Wir wussten, dass massive Probleme auf uns zukamen Gastbeitrag im Handelsblatt

Jens Weidmann ©Manjit Jari
Ich kann mich noch sehr gut an das Wochenende vor dem Zusammenbruch der Lehman-Bank erinnern. Ich war damals zu Hause im Rheingau. Dass an dem Montag danach die gesamte Finanzwelt aus den Fugen zu geraten drohte, war an diesem September-Wochenende nicht wirklich abzusehen. Aber wir wussten, dass massive Probleme auf uns zukamen. Daher war ich in vielen Telefonkonferenzen und stand fast ununterbrochen mit meinen damaligen Kollegen von der Bundesregierung und im Ausland in Kontakt. Am frühen Montag bin ich zurück nach Berlin geflogen und war von da an in vielen Krisensitzungen, zum Beispiel im Kanzleramt und im Bundesfinanzministerium. Ich bin nicht erst seit der akuten Krisenphase vor fünf Jahren überzeugt, dass sich Krisen und Finanzmarktturbulenzen nicht völlig verhindern lassen. Wir müssen und können aber dafür sorgen, dass Krisen weniger wahrscheinlich werden und nicht mehr so gravierende Auswirkungen haben. Eine besondere Herausforderung ist dabei folgende: Nach jeder Krise analysiert ein Heer von Fachleuten, wie es dazu kommen konnte, und entwickelt passende Erklärungsmodelle. Alle Welt konzentriert sich dann darauf, dass nicht noch einmal dieselben Fehler gemacht werden – und übersieht dafür möglicherweise neue brisante Fehlentwicklungen. So wurden zum Beispiel vor dieser Krise sehr stark die externen Bewertungen in den Vordergrund gestellt und damit die Rolle der Ratingagenturen gestärkt. Heute sehen einige darin aber eine der wesentlichen Krisenursachen und fordern stattdessen, nur noch auf interne Bewertungen zu setzen. Ob diese internen Bewertungen aber das allein Seligmachende sind, bezweifle ich sehr. Wir sollten beides nutzen – externe und interne Bewertungsverfahren. Keines der beiden ist perfekt. Aber beide tragen zu einem Gesamtbild der Risiken bei.