Systemrelevante Banken: Fortschritte und Handlungsbedarf Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden die Folgen der Finanzkrise 2008/09 übertreffen. Umfangreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen haben die Folgen der Pandemie zwar abgemildert, können aber eine tiefe Rezession nicht verhindern. Es drohen zunehmende Insolvenzen von Unternehmen. Das Finanzsystem hat sich in der aktuellen Krise bislang als recht robust erwiesen. Jetzt zahlen sich die Reformen der internationalen Finanzmärkte der vergangenen Jahre aus.
Systemische Risiken begrenzt
Ein Eckpfeiler dieser Reformen ist die Begrenzung der Toobig-to-fail- Problematik. Von sehr großen oder vernetzten Banken gehen systemische Risiken aus: Ihre Schieflage kann die Finanzstabilität gefährden. In der Vergangenheit sind Regierungen oft eingesprungen, um systemrelevante Banken zu "retten". Solche impliziten staatlichen Garantien führen zu Finanzierungsvorteilen systemrelevanter Banken. Denn die Märkte gehen davon aus, dass der Staat einspringt, wenn es eng wird. Dies erhöht den Anreiz für die Banken, höhere Risiken einzugehen und mit geringeren Risikopuffern in Form von Eigenkapital zu operieren.
Ziel der Reformen war es, systemische Risiken und diese Fehlanreize zu begrenzen. Systemrelevante Banken müssen erhöhte Anforderungen an das Eigenkapital erfüllen und werden verstärkt beaufsichtigt. Ein Kernelement der Reformen sind spezielle Abwicklungsregime, über die systemrelevante Banken in Schieflage restrukturiert und gegebenenfalls abgewickelt werden können.
Waren diese Reformen erfolgreich? Werden Steuerzahlerinnen und Steuerzahler künftig weniger in Haftung genommen? Das Financial Stability Board (FSB) hat diese Fragen nun auf G20-Ebene evaluiert und im Juni einen Konsultationsbericht vorgelegt. Die Evaluierung bezieht sich auf die 30 global systemrelevanten Banken - für Deutschland ist die Deutsche Bank in dieser Gruppe. Zudem werden national systemrelevante Banken betrachtet - von den weltweit 132 Banken in dieser Gruppe hatten Ende 2018 weitere 12 Banken ihren Sitz in Deutschland. Kurz gefasst lautet das Ergebnis der Evaluierung: Ja, die Reformen zeigen Wirkung, sie haben positive gesamtwirtschaftliche Effekte - aber es gibt noch Handlungsbedarf.
Das Eigenkapital der global systemrelevanten Banken hat sich im vergangenen Jahrzehnt deutlich erhöht. Im Vergleich zu anderen Banken und gemessen am Eigenkapital relativ zur Bilanzsumme sind die global systemrelevanten Banken allerdings vom Niveau her geringer kapitalisiert. Die Kreditvergabe ist insgesamt nicht gesunken, aber es hat eine Verschiebung weg von den systemrelevanten Banken gegeben. Bei den neuen Abwicklungsregimen für Banken wurden wichtige Fortschritte erzielt. Die Behörden haben heute weitaus bessere Möglichkeiten, mit Banken in Schieflage umzugehen. Gläubiger können besser an Verlusten beteiligt werden: Zusätzlich zu erhöhten Anforderungen an das Eigenkapital müssen systemrelevante Banken Fremdkapital emittieren, das für eine Verlustbeteiligung, ein "Bail-in", im Krisenfall zur Verfügung steht. Insgesamt hat sich das Haftungskapital der global systemrelevanten Banken deutlich
erhöht.
Die Vorteile systemrelevanter Banken bei der Refinanzierung sind tendenziell gesunken. Risiken der Banken spiegeln sich besser in den Finanzierungskosten wider; Ratingagenturen schätzen die impliziten Garantien als geringer ein. Risiken für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sollten damit gesunken sein.
Mehr Eigenkapital, geringere Vorteile bei der Finanzierung und geringere Risiken führen letztlich zu sinkenden Eigenkapitalrenditen der Banken. Dies rückt die öffentliche Diskussion über eine niedrigere Profitabilität der Banken in ein angemessenes Licht: Ein Rückgang der Eigenkapitalrendite kann mit einer höheren Stabilität des Finanzsystems verbunden sein und eine beabsichtigte Wirkung der Reformen darstellen.
Gleichzeitig bleibt eine saubere Ursachendiagnose nötig: Eine geringe Profitabilität kann ebenso ein Zeichen sein, dass der Wettbewerb relativ intensiv ist und Banken mit fehlendem Geschäftsmodell nicht aus dem Markt ausscheiden, sondern zum Druck auf die Margen beitragen. Die Too-big-to-fail-Reformen erleichtern den Umgang mit solchen Banken - und damit den Strukturwandel hin zu einem nachhaltig stabilen Finanzsystem.
Noch Handlungsbedarf
Für das deutsche Finanzsystem bestätigen sich einige dieser Ergebnisse, aber es gibt auch Unterschiede. Die Kapitalisierung der deutschen Banken hat sich erhöht, aber auch hier weisen größere und systemrelevante Banken tendenziell geringere (risikoungewichtete) Eigenkapitalquoten auf als kleinere Banken. Insgesamt gibt es für das deutsche Bankensystem aber keine klaren Hinweise darauf, dass Finanzierungsvorteile systemrelevanter Institute gesunken sind.
In der Summe zeigen diese Ergebnisse der Evaluierung, dass mit den Too-big-to-fail-Reformen Fortschritte gemacht wurden, gleichzeitig aber weiter Handlungsbedarf besteht. Die globale Finanzkrise war ein Wendepunkt in der Regulierung der globalen Finanzmärkte. Trotz der hohen Unsicherheit dürfte die jetzige Pandemie den wirtschaftlichen Strukturwandel beschleunigen. Hierfür haben die Reformen das Finanzsystem besser vorbereitet.
Damit der Strukturwandel gelingt und das Finanzsystem seine Funktion für die Realwirtschaft erfüllen kann, müssen die Reformen weiterhin konsequent umgesetzt werden. Dabei dürfen die national systemrelevanten Banken und Risiken außerhalb des Bankensystems nicht aus dem Blick gelassen werden. Auf die Folgen der Pandemie sollte deshalb nicht durch eine Aufweichung der Reformen reagiert werden. Nur robuste und gut kapitalisierte Banken können ihren gesamtwirtschaftlichen Beitrag leisten.