Wohlstand durch Digitalisierung – Digitaler Wandel ist entscheidend für höhere Arbeitsproduktivität Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Sich etwas leisten können, Freizeit haben, sozial abgesichert sein, in einer gesunden Umwelt leben – Wohlstand hat viele Facetten. Nicht alle lassen sich durch ökonomische Messgrößen voll erfassen. Aber um einen hohen Lebensstandard zu erhalten, müssen wir Waren und Dienstleistungen effizient produzieren, also mit den eingesetzten Mitteln sparsam umgehen.

Gelingt es, Waren und Dienstleistungen mit weniger Arbeitseinsatz zu erstellen, steigt die Arbeitsproduktivität. Dies eröffnet individuellen Spielraum für kürzere Arbeitszeiten oder höhere Löhne. Produktivere Volkswirtschaften sind besser in der Lage, ein hohes Niveau öffentlicher Vorsorge zu finanzieren, etwa den allgemeinen Zugang zu modernster Medizin.

Auf lange Sicht hängt die Produktivität vor allem vom technischen Fortschritt ab – also von neuen Ideen, Innovationen oder verbesserten Verfahren. Innovationen wie die Entwicklung der Dampfmaschine und die Elektrifizierung haben in der Vergangenheit die Produktion tiefgreifend verändert. Es folgten große Sprünge bei der Arbeitsproduktivität und höhere Lebensstandards.

Seit Längerem gehen die Produktivitätszuwächse in vielen Industrieländern jedoch zurück. Gleichzeitig erleben wir, wie sich digitale Technologien rasch verbreiten: etwa der verstärkte Einsatz von Robotern oder die steigende Nutzung digitaler Plattformen. Darüber hinaus stehen neue Technologien wie Künstliche Intelligenz oder das Internet der Dinge in den Startlöchern für eine breite Anwendung.

Aber wie passen Technologiewelle und Produktivitätsflaute zusammen? Führt die Digitalisierung tatsächlich zu mehr Produktivität?

Fachleute der Bundesbank haben untersucht, wie sich der digitale Wandel zwischen 1997 und 2018 auf die Arbeitsproduktivität in den großen Ländern des Euroraums sowie den Vereinigten Staaten ausgewirkt hat. Ihr Ergebnis: Die Produktion und Verwendung von Digitalgütern wie Software und Telekommunikationstechnik gaben der Arbeitsproduktivität wesentliche Impulse.

Bei den Produzenten von Digitalgütern fielen die Effizienzgewinne regelmäßig deutlich größer aus als im Rest der Wirtschaft. Hierzu gehören etwa Hersteller von Software und Hardware sowie IT-Dienstleister. Sie machen zwar nur einen relativ geringen Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung aus. In den betrachteten Staaten ist es jeweils weniger als ein Zehntel. Dennoch sind sie aufgrund der immensen Effizienzfortschritte bedeutsam dafür, wie sich die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität entwickelt. Ohne diese Effizienzgewinne wäre gemäß unseren Analysen das Produktivitätswachstum in den USA, Deutschland und Frankreich erheblich niedriger ausgefallen.

Digitale Technologien werden zwar in einem relativ kleinen Bereich der Volkswirtschaft hergestellt, verändern aber auch in anderen Bereichen Produkte und Prozesse: Sensoren helfen, bei der Getreideernte Sprit und Arbeitszeit zu sparen; die neue Software entlastet die Bäckerei von Verwaltungsaufgaben. Solche digitalen Vorleistungen spielen eine enorme Rolle dabei, dass der digitale Wandel die Arbeitsproduktivität erhöht.

Allerdings scheinen die Impulse der Digitalisierung innerhalb des Untersuchungszeitraums nachgelassen zu haben. Die Gründe dafür sind zunächst unklar. Womöglich erfordern Allzwecktechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quantencomputing für die praktische Anwendung im Unternehmensalltag zusätzliche Innovationen und Investitionen. Dann könnten wesentliche Produktivitätsgewinne noch vor uns liegen. 

Klar ist aber: Damit Unternehmen das Potenzial der Digitalisierung ausschöpfen können und weitere Innovationen anstoßen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Zu einem investitionsfreundlichen Umfeld gehören stabile Preise. Der EZB-Rat ist entschlossen, die hohe Teuerung zu überwinden. Aus heutiger Sicht werden die Zinsen weiter steigen müssen, um die Inflationsrate wieder auf 2 Prozent zu senken.

Zu attraktiven Rahmenbedingungen gehören aber auch eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur und eine innovationsfreundliche Regulierung mit klaren Regeln für die Nutzung von Daten und KI-Systemen. Und es braucht passend qualifizierte Beschäftigte. Denn der digitale Wandel führt nicht nur zu einer Automatisierung von Tätigkeiten, er bringt auch eine Vielzahl neuer Berufsbilder und Arbeitsplätze.

Damit der Wandel vor allem eine Chance ist und nicht als Bedrohung empfunden wird, ist Bildung der Schlüssel. Konsequente Aus- und Weiterbildung versetzt die Menschen in die Lage, mit den schnellen Veränderungen Schritt zu halten. Lernen sollte deshalb zum stetigen Begleiter durch das Berufsleben werden. Der Staat kann außerdem mit seinem Netz der sozialen Sicherung helfen, besondere Härten aus dem digitalen Wandel abzufedern.

Und er kann noch mehr tun: Digitale Chancen lassen sich mit einer effizienten und modernen Verwaltung noch besser verwirklichen. Sie sollte ihre Dienstleistungen so weit wie möglich online anbieten und abwickeln. Die OECD wies in ihrem jüngsten Wirtschaftsbericht für Deutschland darauf hin, dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung es erleichtert, digitale Technologien im privaten Sektor einzuführen.

Es gibt also eine Reihe von Ansatzpunkten, um mit dem Rückenwind des digitalen Wandels der Produktivität neuen Schwung zu verleihen. Die rasanten Fortschritte in Bereichen wie der Künstlichen Intelligenz oder des Quantencomputing fordern uns alle: Unternehmen müssen investieren, Beschäftigte müssen sich weiterbilden, der Staat muss den richtigen Rahmen setzen und soziale Härten abfedern. Aber die Fortschritte legen eben auch nahe, dass die positiven Potenziale digitaler Technologien noch längst nicht ausgeschöpft sind. Das sind gute Nachrichten für unseren Wohlstand von morgen – in all seinen Facetten.