Lernen unsere Schüler genügend über Finanzen, Herr Balz? Interview mit FinanzBusiness

Das Gespräch mit Burkhard Balz führte Markus Lachmann.

Die Bundesbank widmet dem Thema ökonomische Bildung einen eigenen Bereich - die Vermittlung von Finanz- und Wirtschaftswissen ist auch Vorstand Burkhard Balz ein Herzensanliegen. Entsprechend viel Zeit nimmt er sich für das Interview mit FinanzBusiness.

Herr Balz, Inflation, Zinswende, Altersvorsorge: Kann man sagen, ökonomische Bildung ist wichtiger denn je?

Durchaus. Ökonomische Bildung ist die Voraussetzung, eigenverantwortlich am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Man kann gar nicht früh genug damit beginnen, ökonomisches Wissen zu vermitteln, und da sind viele Institutionen und Stakeholder aufgerufen, sich zu beteiligen. Ein Beispiel: Für die junge Generation war das Thema Inflation bis vor kurzem völlig unbedeutend. Nun merken die jungen Leute: Inflation bedeutet Kaufkraftverlust, und dieser Kaufkraftverlust wirkt sich auf so ziemlich alle Bereiche des täglichen Lebens aus. Daran sehen Sie, wie wichtig es ist, Grundlagen der ökonomischen Bildung in der Bevölkerung zu verankern.

Es gibt die Verbrauchersicht - viele wissen nicht einmal, wie leicht man ein Girokonto wechseln kann -, und die gesellschaftliche Sicht. Welche ist für Sie wichtiger?

Für uns als Bundesbank steht das gesellschaftliche Interesse im Vordergrund. Wir leiten unser Engagement für ökonomische Bildung aus unserem Mandat ab, für stabiles Geld und funktionierende Finanzmärkte zu sorgen. Die Bundesbank vermittelt in erster Linie Zentralbankwissen, also Themen wie Geld, Währung und Finanzsystem. Für Zentralbanken ist es essenziell, dass die Bevölkerung die Stabilitätsorientierung der Geldpolitik mitträgt.

Was macht die Bundesbank im Bereich der ökonomischen Bildung?

Wir stellen Bildungsmaterialien bereit und bieten bundesweit Lehr- und Informationsveranstaltungen für Schulen, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen an. Das ist bei uns dezentral über unsere neun Hauptverwaltungen organisiert, von dort aus schwärmen die Kolleginnen und Kollegen aus.

Sie auch?

Unbedingt, ich habe das schon in meiner Zeit als Europaabgeordneter sehr gerne gemacht. Es ist wichtig, gerade mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Und man nimmt auch selbst viel von solchen Begegnungen mit.

Zum Beispiel, dass die jungen Leute Bargeld gar nicht mehr kennen.

Ich würde ausdrücklich nicht sagen, dass es eine Generationenfrage ist, ob jemand Bargeld verwendet oder nicht. Schaut man auf die 18- bis 24-Jährigen, so zahlen diese einen größeren Teil ihrer Ausgaben bar als beispielsweise Menschen im Alter von 35 bis 44 Jahren. Und Bargeld macht es für Kinder leichter, den Umgang mit Geld zu erlernen und ein grundlegendes finanzielles Verständnis zu entwickeln. Klar ist aber: Wir als Bundesbank stehen zum Bargeld und werden weiter die Bargeldversorgung in Deutschland sicherstellen.

Bargeld wird niemals sterben?

Vor der Corona-Pandemie zahlten Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland bei über 70 Prozent ihrer Einkäufe bar, bei unserer jüngsten Umfrage zum Zahlungsverhalten aus dem Jahr 2021 waren es nur noch 58 Prozent. Die Bargeldnutzung dürfte weiter abnehmen, und dennoch bleibt Bargeld wichtig. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern liegt Deutschland hier derzeit im oberen Mittelfeld. In den skandinavischen Ländern liegt der Anteil der Barzahlungen teilweise bei weniger als zehn Prozent.

Die skandinavischen und auch baltischen Länder schneiden auch bei der Finanzbildung ihrer Bürger besser ab als Deutschland. Wo stehen wir im europäischen Vergleich?

Deutschland steht gar nicht so schlecht da. In entsprechenden Umfragen landen wir ebenfalls oft auf den vorderen Plätzen. Aber es gibt noch einiges zu verbessern. Ich bin ein überzeugter Anhänger des Föderalismus, dennoch könnte nach meiner Einschätzung eine bessere Rahmensetzung des Bundes helfen. So hatten wir etwa bislang als eines von wenigen europäischen Ländern keine nationale Strategie für finanzielle Bildung. Ich bin deshalb der Bundesregierung dankbar, dass sie sich das Thema auf die Fahnen geschrieben hat.

Sind Sie für ein bundeseinheitliches Schulfach ”Wirtschaft”?

Das ist Sache der Bundesländer. Aus Sicht der Bundesbank ist nicht entscheidend, ob es ein eigenständiges Schulfach ’Wirtschaft’ gibt oder nicht. Wichtiger ist, dass ökonomische Inhalte überhaupt vermittelt werden. Hier hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Der Bund kann hier eine klare Erwartungshaltung formulieren, mehr für ökonomische Bildung zu machen. Auch wir als Bundesbank wollen uns noch stärker auf diesem Gebiet engagieren.

Liegt es nicht auch an den Lehrern? Wie soll man wirtschaftliches Wissen vermitteln, wenn man keine Erfahrung in der Wirtschaft hat?

Deshalb ist es so wichtig, Lehrerinnen und Lehrer für wirtschaftliche Themen zu interessieren. Das muss schon in der Ausbildung, also im Lehramtsstudium beginnen. Auch die Bundesbank richtet ihre Bildungsaktivitäten daher gezielt auf Lehrerinnen und Lehrer aus. Denn sie können die jungen Menschen erreichen und vermitteln im Laufe ihres Berufslebens Wissen an eine große Zahl von Schülerinnen und Schülern und wirken somit als Multiplikatoren.

Wie stark ist die Konkurrenz anderer Themen?

Auch hinsichtlich der MINT-Fächer, des Sport- oder Musikunterrichts gibt es Forderungen, ihnen mehr Platz im Unterricht einzuräumen. Da gilt es, die richtige Balance zu finden. Letztlich werden Wirtschafts- und Finanzthemen im Lehrplan immer nur eine begrenzte Rolle haben. Umso wichtiger ist es, dass der Unterricht ganz praktische Themen aufnimmt, wie Kontoeröffnung, Smartphonevertrag oder Altersversorge.

Auch im ”War of Talent” dürfte es nicht hinderlich für die Finanzindustrie sein, wenn die nachrückende Generation Wirtschaftswissen hat.

Zunächst einmal ist entscheidend, die Menschen neutral und fachlich kompetent zu informieren. Wer seine Bildungsangebote nur zum Produkt- oder Eigenmarketing einsetzt, erweist der finanziellen Bildung einen Bärendienst und verspielt das Vertrauen in andere gute Initiativen. Wenn es gelingt, Menschen für Wirtschafts- und Finanzthemen zu begeistern und diese sich dann für eine Tätigkeit in der Finanzbranche interessieren – umso besser! Dies sollte aber nicht Mittelpunkt der Bildungsaktivitäten sein.

Was halten Sie von Finfluencern? Eine gute Möglichkeit, Finanzwissen an den Mann oder die Frau zu bringen?

Um Menschen für Wirtschafts- und Finanzthemen zu begeistern, muss man sie zielgruppengerecht und auf Augenhöhe ansprechen. Das gelingt manchen Finfluencern sicherlich sehr gut. Wichtig ist, dass das Ganze seriös und neutral erfolgt und kein Produktmarketing ist. Da bin ich bei einigen Finfluencern durchaus skeptisch. Es gibt aber viele, die ehrliches Interesse daran haben, der Bevölkerung ökonomisches Wissen zu vermitteln. Da kann man sicherlich nicht alle über einen Kamm scheren.

Neobroker haben die Hürden für die breite Masse beim Thema Wertpapieranlagen gesenkt. Eine gute oder schlechte Entwicklung aus ihrer Sicht?

Da sehe ich ein gewisses Spannungsfeld. Es ist erst einmal gut, wenn man Menschen für Wirtschaftsthemen begeistert und Bevölkerungsgruppen zu einem Einstieg in den Kapitalmarkt bewegt werden, die sich dafür bislang nicht so interessiert haben. Aber man muss auch die Gefahren sehen. Mit dem Smartphone können Sie mit einem Wisch Wertpapiere kaufen und verkaufen. Da sind wir wieder beim Thema finanzielle Bildung: Es ist wichtig, gewisse Grundprinzipien zu kennen und anzuwenden. Etwa: Geldanlagen breit streuen, und niemals alle Eier in einen Korb legen. Oder: Viel Rendite geht immer auch mit viel Risiko einher. Finanzielle Bildung ist aktiver Verbraucherschutz.

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