„Viele Kredite für Gewerbeimmobilien sind ausfallgefährdet“ Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Das Gespräch führte Christian Siedenbiedel.
Herr Theurer, als neues Bundesbankvorstandsmitglied sind Sie für die Bankenaufsicht zuständig. Werden Sie ein strenger Bankenaufseher sein?
Ja, sicherlich, aber fair.
Wird denn 2025 für Deutschlands Banken ein härteres Jahr als das vergangene?
Schon. Zunächst blicken unsere Banken allerdings auf zwei gute Jahre zurück. Das liegt auch an den Zinsüberschüssen, die sie erzielten; 2024 war etwas schwächer als 2023, die Lage im deutschen Bankensektor ist aber stabil. Der Ausblick auf 2025 ist hingegen geprägt durch die schwache wirtschaftliche Lage in Deutschland und damit auch durch die Zunahme gewisser Risiken. Wir können deshalb eine Phase von Turbulenzen nicht ausschließen. Vorsicht ist daher weiterhin das Gebot der Stunde.
Es dürfte dieses Jahr mehr Kreditausfälle geben?
Der Internationale Währungsfonds hat gerade seine Wachstumsprognose für Deutschland noch einmal nach unten korrigiert, auf nur noch 0,3 Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr. Neben konjunkturellen Schwierigkeiten gibt es aber auch einen massiven Strukturwandel, den die deutsche Wirtschaft zu bewältigen hat. Das betrifft die Kernbranchen des Fahrzeugbaus und der Zuliefererindustrie. Die ungünstige Entwicklung hat auch den Maschinenbau erfasst. Und mittlerweile kommt das alles auf dem Arbeitsmarkt an. Das wird natürlich nicht spurlos an den Bankbilanzen vorbeigehen.
Wo genau muss man mit vermehrten Kreditausfällen rechnen?
Die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden haben mit ihren Stresstests die Bankbilanzen dahingehend durchleuchtet, wie sie auf eine Eintrübung der Wirtschaftslage reagieren werden. Das Ergebnis ist: Die kleinen und mittleren Banken bleiben weit überwiegend stabil. Das heißt, dass unsere Banken gerüstet sind, auch für schwierigere Zeiten. Allerdings ist es erforderlich, eine größere Risikovorsorge zu bilden. Gerade für Unternehmenskredite, teilweise auch für private Baukredite. Vor allem aber bleibt der Sektor der Gewerbeimmobilien das Sorgenkind der Aufsicht. Auch in Deutschland hat sich die Zahl der ausfallgefährdeten Kredite für Gewerbeimmobilien deutlich erhöht.
Warum sind denn Kredite für Gewerbeimmobilien ein größeres Problem als private Baudarlehen?
Der Gewerbeimmobilienmarkt durchläuft seit der Corona-Pandemie einen Strukturwandel insbesondere im Bereich der Büroimmobilien, aber auch der Handelsimmobilien. Unter anderem verringert der Trend zum Homeoffice den Bedarf an Büroflächen. Es stehen hier in Frankfurt, aber auch in anderen Zentren immer noch Büroimmobilien leer. Zudem leidet das Geschäft mit Handelsimmobilien unter dem Onlinehandel.
Setzt sich eigentlich Homeoffice in den Banken selbst durch? Was sind die Folgen?
Wir nehmen wahr, dass im Zuge der Corona-Pandemie auch im Finanzsektor mehr Homeoffice eingeführt wurde. Aus Sicht der Bankenaufsicht sind in dem Zusammenhang die Cyberrisiken, also zum Beispiel die Sicherheitsgefährdungen durch Attacken im Internet, ein zentrales Thema. Deshalb schauen wir uns die IT-Systeme der zu beaufsichtigenden Institute genau an.
Erkennt man da mehr Gefahren, wenn Bankmitarbeiter von zu Hause aus arbeiten, als wenn sie alle im Büro sitzen?
Je stärker ein Institut vernetzt ist, desto größer sind auch die Angriffsflächen für Cyberattacken. Das gilt aber nicht nur für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das bezieht sich auch auf die Schnittstellen zu Kundinnen und Kunden.
Auch die Struktur der deutschen Bankenlandschaft ändert sich. Wird Deutschland bald eine seiner beiden Großbanken verlieren? Und falls ja: Ist das aus Ihrer Sicht schlimm?
Deutschland hat im internationalen Vergleich einen robusten Bankensektor mit einer Vielzahl von Instituten. Insgesamt haben wir 1.310 Institute. Darunter sind einige wenige große Banken, die Deutsche Bank, die Commerzbank, die DZ Bank, und eine Vielzahl von mittleren und kleineren Banken. Das heißt, sowohl für die gewerbliche Wirtschaft als auch für Privatkundinnen und -kunden stehen viele Angebote zur Verfügung. Der deutsche Markt gilt zudem als sehr wettbewerbsintensiv. Gleichzeitig erleben wir einen Konzentrationsprozess. Die Zahl der Banken sinkt, beispielsweise durch Fusionen von Genossenschaftsbanken und im Sparkassensektor. Und aktuell gibt es nach dem Einstieg von Unicredit bei der Commerzbank Diskussionen, ob es eine große, grenzüberschreitende Bankenfusion geben wird.
Haben Sie da als Aufseher irgendwelche Bedenken?
Aus Sicht der Bankenaufsicht ist entscheidend, dass die bankaufsichtlichen Regeln eingehalten werden. Aber die Bankenaufsicht muss, was die Marktstruktur angeht, neutral sein.
Und wie blicken Sie persönlich auf grenzüberschreitende Fusionen?
Ich lehne grenzüberschreitende Zusammenschlüsse nicht ab. Andererseits bin ich allerdings auch nicht der Meinung, dass allein die Größe einer Bank eine Garantie für Stärke ist. Natürlich müsste die Abwicklungsfähigkeit eines solchen Instituts für den Fall einer Schieflage gewährleistet sein. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass – unter der Prämisse, dass eine Fusion keine neuartigen Risiken bedeutet und es ein solides Geschäftsmodell gibt – die staatliche Bankenaufsicht weder Fusionen begünstigt noch sie aufhält.
In der globalen Wirtschaft könnte sich jetzt mit dem Amtsantritt von Donald Trump einiges ändern. Was heißt das aus Ihrer Sicht für Deutschland?
Die Ankündigungen der US-Administration insbesondere hinsichtlich der Zölle und der Handelspolitik stellen große ökonomische Risiken für eine exportabhängige Wirtschaft wie Deutschland dar. Insofern blicken auch wir bei der Bundesbank mit einer gewissen Beunruhigung auf die Entwicklungen in Amerika. Allerdings ist noch nicht klar, was von den Ankündigungen am Ende auch umgesetzt wird. Vielleicht gilt ja auch für den amerikanischen Präsidenten Trump das alte pfälzische Sprichwort, dass die Suppe nicht so heiß gegessen wie gekocht wird.
Was macht Europa, wenn Trump bei den Banken stärker deregulieren sollte?
Es gibt in Deutschland und Europa schon jetzt Debatten über die Umsetzung der Bankenregeln Basel III in den USA. In diesem Zusammenhang besteht die Gefahr, dass die Ursprünge und Gründe für die globale Bankenregulierung in Vergessenheit geraten. Das waren die Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008/2009: Damals gerieten nicht nur große und stark vernetzte Finanzinstitute wie Lehman Brothers in Schieflage. Staaten, die sich gezwungen sahen, Banken zu retten, kamen selbst in Schwierigkeiten. Insofern ist es unser Anliegen, dass die Finalisierung global einheitlicher Bankenaufsichtsstandards abgeschlossen wird. Es gibt Stimmen, die darauf hindeuten, dass die USA Basel III umsetzen könnten – allerdings kapitalneutral, also ohne höhere Kapitalanforderungen für den Bankensektor.
Wie könnte Europa darauf reagieren?
Es ist naheliegend, abzuwarten, was die USA genau tun, und dann zu analysieren, ob Handlungsbedarf besteht. Die EU ist mit der Verordnung CRR III schon dabei, Basel III umzusetzen; mit zum Teil recht langen Übergangsfristen. Aber: Im Verlaufe der Ausarbeitung von Basel III wurden bereits viele sinnvolle Änderungen auf Hinweis der Industrie vorgenommen. In einem Fall, bei der Regulierung der Marktrisiken, hat die Europäische Kommission schon im Hinblick auf die USA die Implementierung um ein Jahr verschoben, auf Anfang 2026. Zum gegebenen Zeitpunkt muss geprüft werden, ob Anpassungen sinnvoll und notwendig sind.
Wir könnten uns gleichsam mit einer Verschiebung für die Zögerlichkeit in den USA rächen?
Geopolitische Spannungen sollten nicht genutzt werden, um auf laxere Regeln zu drängen – nachweislich erhöht dies nicht die Wettbewerbsfähigkeit, sondern senkt sie, weil sie zu instabileren Banken und Finanzmärkten führt. Die Finalisierung von Basel III ist ein bereits sehr ausgewogenes Paket und sollte nicht aufgeweicht werden. Wir sollten nach nachhaltigeren Wegen zur Verbesserung unserer Wettbewerbsfähigkeit suchen. Die Bundesregierung hat die Europäische Kommission zusammen mit anderen aufgefordert, im Hinblick auf eine verzögerte Umsetzung von Basel III in den USA den Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit noch einmal in den Blick zu nehmen. Das ist eine Forderung, die der Bankensektor nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa erhoben hat. Es ist aus meiner Sicht sinnvoll, ein „level playing field“ in der Bankenregulierung anzustreben, also gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle. Hier ist zu beachten, dass die USA bereits einen sogenannten Output-Floor umgesetzt haben, der die Institute in der eigenen Modellierung ihrer Risiken und Kapitalanforderungen beschränkt und in der EU durch die finale Umsetzung von Basel III erst eingesetzt wird. In diesem Kontext gerät das „level playing field“ also nicht in Schieflage, wenn Basel III in Europa vollendet wird, unabhängig davon, was in den USA passiert. Wichtig ist vor allem, Basel III nicht insgesamt infrage zu stellen, da ein stabiles Finanzsystem im Interesse der gesamten Wirtschaft ist.
Gibt es denn derzeit unter den Banken in Deutschland Sorgenkinder?
Grundsätzlich äußere ich mich nicht zu einzelnen Instituten. Es gab aber in den vergangenen Wochen einige Presseberichte über Problemlagen einzelner Institute aus dem Genossenschaftssektor. Sie können davon ausgehen, dass die Bankenaufsicht die Institute eng begleitet und alle notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, um in diesen konkreten Fällen Lösungen zu erreichen. Gleichzeitig haben wir die Chance genutzt, auf den Bundesverband der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken einzuwirken, die Möglichkeiten der Prävention zu stärken.
Wie könnte eine bessere Krisenprävention aussehen?
Für eine bessere Prävention könnte der Verband seine Eingriffsrechte gegenüber den Instituten ausweiten, zum Beispiel bei der Auswahl des Wirtschaftsprüfers. Ferner erachte ich die Governance der Institute in diesem Zusammenhang als einen zentralen Faktor, auf den wir zukünftig als Aufsicht auch ein verstärktes Augenmerk legen werden. Als Bankenaufseher ist es mir wichtig, bei den Verantwortlichen im Genossenschaftssektor die Sensibilität zu erhöhen, dass solche Einzelfälle ernst genommen werden, um in Zukunft Schieflagen zu vermeiden. Governance ist Chefaufgabe; ein starkes Governance-System mit resilienten Prozessen ist enorm wichtig, um in dem unsicheren Wirtschaftsumfeld nicht böse überrascht zu werden.
Es wird wegen dieser Krisen auch spekuliert, ob alle Aufsichtsräte der Genossenschaftsbanken über die erforderlichen Kenntnisse verfügen …
Die Situation der Kreditgenossenschaften ist sehr heterogen. Die ganze Organisation ist gleichsam basisdemokratisch organisiert. Die Qualifizierung der Aufsichtsräte ist aus Sicht der Bundesbank ein zentrales Thema, das wir beim BVR adressiert haben. Und ich habe den Eindruck, dass ich dort offene Türen einrenne.
Welche Auswirkungen haben denn die stark gestiegenen Staatsschulden mancher Länder auf die Bankenstabilität?
Man muss sich weltweit mehr Gedanken über die Tragfähigkeit staatlicher Verschuldung machen als früher. Für die Bundesbank weise ich in allen Gremien, in denen wir vertreten sind, darauf hin. In dem Zusammenhang können wir empirisch feststellen, dass die Existenz von Schuldenbremsen dazu beitragen kann, eine exorbitante Staatsverschuldung zu verhindern. Auch in der aktuellen Debatte um möglicherweise sinnvolle Reformen der deutschen Schuldenbremse sollte nicht aus dem Auge verloren werden, dass in Verfassungen verankerte Schuldenbremsen generell ein geeignetes Mittel sind, um eine zu hohe, nicht mehr tragfähige Staatsverschuldung zu vermeiden. Eine Gefahr sehen wir dabei im Staaten-Banken-Nexus.
… die zu enge Verbindung zwischen Staatsapparat und Finanzbranche?
Eine hohe Staatsverschuldung und die Konzentration von Staatsanleihen in den Bilanzen einzelner Banken können zu krisenhaften Entwicklungen führen. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass innerhalb der EU nach wie vor dafür geworben werden muss, dass Staatsanleihen von den Banken nicht länger als risikofrei angesehen werden dürfen. Hier sehe ich dringenden Korrektur- und Reformbedarf.
Darüber wird seit der Finanzkrise geredet. Was kann man konkret ändern?
Man könnte das innerhalb der EU lösen. Ein Instrument könnten Konzentrationslimits für Staatsanleihen in Bankbilanzen sein. Eine andere Möglichkeit wären zusätzliche Kapitalanforderungen für Banken, um zu hohen Konzentrationen beim Halten von Staatsanleihen entgegenzuwirken. Das könnte helfen, entsprechende Klumpenrisiken zu vermeiden.
Was müsste aus Ihrer Sicht politisch in Deutschland passieren, um die Banken stärker zu machen?
Wenn wir uns die Wettbewerbsfähigkeit der Banken in Deutschland anschauen, stellen wir fest, dass die Cost-Income-Ratio, also das Verhältnis von Kosten und Erträgen, zum Teil bei 60 Prozent und darüber liegt, während Wettbewerber in anderen Ländern mit einem deutlich günstigeren Verhältnis arbeiten. Dabei geht es um die mangelnde Produktivität hierzulande: Das ist nicht nur ein Problem für die Volkswirtschaft insgesamt, sondern auch für den Finanzsektor. Daran müssen wir arbeiten. Die Daten zeigen, dass insbesondere in den USA die Unternehmen gerade auch des Finanzsektors hohe Effizienzgewinne durch die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse erzielen. Die Produktivität wächst dort zum Teil mit zweistelligen Zuwachsraten. Hier spielt mit Sicherheit auch der großflächige Einsatz Künstlicher Intelligenz eine Rolle. Das wäre etwas, das aus meiner Sicht in Deutschland stärker von der Politik unterstützt werden sollte.
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