„Der Umgang mit den USA und China wird rau“ Süddeutsche Zeitung, Interview mit Burkhard Balz

Süddeutsche Zeitung: Herr Balz, was sehen Sie, wenn Sie sich den digitalen Euro im Geiste vorstellen?

Burkhard Balz: Ich sehe einen Schritt nach vorn, um unsere Währung zukunftssicher zu machen, und am Ende auch ein klares Zeichen für mehr europäische Autonomie.

Aber Sie sehen keinen Gegenstand, also kein Äquivalent zu einem Geldschein?

Wenn etwas digital ist, dann sehen Sie es als solches nicht. Schauen Sie, wie wir mit dem Buchgeld hantieren. Wir haben die Euro auf unseren Konten, aber wir sehen den Betrag nur als Anzeige. Wir können aber zur Bank gehen und Buchgeld in Bargeld umwandeln, indem wir es aus dem Geldautomaten ziehen.

Warum sollte ein Bürger vom griffigen Geldschein zum digitalen Euro wechseln?

Solange Menschen Bargeld haben wollen, solange werden Menschen auch mit Bargeld bezahlen können und auch den Zugang zu Bargeld haben. Aber wir merken jeden Tag, dass unsere Welt immer digitaler wird. Innovationen betreffen auch unser Geldsystem. Darauf haben wir als Zentralbank mit dem Projekt zum digitalen Euro reagiert.

Manche Bürger möchten anonym bezahlen, das gelingt nur mit klassischem Bargeld. Zahlungen mit dem digitalen Euro werden registriert.

Als Zentralbanken sind wir an diesen Daten in keiner Weise interessiert. Es wird zudem darüber diskutiert, bis zu einem bestimmten Betrag die Transaktion mit dem digitalen Euro so anonym durchführen zu können, dass genau wie beim Bargeld nur Zahler und Zahlungsempfänger Transaktionsdetails einsehen könnten. Im Gespräch sind Beträge von 100 bis 150 Euro je Transaktion.

Strafverfolger können sich aber vielleicht auf den digitalen Euro freuen, denn sie möchten diese Daten haben, um Verbrecher zu jagen, oder nicht?

Im Rahmen von Strafverfahren können auch heute schon Kreditinstitute und auch eine Zentralbank dazu verpflichtet sein, Daten zu Geschäftsvorgängen gegenüber den Ermittlungsbehörden herauszugeben. Für den digitalen Euro sind keine Ausnahmen hiervon vorgesehen.

Also kann man die Transaktionsdaten zu Geschäften mit dem digitalen Bargeld anders als beim klassischen Bargeld de-anonymisieren?

Natürlich werden auch für den digitalen Euro die Regeln für Geldwäsche gelten. Eines ist klar: Kein Zentralbankvertreter kann ein Interesse daran haben, dass durch den digitalen Euro neue Probleme entstehen.

Aber liefern Sie mit dem Projekt nicht eine Art Steilvorlage für die AfD und andere Radikale? In Frankfurt hat man schon Demonstrationen gegen den digitalen Euro gesehen. Warum tut sich die Bundesbank das an?

Weil wir davon überzeugt sind. Und das Bargeld wollen wir in keiner Weise abschaffen. Wir sind gerade dabei, die dritte Banknoten-Serie voranzubringen, die 2029 eingeführt wird. Das würde man nicht tun, wenn man irgendwelche Pläne zur Abschaffung des Bargelds hätte. Wir stehen zum Bargeld, wir wollen Bargeld auch weiterhin voranbringen und Wahlfreiheit bieten. Wann immer Menschen mit Bargeld bezahlen möchten, soll das möglich sein.

Wie viel kostet das Projekt?

Rund 1,2 Milliarden Euro war die erste Schätzung für die fünf extern zu vergebenen Aufträge, verteilt auf den Euroraum und mit einer Laufzeit von mindestens zehn Jahren. Dies wird aber nur ein Teil der Kosten sein, hinzu kommen Kosten für die Infrastruktur für die Abwicklung der Zahlungen mit dem digitalen Euro, die sich derzeit noch nicht beziffern lassen.

Das Projekt beinhaltet also auch die Einführung eines eigenen Zahlungssystems. Warum?

Es geht um Autonomie, Resilienz und Effizienz. Wir sollten uns künftig weniger auf US-Anbieter wie Paypal und Mastercard verlassen. Selbstverständlich sind die USA ein uns freundlich gesinnter Staat, aber Europa hat immer noch das Restrisiko, dass die Daten in den USA liegen. Die Entscheidung, ob man als Ultima Ratio ein solches Zahlungssystem abklemmt, liegt außerhalb Europas. Da brauchen wir uns auch nichts vorzumachen.

Mastercard und Visa kontrollieren den europäischen Zahlungsmarkt.

Ja, ich habe auch nichts gegen diese Unternehmen. Sie machen definitiv einen guten Job, sonst würden sie auch nicht so gut verdienen. Aber am Ende ist es doch eine Frage aus einem europäischen Blickwinkel, wie man sicherstellt, dass man eigene Hoheitsrechte wahrt.

Ist das Thema jetzt nach der Trump-Wahl noch mal akuter geworden?

Es war auch vorher akut. Ich will das gar nicht politisch bewerten. Aber Politiker kommen mit einem eigenen, manchmal ganz anderen politischen Blick in ihr Amt.

Welche Rolle spielt China bei der Frage europäischer Autonomie im Zahlungsverkehr?

Die Chinesen sind, was die Entwicklungsreife ihrer eigenen digitalen Zentralbankwährung angeht, mit am weitesten weltweit. Sie könnten die digitale Währung einführen, aber haben im Moment Probleme mit der Finanzstabilität des Systems und der wirtschaftlichen Entwicklung.

Wie könnte China den Zahlungsverkehr in Europa kapern?

Ein Beispiel haben wir hier während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland gesehen. Auf einigen Fanmeilen – zum Beispiel in Frankfurt – konnte man nur mit Alipay oder in bar bezahlen. Im touristischen Bereich gibt es bereits viele Stellen, die Zahlungen über chinesische Zahlungsanbieter akzeptieren. Auch bei einigen Lebensmittelhändlern werden diese Zahlungsmittel schon heute angenommen. Das könnte sich in Zukunft fortsetzen. Darauf gilt es, vorbereitet zu sein.

Was muss Europa tun?

Wir müssen im Grunde genommen sehr klar unsere Positionen und Interessen vertreten. Der Umgang mit den USA und China wird rau werden. Wir müssen uns gut festschnallen.

Warum hat Europa kein eigenes Paypal, warum beherrschen die USA den Zahlungsverkehr?

Die privaten Banken in Europa haben in den vergangenen 30 Jahren leider nichts Gemeinsames dazu auf die Beine gestellt.

Aber es gibt jetzt doch EPI und Wero. Dieses neue Angebot der privaten Banken für das digitale Bezahlen ist doch gut gestartet, oder nicht?

Ja, aber in Südeuropa und Skandinavien gibt es wieder andere Zahlungsdienstleister. Wir haben beispielsweise kein eigenes europäisches Bezahlsystem für den E-Commerce-Bereich. Es fehlte eine europäische Antwort. Die Privatwirtschaft hat diese bislang nicht gegeben, deshalb mussten die Zentralbanken einspringen, vor allem nach dem Weckruf durch Libra …

… mit dem Libra-Projekt wollte Facebook 2019 eine eigene Währung schaffen, was später auf politischen Druck abgeblasen wurde …

… ja, und zwar mit potenziell über zwei Milliarden Nutzern weltweit und dazu noch den finanziellen Mitteln, das zu stemmen.  Da merkten wir, dass wir Zentralbanken selbst eine digitale Währung voranbringen müssen, denn es war ja nicht auszuschließen, dass andere Technologiefirmen ähnliche Projekte starten.

Mit Donald Trump als US-Präsident feiern die privaten Kryptowährungen neue Erfolge. Macht Ihnen das Sorgen?

Wenn Sie sich die Welt der Kryptowerte anschauen, dann sprechen wir hier über eine eigene Anlageklasse mit starken Preisschwankungen, also hohen Risiken. Zum heutigen Zeitpunkt sind die bekannten Kryptowerte nicht dafür geeignet, Massenzahlungsverkehr abzuwickeln. Diese Funktionalität ist zugleich außerordentlich limitiert. Im Bitcoin-Netzwerk werden heute weltweit rund 500.000 Transaktionen abgewickelt. Allein in Deutschland haben wir am Tag durchschnittlich knapp 80 Millionen unbare Zahlungen. Ich denke, das sagt alles.

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