Wie stabil sind die Banken, Frau Buch? Interview mit der Süddeutschen Zeitung

Das Gespräch mit Claudia Buch führten Meike Schreiber und Markus Zydra.

Können Sie als Bankenaufseherin den Bankern trauen, dass die Sie nicht anlügen?

Aufsicht und Banken haben unterschiedliche Ziele und Interessen - dessen muss man sich bewusst sein. Zudem ist eine Bank kein monolithischer Block. Es gibt dort ein Risikomanagement, das warnt, wenn andere Bereiche Verlustrisiken zu wenig beachten. Wir müssen diese internen Kräfte stärken, auch der Aufsichtsrat hat eine wichtige Rolle. Man darf aber nicht naiv sein, sicherlich ist die Aufsicht nicht bei allen beliebt. Damit können wir umgehen.

Sie halten das Finanzsystem für verwundbar, andere Bankenkontrolleure dagegen beschwichtigen. Sind Sie übertrieben pessimistisch?

Nein. Hier spricht die Aufsicht insgesamt eine sehr klare Sprache. Das europäische Bankensystem ist gut kapitalisiert, die Banken sind liquide. Sie erfüllen die vorgeschriebenen Quoten. Aber gleichzeitig ist das System verwundbarer als noch vor einigen Jahren. Die Wirtschaft wurde von schweren Schocks getroffen. Die Kreditrisiken sind aber gering geblieben, auch wegen umfangreicher fiskalischer Maßnahmen. Daher besteht die Gefahr, dass die Banken künftige Risiken unterschätzen.

Welche Risiken könnten das sein?

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Transformation. Die Unternehmen müssen mit höheren Energiepreisen, gestiegenen Zinsen und geopolitischen Risiken umgehen. Die meisten Unternehmen werden dies gut meistern - einige aber auch nicht. Kreditrisiken dürften daher zunehmen. Bereits jetzt sind die Zinsen stark gestiegen. Das setzt die Banken Zinsänderungsrisiken aus: Forderungen werden neu bewertet, Finanzierungskosten steigen. Kurzfristig führt das zu Belastungen der Banken. Und die Gefahr von Cyberangriffen ist gestiegen. Diese Risiken müssen die Institute gut managen.

Die Credit Suisse hatte die Quoten für Liquidität und Kapital ja auch erfüllt und trotzdem ist sie im März umgefallen. Kann es also jede Bank treffen?

Dann würde der Bankenmarkt nicht funktionieren. Bankenkrisen können auftreten, wenn Fehler im Risikomanagement der Banken mit negativen externen Entwicklungen zusammentreffen - wie einem plötzlichen Zinsanstieg. Daher sehen wir Aufseher nicht nur auf Kapital- und Liquiditätskennziffern, sondern überwachen auch das Risikomanagement der Banken.

Sind Investmentbanken wie die Credit Suisse besonders gefährdet?

Das würde ich nicht sagen. Gerade die jüngsten Schieflagen in den USA zeigen uns ja, dass Risiken im klassischen Bankgeschäft lauern können. Die US-Regionalbanken, die in Schieflage geraten sind, haben vor allem Zinsänderungsrisiken nicht richtig gemanagt.

Risiken kommen doch oft aus unbekannten Ecken. Bräuchte es daher nicht noch mehr Eigenkapital als Verlustpuffer, statt Tausende Seiten Regeln, die dann doch an der Sache vorbeigehen?

Tatsächlich ist die Regulierung komplex - denn sie muss Risiken gut abbilden. Wenn die Regeln einfacher sein sollten, dann müssten die Banken als Gegenleistung höhere Kapitalanforderungen erfüllen. Wir sollten aber jetzt erst einmal in Europa die international beschlossenen Basel-III-Regeln für das Eigenkapital wie geplant umsetzen und das System nicht durch weitere Ausnahmen noch komplexer machen. Das stärkt die europäischen Banken.

"Basel III" steht für strengere Kapitalregeln. Die Bankenlobby tut alles, um diese abzuschwächen. Nimmt die Branche ihre Verantwortung wahr? Schließlich besteht die Gefahr, dass am Ende wieder der Steuerzahler retten muss.

Lobbyismus ist grundsätzlich okay - jeder darf öffentlich seine Position vertreten. Aber im Finanzsektor gibt es ein gewisses Ungleichgewicht, weil die Themen sehr komplex sind. Die Branche hat daher einen Vorteil, den andere zivilgesellschaftliche Gruppen nur schwer ausgleichen können. Diese finden oft weniger Gehör. Wir brauchen also stärkere Stimmen auf der anderen Seite, die breitere gesellschaftliche Interessen vertreten.

Man kann den Eindruck gewinnen, Berater und Banker hätten ein Interesse an diesem komplexen Regulierungssystem. Die Berater, weil sie davon profitieren, die Banken, weil sie sich schönrechnen können. Falsch?

Es kann sein, dass Berater wenig Interesse an einfacheren Systemen haben, weil dann ihre Leistungen weniger nachgefragt würden. Grundsätzlich brauchen wir Modelle, um Risiken und Kapitalbedarf zu berechnen. Schon bei der Zulassung der Modelle legen wir strenge aufsichtliche Maßstäbe an, damit Risiken von den Banken nicht gering gerechnet werden können. Zudem hat die europäische Aufsicht die Modelle der Banken umfassend geprüft, Mängel aufgedeckt und behoben. Auch Basel III mindert den Einfluss der internen Modelle.

Der Kollaps der Credit Suisse wirft auch die Frage auf, ob das Too-big-to-fail-Problem gelöst ist, also ob große Banken abgewickelt werden können ohne Staatshilfe. In der Schweiz hat es nicht funktioniert. Was taugen die Abwicklungspläne, die Banken seit der Finanzkrise einreichen müssen?

Wir haben schon einiges bei der Verbesserung von Abwicklungsregimen erreicht. Zentral ist, dass Eigentümer und Gläubiger für Verluste haften müssen. Steuerzahler und Einleger werden so geschützt. Wir sehen, dass diese Reformen wirken und Risiken besser eingepreist werden. Aber es gibt immer noch Lücken, die wir schließen müssen, damit im Ernstfall auch eine große Bank abgewickelt werden kann.

Sollte man nicht ehrlich sagen, dass große Banken immer noch eine Gefahr sind, statt den Steuerzahlern etwas vorzugaukeln?

Abwicklungsregime haben eine wichtige Funktion: Sie machen Bankenkrisen weniger wahrscheinlich und erleichtern das Management von Krisen. Wenn Banken nicht die richtigen Anreize haben, Verluste machen und in Schieflage geraten, kann das hohe Kosten für die Steuerzahler haben. Wir sollten daher die bestehenden Strukturen verbessern, wenn es notwendig ist. Zurzeit werden die europäischen Regeln zum Krisenmanagement und für die Abwicklung von Instituten überarbeitet.

Hohe Leitzinsen sind gut im Kampf gegen Inflation, gleichzeitig werden dadurch Schwächen im Bankensektor sichtbar. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sieht jedoch keinen Zielkonflikt zwischen Inflationsbekämpfung und Finanzstabilität. Was meinen Sie?

Wenn beide Bereiche ihre Aufgabe erfüllen, dann gibt es keinen großen Konflikt. Zielkonflikte kann es geben, wenn die Banken nicht robust genug sind, um kurzfristig mit Zinserhöhungen klarzukommen. Daher haben wir schon vor Jahren auf Zinsänderungsrisiken hingewiesen und Maßnahmen getroffen - besseres Monitoring, mehr Eigenkapital. Die Geldpolitik muss die Leitzinsen erhöhen können, ohne sich Sorgen um die Stabilität des Sektors machen zu müssen.

Viele große europäische Banken sind an der Börse sehr niedrig bewertet – trotz Milliardengewinnen. Sorgt Sie das?

Wir schauen sicherlich auf die Aktienkurse, weil sie wichtige Informationen enthalten. Aber Aktienkurse sind keine Steuerungsgröße für die Bankenaufsicht. Ein Grund für die niedrigen Bewertungen ist ein intensiver Wettbewerb auf dem europäischen Bankenmarkt, der die Margen drückt. Wie die Banken den Markt nachhaltig überzeugen, dass höhere Kurse gerechtfertigt sind, ist ihre Aufgabe.

Warum ist der Aktienkurs keine Steuerungsgröße für die Aufsicht? Bei der Credit Suisse hat erst der Aktiencrash die Krise angefacht.

Wir blenden die Aktienkurse nicht aus. Primär sind für uns aber andere Indikatoren wie das Eigenkapital und Risikomaße.

Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland fürchten um die Institutssicherung, die dafür sorgt, dass marode Banken oder Sparkassen sich gegenseitig stützen. Will die EU das wirklich abschaffen?

Die Diskussion ist sehr zugespitzt. In Europa möchte niemand die Institutssicherung abschaffen. Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken gut funktioniert. Das Problem waren aber große Krisenfälle bei den Landesbanken, wo letztlich staatliche Gelder eingesetzt wurden. Die Europäische Kommission versucht, nationale Systeme so in das europäische System zu integrieren, dass positive Elemente erhalten bleiben und gleichzeitig relevante Lücken geschlossen werden.

Wenn die Politik strengere Regeln für Banken vorschlägt, kontern Banken häufig mit der Drohung, sie könnten dann die grüne Transformation nicht finanzieren. Stimmt das?

Es ist noch keine Krise durch zu strenge Aufsicht entstanden. Ein robuster Bankensektor ist das Beste für die Finanzierung der grünen Transformation. Denn Eigenkapital ermöglicht es den Banken, auch in schwierigen Zeiten weiter Kredite zu vergeben. Insgesamt hat der deutsche Bankensektor derzeit ein Überschusskapital von mehr als 165 Milliarden Euro - also nach Abzug der aufsichtsrechtlichen Kapitalanforderungen.

Die Banken können rund das Zehnfache dieser Summe verleihen. Es gibt also genug Geld zur Finanzierung grüner Projekte?

Ja, sicher, wobei ich ungern unterscheide zwischen grünen und anderen Investitionen. Wenn eine gute Klimapolitik den Rahmen richtig setzt, dann hat jede Investition auch ein grünes Element. Aber wir können die Transformation nicht nur über die Bankbilanzen finanzieren, denn wir reden über sehr langfristige Investitionen unter hoher Unsicherheit. Hierfür braucht es auch Eigenkapital.

Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht arbeiten?

Ich lese viel und gerne - es gibt ja im Moment viele wichtige gesellschaftliche und politische Themen. Wenn ich das nicht tue, gehe ich wandern.
 

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