Finanzplatz Deutschland stärken Interview mit dem Handelsblatt

Das Gespräch führten Stefan Reccius und Andreas Kröner.

Frau Mauderer, die italienische Unicredit hat Interesse am Kauf der Commerzbank bekundet. Was würde eine solche Übernahme für den Finanzplatz Deutschland bedeuten?

Sie verstehen, dass ich mich zu dem konkreten Fall nicht äußern werde.

Dann lassen Sie uns etwas allgemeiner über das Thema Bankenfusionen sprechen. Sind Sie wie viele europäische Notenbanker und Politiker der Ansicht, dass wir große grenzüberschreitende Zusammenschlüsse in der EU brauchen?

Bankenfusionen lösen nicht alle Probleme, das Bild ist nicht schwarz-weiß. Wir brauchen auf europäischer Ebene starke Banken, die international wettbewerbsfähig sind und exportorientierte Unternehmen in alle Welt begleiten können. Gleichzeitig brauchen wir aber auch auf Ebene der Mitgliedstaaten Banken, die ihren Heimatmarkt und die Bedürfnisse der Kunden dort gut kennen. Beide Komponenten sind gleich wichtig.

Was bedeutet das für Deutschland?

Wir brauchen Banken, die zum deutschen Markt stehen – die ihn mit all seinen Herausforderungen kennen und bereit sind, den anstehenden Strukturwandel zu finanzieren. Die deutsche Wirtschaft ist vom Mittelstand geprägt. Deshalb sind Geldhäuser essenziell, die Mittelständler verstehen und auch in schwierigen Zeiten bereit sind, ihnen als Financier zur Seite zu stehen. Diese Institute müssen aber auch international wettbewerbsfähig sein, gerade in einem Exportland wie Deutschland.

In der Finanzkrise 2008 zogen sich einige ausländische Banken wie die Royal Bank of Scotland fluchtartig wieder aus Deutschland zurück. Fürchten Sie, dass sich dieses Phänomen in der nächsten Krise wiederholen könnte?

Aktuell haben wir in Deutschland keine Engpässe in der Kreditversorgung. Aber es ist klar, dass sich die Situation ändern kann, wenn es zu einer Finanz- oder Wirtschaftskrise kommt oder wenn eine Pandemie ausbricht. Deshalb brauchen wir genügend Banken, bei denen man sicher sein kann, dass sie auch in schwierigen Zeiten zu ihrem Heimatmarkt Deutschland stehen und Finanzierungen bereitstellen.

Daran scheint es nicht zu mangeln. Mit gut 1300 Banken gibt es in der Bundesrepublik so viele Geldhäuser wie in keinem anderen europäischen Land. Bei der Profitabilität und Marktkapitalisierung hinken die Institute dagegen hinterher. Brauchen wir eine stärkere Konsolidierung?

Wenn Sie das Thema nun aus einer anderen Perspektive betrachten wollen: In den vergangenen Jahren hat bereits eine Konsolidierung stattgefunden – und ich bin sicher, dass diese Entwicklung weitergeht. Die Banken müssen weiter an ihrer Profitabilität arbeiten und ein wettbewerbsfähiges Verhältnis von Kosten zu Erträgen erreichen. Aus meiner Sicht müssen die Banken dafür mehr in ihre Digitalisierung investieren. Dass der Abstand zu den amerikanischen Banken so groß ist, ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die US-Institute frühzeitig viel Geld in die Digitalisierung gesteckt haben.

Sie haben als Bundesbank-Vizepräsidentin auch den Finanzplatz Deutschland im Blick. Wie sieht Ihre Agenda aus?

Wir müssen das breiter denken als bislang. Es braucht ein ganzes Ökosystem, das zusammen Wachstumschancen der Realwirtschaft analysiert und finanziert. Den Finanzplatz machen nicht nur Banken und Börsen aus. Datenanbieter und Analysten spielen eine immer wichtigere Rolle, aber auch Steuerberater, Wirtschaftsberater, Versicherungen und Fonds. Darüber hinaus müssen wir mehr für die finanzielle Bildung tun und die Aktienkultur in Deutschland stärken.

Was halten Sie vom Vorhaben der Bundesregierung, die Rente mit dem Generationenkapital für den Kapitalmarkt zu öffnen?

Wenn die Rente zumindest zum Teil über Aktieninvestments gedeckt ist, hat das langfristig viele positive Effekte für die Bevölkerung – eine kostengünstige und diversifizierte Anlage vorausgesetzt. Wir können uns da von anderen Ländern einiges abschauen. In Schweden hat sich eine lebendige Aktienkultur entwickelt und dort sind EU-weit die meisten kleinen und mittelgroßen Unternehmen börsennotiert. In den Niederlanden ist die betriebliche Rente stark kapitalmarktgedeckt, mit sehr guten Ergebnissen. Japan hat vor einigen Jahren mit wachsendem Erfolg ein Altersvorsorgekonto eingeführt, das Wertpapiersparen fürs Alter steuerlich fördert.

Die Schweden müssen 2,5 Prozent ihres Einkommens am Kapitalmarkt für die Rente anlegen – entweder eigenständig oder sie übertragen die Aufgabe an einen staatlichen Fonds. Taugt das Modell für Deutschland?

Das ist eine politische Entscheidung.

Sie beraten die Bundesregierung.

In der Tat, die Bundesbank hat bei der Politik schon lange eine Reform der Alterssicherung angemahnt. Zwei Prinzipien sind dabei entscheidend: Wir brauchen kapitalgedeckte Elemente. Und wir müssen alle auch privat fürs Alter vorsorgen, soweit es finanziell möglich ist. Wer sich nicht selbst darum kümmern will, sollte dennoch eine Anlagemöglichkeit unterbreitet bekommen. Auch hier lohnt der Blick nach Schweden.

Versprechen Sie sich vom geplanten Rentenpaket der Bundesregierung einen Schub für den Finanzmarkt?

Es ist ein Start, aber die Aufgabe wird damit nicht abgeschlossen sein. Künftige Regierungen haben sehr viel Raum, das Thema weiterzuentwickeln. Mir ist dabei noch ein Aspekt wichtig: Menschen, die sich für Aktien interessieren, interessieren sich auch für Wirtschaft und Unternehmen. Diese positive Verbindung sollte man nicht unterschätzen.

Wünschen Sie sich, dass mehr Deutsche Aktien kaufen?

Unser Ziel sollte sein, dass jede und jeder eigenverantwortlich eine Entscheidung treffen kann, wie man sich langfristig ein finanzielles Polster anlegt – nicht nur fürs Alter, sondern auch für andere Lebenssituationen. Das geht nur über bessere finanzielle Bildung.

Sollten sich mehr deutsche Unternehmen an die Börse wagen, auch Mittelständler?

Ein Börsengang ist sicher nicht zwingend das Mittel der Wahl. Aber schon aus Gründen der Risikostreuung sind mehr Finanzierungsquellen erstrebenswert. Die Kreditfinanzierung über Banken hat ihre Grenzen. Deswegen ist es wichtig, dass sich mehr Unternehmen mit dem Kapitalmarkt beschäftigen.

Befürchten Sie, dass andernfalls die digitale und grüne Transformation zum Erliegen kommt?

Es ist jedenfalls eine Voraussetzung für eine Volkswirtschaft, um vorn mitspielen zu können. Ich sehe das immer wieder auf Start-up-Festivals: Da gibt es vielversprechende Geschäftsmodelle. Aber erst kommen die Finanzierungsangebote aus anderen Weltregionen und schließlich ist das Unternehmen woanders. Da müssen wir gegensteuern.

Sie sind im Bundesbank-Vorstand auch für die Märkte zuständig. An den Börsen herrscht nach der XL-Zinssenkung in den USA Hochstimmung. Sind die jüngsten Rekorde gerechtfertigt oder trügerisch?

Die Märkte haben verinnerlicht, dass wir Zentralbanker dazu übergegangen sind, unsere Entscheidungen noch stärker auf Grundlage der aktuellen Datenlage zu treffen. Die Volatilität hat zugenommen und wird wahrscheinlich hoch bleiben, höher als in der Vergangenheit. Es gibt größere Ausschläge, aber der Markt verkraftet sie. Das ist für mich ein Zeichen, dass die Märkte funktionieren.

Auf welche Faktoren führen Sie die erhöhten Schwankungen zurück?

Das liegt zum einen an den geopolitischen Spannungen. Aber auch die Digitalisierung spielt eine Rolle: Informationen fließen in Sekundenschnelle um den Globus, an vielen Märkten dominieren der Hochfrequenzhandel oder gleichgerichtete Handelsstrategien. Aktuell beschäftigen wir uns in internationalen Gremien mit dem Risiko, dass der vermehrte Einsatz von Künstlicher Intelligenz bestimmte Bewegungen an den Märkten verstärken kann.

Lassen Sie uns zum Abschluss noch über die Transformation der Bundesbank reden. Sie haben voriges Jahr mit den Beratern von Boston Consulting das Projekt „Wandel“ gestartet. Wie wir hören, ist die Verunsicherung groß und die Kommunikation des Vorstands in der Kritik. Was können Sie besser machen?

Es ist nach vielen Jahren das erste Mal, dass sich die Bundesbank mithilfe externer Berater ihre gesamten Prozesse anschaut. Es geht darum, dass wir in einer sich stark verändernden Welt gut aufgestellt und fit für die Zukunft sind. Diesen Herausforderungen muss sich auch eine Behörde stellen. Für die Bundesbank-Beschäftigten bedeutet das vor allem, dass sie mehr Gestaltungsfreiheit, aber auch mehr Eigenverantwortung erhalten. Dass solche Veränderungen bei den Beschäftigten erst mal Fragen aufwerfen, halte ich für völlig normal. Aber diesen Fragen stellen wir uns. Jetzt läuft die Umsetzungsphase an. In der werden die abstrakten Konzepte für viele Beschäftigte konkret.

Wie lange dauert diese Phase – und worauf müssen sich die Beschäftigten der Bundesbank einstellen?

Wir haben dafür bis Ende 2027 vorgesehen. Jeder Bereich wird runter bis in die kleinste Einheit gemeinsam überlegen, wie er sich aufstellen muss, um seine Aufgaben am besten zu erfüllen. Die Teams verantworten das größtenteils selbst.

Ist die ursprüngliche Ansage – pauschal zehn Prozent Stelleneinsparungen in jedem Bereich – nach wie vor die Maßgabe, an der alles ausgerichtet ist?

Die Ziele des Projekts Wandel sind unverändert: Es geht darum, für die Zukunft gerüstet zu sein und nicht um ein striktes Sparprogramm. Im Fokus steht, dass wir unsere Ziele und Prioritäten richtig setzen und unsere Ressourcen bestmöglich dafür einsetzen. Wir haben von Anfang an klargestellt, dass niemand seinen Arbeitsplatz verliert, aber sich vielleicht auf neue Tätigkeiten einstellen muss.

Sie sprechen vom Start der Umsetzungsphase, sagen aber andererseits, die Teams sollen nun selbst überlegen. Wie passt das zusammen?

Wir haben die Schwerpunkte festgelegt. Aber ob ein Team in seiner gegenwärtigen Form richtig aufgestellt ist und wie es künftig noch effizienter arbeitet, können Mitarbeitende oft besser erkennen und entscheiden.

Die Europäische Zentralbank hat wichtige Aufgaben von der Bundesbank übernommen: die Zinspolitik schon mit der Euro-Einführung und die Aufsicht über Großbanken seit 2014. Hätte die Bundesbank den Wandel nicht schon deutlich früher anstoßen müssen?

Moment: Wir haben uns immer weiterentwickelt. Nun haben wir Berater eingeschaltet, die auch andere große Organisationen kennen. Unser primäres Mandat der Preisstabilität hat sich nicht geändert. Aber wir nehmen als große Notenbank eben noch sehr viel mehr Aufgaben technischer oder operativer Natur wahr für das gesamte Euro-System oder einen Teil davon.

Zum Beispiel die Entwicklung des digitalen Euros?

Richtig, auch bei diesem wichtigen Zukunftsthema wollen wir ganz vorn dabei sein. Und ein Beispiel aus meinem Bereich ist die Bewertung von Sicherheiten, die Banken für Refinanzierungsgeschäfte hinterlegen müssen. Das sind pro Tag 30.000 Bewertungen, die wir für das gesamte Euro-System machen. Unabhängig von diesem Beispiel spielt die Deutsche Bundesbank für den gesamten Euro-Raum eine bedeutende Rolle, schon allein aufgrund der Größe unserer Volkswirtschaft. Und das soll auch so bleiben.

Frau Mauderer, vielen Dank für das Gespräch.

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