Zur Lösung der "Too-big-to-fail"-Problematik: Ein Instrument fehlt noch Gastbeitrag von Jon Cunliffe und Dr. Andreas Dombret im Wall Street Journal

Es ist nicht einfach, das "Too-big-to-fail"-Problem zu lösen. Die Krise hat gezeigt, dass manche Finanzakteure zu groß waren, um zu scheitern ("too big to fail"). In einer funktionierenden Marktwirtschaft muss jedoch jedes Finanzinstitut – unabhängig von seiner Größe und Komplexität – aus dem Markt ausscheiden können, ohne das Finanzsystem und die Wirtschaft insgesamt zu gefährden.

Hierzu bedarf es eines Rahmens miteinander verzahnter Regulierungsreformen, auf den sich die internationale Gemeinschaft verständigen muss. Jedes einzelne Element eines solchen Regulierungsrahmens trägt zu einem robusteren Finanzsystem bei. Aber erst, wenn alle Reformen umgesetzt sind, können wir darauf vertrauen, dass die Abwicklung insolventer globaler Finanzriesen sicher und ohne die Hilfe der Steuerzahler gelingt.

Kernbestandteile dieses Regulierungsrahmens werden derzeit bereits umgesetzt. Strengere internationale Eigenkapital- und Liquiditätsstandards machen es weniger wahrscheinlich, dass Banken überhaupt in eine Schieflage geraten. Aber es sind noch wichtige Arbeiten zu erledigen, bis der Aufsichtsrahmen für Banken vollständig ist: Wir müssen überlegen, ob die Vorzugsbehandlung von Forderungen gegenüber Staaten in den Bankbilanzen nicht neu zu beurteilen ist. Außerdem müssen wir den langfristig orientierten Refinanzierungsstandard (Net Stable Funding Ratio) ausgestalten und uns auf einen Mindeststandard für die zulässige Leverage Ratio einigen.

Im Rahmen eines G20-Abkommens wurde eine zentrale Clearingpflicht für außerbörsliche Derivatekontrakte beschlossen. Auch die Aufsichtsstandards für die Finanzmarktinfrastruktur sind in Europa, Nordamerika und Asien reformiert worden.

Noch fehlt jedoch ein wesentlicher Bestandteil des Regulierungsrahmens: Ein wirksames Abwicklungsregime in allen wichtigen Jurisdiktionen. Die gute Nachricht ist, dass inzwischen ein entsprechender internationaler (Abwicklungs-) Standard vorliegt. Er ermöglicht es den Regulierungsbehörden in unterschiedlichen Rechtsystemen, einen abgestimmten Abwicklungsplan, eine Art Testament (living will), für jede einzelne systemrelevante Bank festzulegen. Und in den Rechtssystemen weltweit wird der internationale Standard über die Abwicklungsmechanismen umgesetzt. Damit erhalten die Abwicklungsbehörden die erforderlichen Befugnisse, Ausfälle zu bewältigen.

Allerdings müssen die Abwicklungsregime noch an Glaubwürdigkeit gewinnen. Entscheidend ist, auch die Bankgläubiger in die Haftung mit einzubeziehen ("Bail-in"). Aber die Spielregeln dafür sind noch nicht ganz klar. So müssen wir insbesondere gewährleisten, dass für den Fall des Scheiterns einer globalen systemrelevanten Bank genügend Ressourcen für den Bail-in zur Verfügung stehen. Diese Ressourcen – die sogenannte Verlustabsorptionsfähigkeit abzuwickelnder Finanzinstitute oder kurz "GLAC" (Gone-Concern Loss Absorbing Capacity) – müssen zur rechten Zeit am rechten Ort in der richtigen Form verfügbar sein, damit die Bank sicher abgewickelt werden kann. Wir halten einen globalen Mindeststandard zu GLAC für geboten – ähnlich den Mindestkapitalanforderungen in Basel III.

Auf internationaler Ebene schreitet die Arbeit an einem Vorschlag für GLAC voran. Eine der noch offenen Fragen ist, ob GLAC auf risikogewichteten Aktiva oder auf einer nicht risikogewichteten Messgröße basieren sollte. Beide Ansätze haben aus unserer Sicht ihre Vorteile: Der risikogewichtete Ansatz stünde mit den Eigenmittelanforderungen nach Basel III im Einklang; doch aus der EU-Perspektive wäre ein nicht risikogewichtetes Konzept vorzuziehen, denn dies wäre mit dem Abwicklungsregime kompatibel, das in der EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten vorgesehen ist.

Wir sehen die Möglichkeit, beide Ansätze miteinander zu verbinden. Konkret würde dies für GLAC bedeuten, dass eine Mindestquote sowohl in Prozent der risikogewichteten Aktiva als auch in Prozent einer entsprechenden Größe einer nicht risikogewichteten Kennziffer definiert werden könnte, wobei die jeweils höhere Quote gelten sollte. In jedem Falle sollte der GLAC-Standard eine Mindestquantität und -qualität beinhalten, damit die Bank ihre für die Wirtschaft wichtigen Funktionen weiter erfüllen kann, während das Kreditinstitut abgewickelt wird und seine nicht systemrelevanten Funktionen nach und nach reorganisiert oder aufgelöst werden.

Die G20 haben sich darauf geeinigt, beim November-Gipfel in Brisbane den Entwurf für einen GLAC-Standard vorzulegen. Dieses Vorgehen ermöglicht ein gründliches öffentliches Konsultationsverfahren sowie eine quantitative Auswirkungsstudie als Grundlage, um die endgültigen Regeln festzulegen. Die Einführung der neuen Regeln wird allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen, da GLAC wahrscheinlich zu einer Veränderung der Geschäftsmodelle bei den Banken führen dürfte.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der "Too-big-to-fail"-Regulierung ist die grenzüberschreitende Anerkennung nationaler Abwicklungsmaßnahmen, einschließlich der Haftungsbeteiligung (bail-in) von Schuldtiteln, die nach ausländischem Recht begeben wurden. Bislang ist die große Mehrheit der Abwicklungsbehörden rund um den Globus noch nicht befugt, Abwicklungsmaßnahmen anzuerkennen und durchzusetzen, die von Behörden in anderen Jurisdiktionen ergriffen wurden. Dies behindert das Abwicklungsverfahren bei grenzüberschreitend tätigen Banken.

Derivatekontrakte sollten so gestaltet sein, dass in unterschiedlichen Jurisdiktionen ergriffene Abwicklungsmaßnahmen anerkannt werden. Insbesondere sind neue globale Rahmenverträge für Derivate nötig, die vorübergehend nicht gekündigt werden können, wenn eine systemrelevante Bank in die Abwicklung geht. Der Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board) und die International Swaps and Derivatives Association haben unsere volle Unterstützung bei ihren gemeinsamen Bemühungen, die großen Derivatehandelshäuser solcher Instrumente zur Gestaltung neuer Verträge zu bewegen.

Die Diskussionen über die Lösung des "Too-big-too-fail"-Problems und die Verbesserung der Abwicklungsfähigkeit von Banken beschränken sich jedoch nicht allein auf GLAC. Weitere Bestandteile des Programms sind die Volcker-, Vickers- und Liikanen-Vorschläge. Sie alle sind aufgrund ihres Präventivcharakters hilfreich, wenn es darum geht, „too big to fail“ weniger wahrscheinlich zu machen. Doch auch mit wirksamen Trennbankengesetzen in einzelnen Jurisdiktionen können wir nicht ausschließen, dass systemrelevante grenzüberschreitend tätige Banken scheitern. Daher brauchen wir einen Mindeststandard für GLAC.

Schlussendlich sollten wir, um das Regelwerk zu komplementieren, andere wichtige Finanzunternehmen wie Clearinghäuser und Nichtbanken nicht vergessen, die nicht hinnehmbare systemische Störungen auslösen können. Erst wenn wir alle diese Reformen miteinander verbinden und vollenden, wird es uns gelingen, das "Too-big-too-fail"-Problem zu lösen.

Jon Cunliffe ist stellvertretender Gouverneur der Bank of England. Andreas Dombret ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank.