anhaltend kräftiger Ausgabenentwicklung werden die Beitragssätze perspektivisch steigen müssen.
Die gesetzliche Krankenversicherung ist durch eine hohe Komplexität und zahlreiche starke Interessengruppen gekennzeichnet. Obwohl in den letzten Jahren grundlegende Reformen diskutiert wurden, kam es letztlich nur zu graduellen Veränderungen. Weiterhin sind Ansatzpunkte vorhanden, um die Effizienz zu steigern und die Verteilungsmechanismen transparenter und zielgerichteter zu gestalten. Hierzu könnten eine stärkere Verlagerung der Einkommensumverteilung in das Steuer und Transfersystem der Gebietskörperschaften und eine nachvollziehbare Kopplung der Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt an konkret spezifizierte versicherungsfremde Leistungen einen Beitrag leisten. Mehr Transparenz bezüglich der jeweiligen Kosten für die Patienten wie auch des therapeutischen Wertes verfügbarer Leistungen könnten ebenso die Wirtschaftlichkeit des Systems steigern wie eine weitere Stärkung der Eigenbeteiligung. Letztlich wird der Gesetzgeber gefordert bleiben, den Kostendruck im Gesundheitswesen zu bremsen. Angesichts der demografischen Veränderungen wird es auch darauf ankommen, die Finanzierungsbasis durch eine stärkere Erwerbsbeteiligung zu stabilisieren. Ein entsprechend der zunehmenden Lebenserwartung steigendes gesetzliches Rentenalter ist auch in diesem Sinne hilfreich, erweiterte Frühverrentungsmöglichkeiten dagegen kontraproduktiv.
Bedeutung der Versicherungswirtschaft für die Finanzstabilität
Ein stabiles und effizientes Finanzsystem zeichnet sich dadurch aus, dass es seine zentralen ökonomischen Funktionen jederzeit erfüllen kann. Versicherer sichern Unternehmen, Finanzinstitutionen, private Haushalte und staatliche Stellen gegen finanzielle Risiken ab und erfüllen insofern eine kritische Funktion des Finanzsystems. Der Ausfall dieser kritischen Funktionen träfe die Realwirtschaft unmittelbar. Zugleich sind Versicherer in hohem Maße mit anderen Finanzintermediären verflochten. Versicherer können beispielsweise von Solvenzproblemen im Bankensektor angesteckt werden. Denkbar ist aber auch, dass Versicherer selbst Risiken auf das übrige Finanzsystem übertragen. Im Monatsbericht Juli werden empirische Analysen der Bundesbank zur Risikoübertragung von Versicherern auf das Finanzsystem und die Realwirtschaft dargestellt.
Für den Lebensversicherungssektor ergeben sich aus den aktuell vorherrschenden niedrigen Zinsen Risiken. Der Gesetzgeber hat mit dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) ein Reformpaket verabschiedet, das diesen Risiken begegnen soll. Insbesondere die Beteiligung der Versicherten an den stillen Reserven bei festverzinslichen Kapitalanlagen (Bewertungsreserven) wurde neu geregelt. Die vormalige Regelung ließ stille Lasten auf der Passivseite der Bilanz der Lebensversicherer, die sich wegen der aktuell sehr niedrigen Zinsen stark erhöht haben, bei der Beteiligung der Versicherten unberücksichtigt.
Mit einer Szenarioanalyse können die Auswirkungen des LVRG auf die Solvabilität der Lebensversicherer und die Finanzstabilität beurteilt werden. Die Berücksichtigung der stillen Lasten bei der Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven mindert in einem Stressszenario, in dem das Niedrigzinsumfeld stärker wirksam wird, die Zahl der Versicherer, die bis zum Jahr 2023 die Eigenmittelanforderungen nach Solvency I nicht mehr erfüllen würden. Der Marktanteil dieser gefährdeten Unternehmen, gemessen an den Beitragseinnahmen, geht in der Simulation und unter den dort gesetzten Annahmen bis zum Jahr 2023 von rund 43% auf knapp 17% zurück. Insgesamt kann das Maßnahmenpaket dazu beitragen, die Stabilität der deutschen Lebensversicherer in einem lang anhaltenden Niedrigzinsumfeld zu erhöhen.
Die Konzernabschlussstatistik als Beitrag zur erweiterten Unternehmensanalyse: Konzeption und erste Ergebnisse
Im nichtfinanziellen Unternehmenssektor der deutschen Wirtschaft haben sich bereits seit Längerem neben einem breiten Bereich von kleinen und mittleren Firmen vielgestaltige Unternehmensgruppen etabliert, in denen rechtlich selbständige Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit im Rahmen eines Konzerns bilden. Grenzüberschreitend tätige Unternehmensgruppen sind ein starkes Bindeglied zwischen inländischen und ausländischen Beschaffungs- und Absatzmärkten, Produktionsstandorten und Finanzsystemen und verkörpern damit zugleich einen spezifischen Übertragungskanal im internationalen Konjunkturzusammenhang.
Hieraus ergeben sich erweiterte empirische Fragestellungen auf gesamtwirtschaftlicher und makroprudenzieller Ebene, die den Rahmen der traditionellen, auf rechtlich selbständigen Einheiten des nationalen Wirtschaftsraumes basierenden Unternehmensabschlussstatistik überschreiten. Die neue Konzernabschlussstatistik der Bundesbank stellt hierfür vierteljährliche Angaben zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in Deutschland tätiger nichtfinanzieller Unternehmensgruppen bereit. Die Zeitreihen beginnen im Jahr 2005 und beruhen auf Konzernabschlüssen von derzeit etwa 260 im Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse notierten nichtfinanziellen Unternehmen.
Die Konzernabschlussstatistik bereitet Daten und Kennzahlen sowohl aus der Bilanz als auch der Gewinn- und Verlustrechnung der großen deutschen Unternehmensgruppen unter Einschluss ihrer weltweit tätigen Tochtergesellschaften auf. Im Unterschied zu den HGB-Abschlüssen der Einzelunternehmen, die in die Jahresabschlussstatistik eingehen, werden die Konzernabschlüsse der börsennotierten Unternehmensgruppen nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften (International Financial Reporting Standards: IFRS) aufgestellt und bilden konzerninterne Transaktionen sowie Kapitalverflechtungen und Schuldbeziehungen nicht ab.
Die Konzernabschlussstatistik weist grundlegende Strukturunterschiede zu den hochgerechneten Einzelabschlüssen auf. In der Bilanzbetrachtung nehmen bei den Konzernen die langfristigen Aktiva ebenso wie die langfristigen Passiva ein deutlich höheres Gewicht ein als in den Einzelabschlüssen. Darüber hinaus fallen die immateriellen Vermögenswerte, insbesondere der Goodwill, stark ins Gewicht. Die Bilanzrelationen zeigen im Zeitablauf ein relativ stabiles Profil; die Eigenkapitalquote beträgt im Durchschnitt ansehnliche 30%.
Die starke Einbindung der deutschen Konzerne in die Weltwirtschaft lässt sich besonders deutlich an ihrer Umsatzentwicklung und Ertragslage ablesen. Dadurch sind die Gewinne anfälliger gegenüber globalen Schocks, wie die starken Ertragseinbrüche während der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende 2008 und im Jahr 2009 zeigen. Die Konzerne konnten sich danach sehr rasch erholen und zu einer hohen Profitabilität zurückkehren. Seit dem Jahr 2012 weisen die Umsätze eine gewisse Seitwärtsbewegung auf. Hierbei dürften die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Schuldenkrise im Euro- Raum ebenso eine Rolle gespielt haben wie die insgesamt langsamere Gangart der Weltkonjunktur.