Wirtschaft unterrichten Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung
"Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann eine Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen."
Mit diesem Tweet hat eine 17-jährige Schülerin vor drei Jahren eine Debatte darüber losgetreten, welchen Stellenwert ökonomische Bildung in Schulen einnimmt. Man kann sagen: mal wieder. Denn wie so häufig zuvor folgte der daraufhin einsetzenden Diskussion: nichts. Man kann im Einzelfall darüber streiten, ob nun der Staatshaushalt oder die Dreigroschenoper im Lehrplan höher anzusiedeln sind. Zahlreiche Studien und Umfragen stellen der deutschen Bevölkerung jedenfalls schlechte Schulnoten bei Wirtschaftsthemen aus.
In einer Befragung aus dem Jahr 2010 wusste zum Beispiel die Hälfte der befragten Zehntklässler nicht, was ein Girokonto ist. In einer aktuellen Untersuchung der Marktforschungsgesellschaft GfK kannten mehr als 90 Prozent der Befragten den Fußballer Mario Götze, aber nur die Hälfte den EZB-Chef Mario Draghi. Ein wesentlicher Grund: Das Angebot der deutschen Schulen an ökonomischer Bildung ist begrenzt. Wirtschafts- und Finanzthemen werden nur in einem Bundesland in einem eigenen Schulfach unterrichtet. In den meisten Bundesländern werden die Inhalte in Geographie, in Geschichte oder in Mischfächern wie Wirtschaft-Politik behandelt. Eine feste Stundenzahl hierfür gibt es aber vielfach nicht. Auch sind die Schulen nicht dazu verpflichtet, Wirtschaftskurse für die Oberstufe anzubieten. Da Bildung bekanntlich Ländersache ist, sind die Lehrpläne der Bundesländer entsprechend vielfältig.
Kritiker des Wirtschaftsunterrichts in Schulen argumentieren, dass der Schulunterricht nicht für alles in die Verantwortung zu nehmen sei. Andere hegen eine grundsätzliche Abneigung gegenüber einem eigenen Schulfach für ökonomische Themen. Wirtschaft solle im Kontext von Politik und Gesellschaft erklärt und verstanden werden. Pragmatische Ansätze kommen von außerhalb der Schulen. Initiativen zur ökonomischen Bildung gibt es bei Banken und Sparkassen bis hin zur Medienbranche. Sie stellen Unterrichtsmaterialien bereit oder veranstalten Schülerwettbewerbe. Auch die Bundesbank hat sich ökonomische Bildung zur Aufgabe gemacht. Unser Fokus liegt auf den Themen Geld und Geldpolitik. Dazu bieten wir Bildungsmaterialien zur Unterrichtsvorbereitung an und sind selbst in den Schulen vor Ort: Allein im vergangenen Jahr haben wir 1600 Veranstaltungen zur ökonomischen Bildung an Schulen und in unseren Hauptverwaltungen durchgeführt.
Doch der Erfolg solcher Initiativen hängt entscheidend davon ab, ob sie von Schulen tatsächlich nachgefragt werden. Das Schulsystem ist und bleibt die zentrale Stelle für die Bildungsarbeit. Es muss deshalb eine Debatte um eine bessere ökonomische Bildung in der Schule geführt werden – ein Aussitzen wäre gefährlich. Denn schon bei Alltagsfragen geht es mitunter um Existenzielles. Als vor einigen Monaten mehrere italienische Banken abgewickelt wurden, haben etliche Privatanleger einen Teil ihrer Altersvorsorge verloren. Sie hatten in Anleihen dieser Banken investiert – ohne die Risiken zu verstehen und ohne hinreichend aufgeklärt worden zu sein. Es war aus Sicht dieser Einzelanleger Glück im Unglück, dass es sich um flächendeckende Vertriebspraktiken in Italien handelte und der italienische Staat deshalb Entschädigungszahlungen leistete. Es geht bei ökonomischer Bildung aber nicht nur um die Frage, wie Sparer ihr Geld am besten anlegen sollten, sondern auch darum, die Wirtschaft als Ganzes zu verstehen. So knüpfen wir als Bundesbank unsere Bildungsaktivitäten an unser geldpolitisches Mandat: Geldpolitik kann nur dann wirksam kommuniziert werden, wenn die Menschen grundlegende Zusammenhänge zwischen Geld, Inflation und Zinsen kennen und begreifen.
Das Problem betrifft aber nicht allein die Geldpolitik, sondern geht weit darüber hinaus. Ein Beispiel ist die Globalisierung: Ohne ein grundlegendes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge werden Menschen empfänglicher für vermeintlich einfache, aber sachlich falsche Lösungen wie zum Beispiel den Protektionismus. Spätestens hier wird deutlich: Auch die Abwesenheit ökonomischer Bildung im Lehrplan formt eine Gesellschaft.
Mit einer bloß verbalen Unterstützung für ökonomische Bildung werden wir wenig bis nichts erreichen können. Seit Jahrzehnten herrscht nahezu Stillstand. In verstaubten Berichten aus den Siebzigerjahren wurde schon nahezu wortgleich mehr ökonomische Schulbildung gefordert. Ein Weg zu einer sehr viel besseren ökonomischen Bildung in Deutschland könnte ein eigenständiges Schulfach sein. Dieser Weg könnte verhindern, dass ökonomisches Wissen nur als Gelegenheitsware in anderen Fächern auftaucht. Dabei muss es im Schulunterricht nicht um aufwendige ökonomische Modelle gehen. Die Ökonomie ist überaus komplex und verlangt zudem Werturteile. Schülerinnen und Schüler sollten daher zunächst befähigt werden, mitzureden und für ökonomische Fragen des alltäglichen Lebens eigene Antworten zu entwickeln.
Der Lehrplan eines solchen Fachs sollte überzogene Ziele vermeiden und praktische Inhalte vorziehen. Grundlegende Kompetenzen sollten im Vordergrund stehen. Dazu zählt etwa, unter Berücksichtigung von Ressourcenknappheit zu denken und Wirtschaftskreisläufe zu verstehen. Auch für den Zusammenhang zwischen Risiko und Rendite sollten künftige Anleger ein Gespür entwickeln. Eine kritische Auseinandersetzung mit Wirtschaftsdogmen und der Wirtschaftsgeschichte hilft überdies, ideologische Grabenkämpfe zu verhindern.
Die jahrzehntealten Widerstände gegenüber breitenwirksamer ökonomischer Bildung scheinen also überwindbar. Eine Hürde bliebe aber: Ernstzunehmende ökonomische Bildung kann nur von ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. Ein oder zwei Nachmittagsfortbildungen werden dem komplexen Wirtschaftsleben von heute nicht gerecht. Ich appelliere daher an alle Verantwortlichen in der Bildungspolitik, die Lücke im Bereich ökonomische Bildung zu schließen.