Wir brauchen einen starken Finanzplatz Deutschland Gastbeitrag im Handelsblatt

Deutschland steht vor einem historischen Strukturwandel. Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel erfordern den Umbau unserer Wirtschaft. Das wird kein Selbstläufer sein.

Ein Dreh- und Angelpunkt dabei ist die Finanzierung des enormen Investitionsbedarfs. Daher muss das Finanzsystem als notwendige Infrastruktur für den Wandel der Realwirtschaft verstanden werden, sowohl vom Finanzsektor selbst als auch vom Staat.

Für den Finanzsektor heißt das, sich noch stärker als Dienstleister der Realwirtschaft zu verstehen und sich mit anderen Branchen am Finanzplatz zu vernetzen. Für den Staat heißt das, den Rahmen so zu setzen, dass die Finanzbranche diese Aufgabe wahrnehmen kann.

Städte mit großen Finanzplätzen würden davon profitieren, den Ausbau eines vielfältigen Finanzökosystems aktiv zu unterstützen. Bund und Länder können den Ausbau der Marke „Finanzplatz Deutschland“ koordinieren und fördern. Der Anstoß dazu muss aber von den Akteuren des Privatsektors kommen. Der Ball liegt in ihrem Spielfeld.

Die Ausgangslage ist vielversprechend. Als ein weltweit führender Industrie- und Hochtechnologiestandort verfügt Deutschland über ein großes Wachstums- und Innovationspotenzial.

In Deutschland fehlen Investoren, die potenzielle Zukunftstechnologien langfristig begleiten

Zudem ist das Kapital für den Umbau der Wirtschaft grundsätzlich vorhanden: So ist die Eigenkapitalquote deutscher Unternehmen vergleichsweise hoch, und das Bankensystem verfügt über eine adäquate Kapitalausstattung.

Nicht zuletzt schafft ein etabliertes System von Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken Kundennähe. Dennoch wäre es riskant, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.

Der Finanzierung über das Bankensystem sind aus guten Gründen regulatorische Grenzen gesetzt. Gleichzeitig fehlt es oft an privaten Investoren, die bereit sind, Innovationen und potenzielle Zukunftstechnologien langfristig zu begleiten.

Das ist einer der Gründe, warum viele deutsche Start-ups Insolvenz anmelden müssen, darunter wichtige Innovatoren, etwa aus dem Bereich E-Mobilität. Das Fehlen von Investoren ist verbunden mit mangelnder Risikobereitschaft sowie fehlenden Branchenkenntnissen hierzulande.

Zwei Dinge sind nötig: Erstens braucht es eine bessere Vernetzung von Investitionsbedarf, Know-how und Investoren. Und zweitens geht es darum, das Finanzierungsökosystem in Deutschland auszubauen.

Dieses Ökosystem setzt sich aus vielfältigen Akteuren zusammen: Investoren, Banken, Börsen, Analysten, Datenanbietern, Versicherern, Juristen, Steuer- und Unternehmensberatern und vielen anderen.

All diese Branchen sind aktiv gefordert, die Wachstumschancen der Realwirtschaft zu analysieren und zu fördern. Das erhöht die Branchenkenntnisse und damit auch die Investitionsbereitschaft vor Ort.

All die genannten Branchen bilden, neben den klassischen Financiers, den „Finanzplatz Deutschland“. Das sollte beim Ausbau des Finanzplatzes – als notwendiger Infrastruktur für den Wandel der Realwirtschaft - Teil des Kalküls sein. Finanzplätze in Paris, London oder Singapur sind bereits entsprechend aufgestellt. 

Die Bundesrepublik zählt zu den weltweit größten Emittenten von Green Bonds

Die deutsche Wirtschaft profitiert von der vorhandenen Bankeninfrastruktur. Der enorme Investitionsbedarf kann aber nur gedeckt werden, wenn mehr über den Kapitalmarkt finanziert wird.

Das gilt insbesondere für Innovationen und risikoreichere Projekte. Gerade im Bereich der Wagniskapitalfinanzierungen gibt es hierzulande noch Luft nach oben.

Die aktuelle Situation der deutschen Start-up Szene ist ein Indiz. Eine Brücke zwischen Banken und Kapitalmarkt können Verbriefungen sein. So können verbriefte deutsche Mittelstandskredite einen wichtigen Beitrag zur Investitionsfinanzierung leisten.

Ein Bereich, wo Deutschland bereits heute international wahrgenommen wird, sind nachhaltige Finanzierungen über den Anleihemarkt. Hier haben deutsche Handelsplätze eine Vorreiterrolle.

In keinem anderen Land der Welt wurden bis 2022 mehr Green Bonds emittiert, über 180 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik selbst zählt zu den weltweit größten Emittenten, ihre grüne Zinskurve hat bereits Referenzcharakter für den globalen Markt.

Auch Industrieunternehmen sind neben Entwicklungs- und Förderbanken wichtige Emittenten. Der größte Teil dieses Markts entfällt auf deutsche Handelsplätze, die auch für ausländische Investoren attraktiv sind.

Auch der weltweit erste marktbasierte Preisindex für grünen Wasserstoff startete im Mai in Leipzig. Diese und andere innovative Vorstöße gilt es zu nutzen, um Deutschland als global führenden „Finance Hub“ für die Transformation zu etablieren.

Dann käme dem Finanzplatz Deutschland auch eine bedeutende Rolle in der Transformation der Realwirtschaft im In- und Ausland zu. Diese Chance gilt es zu nutzen!