Brief des Präsidenten an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesbank

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in den vergangenen Jahren habe ich mich immer wieder persönlich an Sie gewendet. Das möchte ich auch heute wieder tun.

Die Zeit, seit ich das Amt des Bundesbankpräsidenten übernommen habe, war ereignisreich. Das Umfeld, in dem wir operieren, hat sich massiv verändert und die Aufgaben der Bundesbank sind gewachsen. Die Finanzkrise, die Staatsschuldenkrise und zuletzt die Pandemie haben in Politik und Geldpolitik zu Entscheidungen geführt, die lange nachwirken werden.

Mir war es dabei immer wichtig, dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt. Mit viel Sachkenntnis haben sich die Fachbereiche in die Diskussionen um die richtigen Lehren aus der Krise und um den Ordnungsrahmen der Währungsunion eingebracht. Wichtige regulatorische Änderungen sind beschlossen worden. Die Neuordnung der Bankenaufsicht in Europa hat nicht nur zu komplett neuen Aufsichtsstrukturen bei der EZB, sondern auch zu einer gestärkten Rolle der Bundesbank geführt. Auch die neuen Verantwortlichkeiten der Bundesbank im Bereich der Finanzstabilität unterstreichen unsere zentrale Rolle, wenn es um ein funktionsfähiges Finanzsystem geht.

Die Geldpolitik hat in all dieser Zeit eine bedeutende, stabilisierende Rolle gespielt. Die zahlreichen geldpolitischen Notmaßnahmen waren jedoch auch mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden und im andauernden Krisenmodus wurde das Koordinatensystem der Geldpolitik verschoben.

Meinen Kolleginnen und Kollegen im EZB-Rat unter der Führung von Christine Lagarde gebührt Dank für die offene und konstruktive Atmosphäre in den zuweilen schwierigen Diskussionen der vergangenen Jahre. Trotz der Belastungen durch die Pandemie ist es gelungen die Strategiediskussion als wichtigen Meilenstein der europäischen Geldpolitik erfolgreich abzuschließen. Als Bundesbank haben wir unsere analytische Kompetenz und unsere Grundüberzeugungen selbstbewusst in den Überprüfungsprozess eingebracht. Es ist ein symmetrisches, klareres Inflationsziel vereinbart worden. Nebenwirkungen und insbesondere Finanzstabilitätsrisiken sollen stärker in den Blick genommen werden. Ein gezieltes Überschießen der Inflationsrate wurde verworfen. Und das Eurosystem nimmt in Zukunft stärker Klimarisiken in den Blick. Das alles sind Punkte, die mir wichtig waren.

Wie so oft kommt es nun darauf an, wie diese Strategie durch konkrete geldpolitische Entscheidungen „gelebt“ wird. Dabei wird es entscheidend sein, nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren. Und Krisenmaßnahmen mit ihrer außergewöhnlichen Flexibilität sind nur in der Notsituation, für die sie geschaffen wurden, verhältnismäßig. Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik wird dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion die Einheit von Handeln und Haften sichert, die Geldpolitik ihr enges Mandat achtet und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerät. Dies bleibt meine feste persönliche Überzeugung genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängigkeit der Geldpolitik.

Gleichzeitig hat sich die Bank intern gewandelt. Gemeinsam haben wir eine Kultur der Offenheit geschaffen, in der wir uns mit Wertschätzung und Respekt begegnen, unabhängig davon, ob wir jetzt in der Zentrale, den Hauptverwaltungen oder den Filialen arbeiten. Diesen Weg haben alle meine Kolleginnen und Kollegen im Vorstand mitgestaltet, dafür gilt ihnen mein besonderer Dank. Es ging mir immer darum, dass wir uns als „eine Bank“ wahrnehmen, die nur dann ihre wichtigen Aufgaben gut erledigen kann, wenn alle Teile das Ihre dazu beitragen und Gehör finden. Und ich glaube, wir sind hier ein gutes Stück vorangekommen.

Verändert hat sich auch unsere Öffentlichkeitsarbeit: Die Bundesbank hat sich in den vergangenen Jahren als transparente, nahbare und vor allem kompetente Institution präsentiert, der die Menschen vertrauen können. Das haben die „Tage der offenen Tür“ und zahlreiche andere Publikumsveranstaltungen gezeigt. Durch die Digitalisierungsinitiative und die Arbeit des KADi ist die Bank gleichzeitig agiler und flexibler geworden, und arbeitet – nicht nur hier – besser bereichsübergreifend zusammen. Andere Projekte konnten in dieser Zeit nur begonnen und vorschattiert, nicht aber abgeschlossen werden. Das gilt für den neuen Campus und die „neuen Arbeitswelten“ ebenso wie für die Arbeiten zum digitalen Euro.

Ich schreibe Ihnen all dies, weil ich davon überzeugt bin, dass wir gemeinsam in den vergangenen Jahren viel erreicht haben und ich Ihnen dafür danken möchte. Dank dafür, dass Sie den Wandel der Bank zu mehr Offenheit und einem wertschätzenden Miteinander unterstützt haben. Dank dafür, dass Sie Ihre Kompetenz, Ihre Ideen und Ihre Lebenszeit in unsere internen Diskussionen, die Gremienarbeit im Eurosystem und die Außendarstellung der Bank eingebracht haben – auch unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie.

Es war mir in all den Jahre eine Ehre und eine Herzensangelegenheit die Institution Bundesbank – und damit auch Sie alle – zu vertreten und gemeinsam mit Ihnen die Positionen der Bank im Interesse einer stabilen Währung, eines stabilen Finanzsystems, stabiler Zahlungsverkehrssysteme und einer sicheren Bargeldversorgung zu gestalten. Ich kenne keine andere Institution, in der so viel Sachkenntnis mit so viel Engagement für die vielfältigen wichtigen öffentlichen Aufgaben zusammentrifft.

Umso schwerer ist mir die Entscheidung gefallen, den Bundespräsidenten zum 31. Dezember 2021 um meine Entlassung aus dem Amt zu bitten. Aber ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als 10 Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich.

Ich wünsche Ihnen weiterhin Beharrlichkeit, Fortune aber auch Freude bei Ihren wichtigen Aufgaben. Bleiben Sie eine hörbare Stimme der Vernunft in den öffentlichen Diskussionen und bewahren Sie das wichtige stabilitätspolitische Erbe der Bundesbank, das diese Institution so einzigartig macht. Gleichzeitig hoffe ich, dass Sie mir gewogen bleiben und versuchen, meine Entscheidung zu verstehen.


Mit herzlichem Gruß

Ihr

Jens Weidmann