Daten, KI und Cloud: Wie die Bundesbank die digitale Zukunft gestaltet Interview mit dem Handelsblatt
Das Gespräch mit Fritzi Köhler-Geib führten Stefan Reccius und Frank Wiebe.
Frau Köhler-Geib, was halten Sie von dem historischen Finanzierungspaket für Rüstung und Infrastruktur, das Union und SPD auf den Weg gebracht haben?
Wir erleben aktuell tektonische Verschiebungen in der Geopolitik. In einer solchen Situation ist es entscheidend, dass Deutschland und Europa Handlungsfähigkeit beweisen – gerade mit Blick auf die Verteidigung. Unser Mandat als Zentralbank ist allerdings die Sicherung der Preisstabilität.
Sorgen Sie sich wegen des Finanzpakets um die Preisstabilität? Sie haben kürzlich in einer Rede erklärt, es sei definitiv zu früh, den Sieg über die Inflation zu erklären
– und Ökonomen machen im Finanzpaket zusätzliche Inflationsrisiken aus.
Wir werden uns als Zentralbank genau anschauen, wie sich die tatsächliche politische Umsetzung des Finanzpakets auf die Preisstabilität auswirkt. Die Wirkung auf die Preise hat viele Facetten: Wie schnell das Geld ausgegeben wird, wofür und wieviel zusätzlich zum bisherigen Bundeshaushalt. Wo an anderer Stelle gespart wird und was über Schulden finanziert wird. Was aus dem Ausland geliefert wird. Wie sich die Angebotsseite entwickelt und ob es Kapazitätsengpässe gibt.
Unternehmen könnten Engpässe ausnutzen, um höhere Preise durchzusetzen.
Das ist auch ein Grund, warum ich entschlossene Strukturreformen für so dringlich halte. Deutschland braucht mehr Innovationskraft, ein höheres Arbeitskräftepotenzial und muss attraktiver für Unternehmensinvestitionen werden. Das bringt uns wieder auf einen höheren Wachstumspfad und verringert Kapazitätsbeschränkungen. Und zum anderen muss es gelingen, die öffentlichen Finanzen solide zu halten.
Stehen die Vereinbarungen von Union und SPD im Einklang mit dem Reformvorschlag der Bundesbank zur Schuldenbremse?
Mehrausgaben für Verteidigung und Infrastruktur sind gegenwärtig gut nachvollziehbar. Die angedachten Möglichkeiten zur Verschuldung erscheinen mir allerdings sehr weitgehend. Der Bundesbankvorschlag zur Schuldenbremse ist stabilitätsorientiert und bietet eine langfristige Lösung. Er berücksichtigt die reformierten europäischen Fiskalregeln und zielt darauf ab, zusätzliche Spielräume für öffentliche Investitionen zu schaffen.
Wie soll das gelingen, ohne dass die Verschuldung aus dem Ruder läuft?
Wir brauchen mehr Transparenz über die Staatsausgaben – in Bund, Ländern und Kommunen. Und es kommt darauf an, das vorhandene Geld gut auszugeben.
Was heißt gut?
Beispielsweise können zusätzliche Verteidigungsausgaben Innovationen fördern, oder rein konsumtiv sein. Neben der Höhe ist genauso relevant, dass effizient investiert wird.
Wie wollen Sie das erreichen?
Um gute Entscheidungen treffen zu können, sind Daten unerlässlich. Bei der Verteidigung könnte das konkret heißen: Welche Systeme haben wir, welche werden benötigt? Bei den Themen, mit denen sich die Bundesbank beschäftigt, stellen wir schon heute viele Daten bereit, zum Beispiel mit unserem Forschungsdaten- und Servicezentrum. Als Bundesbankvorständin liegt mir ein noch breiterer und einfacherer Zugang zu Daten insgesamt sehr am Herzen. Glaubwürdige und verlässliche Daten sind ein Anker unserer Demokratie und Freiheit, heute mehr denn je.
Wollen Sie damit auch den viel beklagten Niedergang der deutschen Wirtschaft stoppen?
Ich habe immer für ein realistisches Bild der Lage plädiert. Dazu gehört dann auch, dass Deutschland von 2005 bis 2020 als einziges Land unter den G7, den größten Industrieländern, pro Kopf stärker gewachsen ist als die USA. Das hat dann allerdings auch den Handlungsdruck vermindert, Strukturherausforderungen anzugehen. Dennoch: Trotz Covid-Pandemie und starkem Anstieg der Öl- und Gaspreise sind wir in den Jahren 2021/22 ganz gut davongekommen.
Aber es gibt doch unbestritten wirtschaftliche Probleme?
Die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Rückstände in der Digitalisierung sind bekannt. Die anhaltende Stagnation der Wirtschaft können wir auch so sehen: Der Handlungsdruck ist jetzt da. Gerade bei Innovationen und Digitalisierung der öffentlichen Hand sehe ich viele Verbesserungsmöglichkeiten, die zu mehr Effizienz führen können.
Wie trägt die Bundesbank dazu bei?
Es ist einer meiner Schwerpunkte, die Digitalisierung der Bundesbank entschieden weiter voranzubringen. Technologischer Fortschritt hier in Deutschland und Europa stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit. Die Bundesbank ist dabei im öffentlichen Sektor Vorreiter.
Das müssen Sie erläutern.
Wir sind eine der ersten Behörden in Deutschland, die ernsthaft Anwendungen in die Public Cloud auslagert. Auf der Plattform können wir künftig Dienstleistungen für unsere 180.000 Nutzer – etwa Banken, Versicherer und öffentliche Institutionen – anbieten. Wir wenden Künstliche Intelligenz vielfältig an und beschäftigen uns intensiv mit Quantencomputing und quantensicherer Verschlüsselung.
Arbeiten Sie mit einem amerikanischen Cloud-Anbieter zusammen?
Ja, schwerpunktmäßig. Für uns als Bundesbank – mit besonderen Anforderungen an Funktionalität, Skalierbarkeit und Sicherheit gegen Cyberangriffe – ist das momentan die beste Wahl. In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen haben wir die Garantie durchgesetzt, dass die Daten in europäischen Rechenzentren bleiben.
Schafft das nicht trotzdem wieder neue Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten? Kann SAP das nicht genauso gut wie Microsoft?
Wir fahren eine zweigleisige Strategie und beschäftigen uns intensiv mit Public-Cloud-Services deutscher und europäischer Anbieter. Alles andere wäre fahrlässig.
Was macht die Bundesbank mit Künstlicher Intelligenz (KI)?
Sehr viel. Im Meldewesen setzen wir KI in der Qualitätssicherung großer Datenmengen ein. Dadurch wird der Aufwand für die meldenden Geschäftspartner minimiert, da sie weniger Rückfragen erreichen. Im internen Risikocontrolling nutzen wir neuronale Netze, also in mehrere Ebenen tief gestaffelte selbstlernende Systeme. Damit überwachen wir die Risiken gegenüber den zahlreichen Finanzinstituten, mit denen wir zu tun haben. KI-gestützte Modelle benutzen wir auch in unserer ökonomischen Analyse und für die geldpolitische Kommunikation.
Kaufen Sie KI ein?
Ja, für KI-Anwendungen in der Bundesbank haben wir den Zugang zu diversen Large-Language-Modellen zugekauft. Allerdings haben wir das hausintern weiterentwickelt, sodass unsere Daten besser geschützt sind. Sie werden weder in der Cloud gespeichert noch für Trainingszwecke verwendet.
Wird die KI eines Tages Ihre Bankenaufseher ersetzen?
Menschliche Expertise wird nie zu ersetzen sein. In der Bankenaufsicht kann KI uns helfen, Prüfberichte risikobasiert vorzusortieren. Sie kann unsere Fachleute aber nicht ersetzen.
Apropos neue Technologie: Wie sieht es mit dem digitalen Euro aus? Wann ist da mit Ergebnissen zu rechnen?
Bei der Retail-Variante, also dem digitalen Euro für Alltagszahlungen, müssen wir zunächst den Abschluss des Legislativprozesses auf europäischer Ebene abwarten. Unabhängig davon zeigt sich eine Beschleunigung bei der Einführung der Wholesale-Variante des digitalen Euros, also im Zahlungsverkehr zwischen Finanzinstitutionen.
Ist inzwischen klar, ob der digitale Euro auf einer Blockchain, also einer dezentralen IT-Lösung, beruhen wird?
Es laufen vielversprechende Tests, entschieden ist aber noch nichts. Im Wholesale-Bereich hat die Bundesbank mit der sogenannten Trigger-Lösung eine eigene technische Lösung entwickelt. Sie ermöglicht es, Plattformen des Marktes auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie mit dem traditionellen Zahlungsverkehrssystem des Eurosystems zu verbinden.
Die Bundesbank schafft das Fax ab und wird immer digitaler, Auto-Ingenieure wechseln zu Rüstungsunternehmen, Zulieferer bauen Getriebe für Panzer statt Verbrenner – sieht so der Strukturwandel aus?
Ich würde diesen Strukturwandel sehr viel weiter fassen. Wir brauchen ein kreativeres Umfeld für die Entwicklung neuer Technologien. Und wir müssen besser verstehen, was der technologische Fortschritt, aber auch die zunehmende geopolitische Fragmentierung bedeuten für die „Future of Finance“, also für die Finanzarchitektur, -märkte und -instrumente. Ein Beispiel: In der Bundesbank beschäftigt uns, wie der höhere Anteil von Krypto-Token und Finanzintermediären, die keine klassischen Banken sind, die Wirkung unserer Geldpolitik und die Stabilität unseres Geldes beeinflussen. Und damit auch die Preisstabilität von morgen.
Frau Köhler-Geib, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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