Steigende Zinsen erhöhen die Erträge, aber auch das Risiko Gastbeitrag in der Berliner Zeitung

Vorsicht an der Bahnsteigkante! Wer gelegentlich mit der Bahn fährt, kennt das Problem: volle Bahnsteige – anstrengend und potenziell gefährlich. Wer nicht aufpasst, droht an die Bahnsteigkante gedrängt zu werden und auf die Gleise zu stürzen.

Die deutschen Banken stehen derzeit auf einem sehr vollen Bahnsteig. Von verschiedenen Seiten werden sie bedrängt und näher an die Kante geschoben. Die Inflation steigt rasant an; aktuell liegt sie in Deutschland bei 10 Prozent – so hoch wie seit 1951 nicht mehr. Und es ist davon auszugehen, dass sie nur allmählich sinken wird. Für das kommende Jahr rechnen wir derzeit mit etwa 7 Prozent Inflation.

Viele Start-ups in Berlin

Besonders stark steigen die Preise für Energie und Lebensmittel – das sehen wir alle an der Zapfsäule, in der Supermarktkasse. Die hohen Kosten für Gas und Strom tragen wir schon, bevor die Jahresabrechnung überhaupt da ist. Die hohe Inflation belastet aber nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch Unternehmen, die mit höheren Kosten kämpfen müssen. Hinzu kommt, dass die Wirtschaft unter den Nachwirkungen der Corona-Krise und unter dem Krieg in der Ukraine leidet. Lockdowns und Sanktionen stören die komplexen globalen Handelsströme.

Berlin ist davon bisher allerdings weniger betroffen als der Rest des Landes. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die klassische Industrie für die Berliner Wirtschaft eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. Gleichzeitig ist der Anteil der öffentlichen Dienstleistungen in Berlin höher als im Bundesdurchschnitt. Das schützt bis zu einem gewissen Grad vor den aktuellen Herausforderungen; die Frage ist nur, wie lange. Denn zum einen gibt es in Berlin sehr viele junge Start-Up-Unternehmen. Zum anderen spielen konsumnahe Dienstleistungen eine relativ große Rolle. Beide Bereiche leiden offensichtlich unter einem allgemeinen Wirtschaftsabschwung. Und es mehren sich die Anzeichen, dass Deutschland in einen wirtschaftlichen Abschwung gerät.

Damit sind auch die deutschen Banken ein Stück näher an die Bahnsteigkante geraten – geht es der Wirtschaft schlecht, leiden auch die Banken. Das gilt für Berlin ebenso wie für den Rest des Landes. Die hohe Inflation könnte die Fähigkeit von Haushalten und Unternehmen einschränken, Kredite zu bedienen. Das ist durchaus ein Risiko, das wir ernst nehmen.

Der Berliner Bankenmarkt ist generell sehr vielfältig und wettbewerbsintensiv. Hier findet sich alles, von klassischen Sparkassen und Volksbanken über Privatbanken bis hin zu bundesweit aktiven Direktbanken – rund 40 Kreditinstitute beaufsichtigen wir in der Hauptstadt. Vor allem aber hat Berlin sich in den vergangenen Jahren zu einem Zentrum für FinTechs entwickelt – gut ein Drittel der bundesweit rund 1.000 FinTechs sitzen in Berlin. Diese jungen, technologiestarken Finanzunternehmen machen den Banken auf verschiedenen Feldern Konkurrenz – oder eröffnen ihnen neue Kooperationsmöglichkeiten. Auch diesen Trend dürfen Banken nicht verpassen.

Noch stehen die Banken stabil: Sie haben ein komfortables Polster aus Eigenkapital, mit dem sie mögliche Verluste auffangen können. Hinzu kommt, dass der EZB-Rat damit begonnen hat, die Zinsen zu erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen. Und steigende Zinsen helfen den Banken, zumindest mittel- bis langfristig. Denn einen großen Teil ihrer Erträge erwirtschaften Banken über das Zinsgeschäft. Entsprechend haben sie in der langen Phase sehr niedriger Zinsen gelitten und profitieren nun von steigenden Zinsen.

Sie profitieren allerdings nicht sofort, denn zunächst können steigende Zinsen zur Last werden. Kurse von Wertpapieren fallen, und Banken, die Wertpapiere halten, machen Verluste – vor allem, wenn sie diese Geschäfte nicht abgesichert haben. Insgesamt dürften die kleineren Banken zunächst stärker leiden als die großen. Das Leid dürfte jedoch moderat ausfallen, und mittelfristig sollten auch die kleineren Banken von den steigenden Zinsen profitieren.

Aktuell müssen wir uns um die Banken noch keine Sorgen machen. Aber der Ausblick ist alles andere als rosig und mehr als unsicher. Daher gilt auch für die Banken: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Wer jetzt einen unbedachten Schritt tut, fällt möglicherweise auf die Gleise.

Wichtig ist erstens, dass Banken so rasch wie möglich anerkennen, wenn die Qualität der vergebenen Kredite sinkt. Probleme unter den Teppich zu kehren, wird nicht funktionieren. Wichtig ist zweitens, dass Banken ihre Kapitalbasis erhalten, auch wenn das schmerzhafte Entscheidungen erfordern mag. Und drittens ist wichtig anzuerkennen, dass steigende Zinsen zwar die Erträge stützen, aber auch die Risikolage verändern. Ein Beispiel ist der Immobilienmarkt. Wer eine Immobilie finanzieren will, der leidet unter steigenden Zinsen. Zwar haben sich viele Häuslebauer langfristig günstige Konditionen über langlaufende Zinsbindungsfristen gesichert. Wenn die Zinsbindung allerdings ausläuft, kann die finanzielle Belastung stark steigen. Das Risiko, sich übermäßig zu verschulden, wird größer. Damit steigt auch das Risiko derjenigen Banken, die Immobilienkredite vergeben haben – und das sind die meisten.

Wir Bankenaufseher beobachten die aktuellen Entwicklungen sehr genau. Wir analysieren ständig die Lage der Banken – sowohl auf der Ebene einzelner Institute als auch der des gesamten Systems. Und wenn es notwendig wird, handeln wir. Mit Blick auf die oben erwähnten Risiken bei Immobilienkrediten hat die Aufsicht zum Beispiel bereits angeordnet, dass Banken ab dem kommenden Jahr zusätzliches Eigenkapital halten müssen.

Den Zug nicht verpassen

Ähnlich wie beim neuen Lichtleitsystem am Berliner Bahnhof Südkreuz, passen wir unsere Aufsicht also an die Rahmenbedingungen an, um Unfälle zu vermeiden. Aber letztlich liegt es an den Banken, sich verantwortungsbewusst zu verhalten.

Und sie müssen nicht nur an der Bahnsteigkante aufpassen. Sie müssen auch alles tun, um den Zug nicht zu verpassen. Denn auch wenn es zurzeit sehr drängende Probleme gibt, sehen wir in der Zukunft einen grundsätzlichen Wandel. Erstens treibt uns der Klimawandel in eine nachhaltigere Wirtschaft. Das betrifft auch das Geschäft der Banken, und sie müssen sich rechtzeitig damit auseinandersetzen. Zweitens wird die Wirtschaft digitaler. Das bietet den Banken einerseits Chancen, andererseits bringt es neue Wettbewerber auf den Markt.

Die Banken müssen also jeden Schritt sorgfältig bedenken und gleichzeitig den Zug nicht verpassen. Wir Aufseher tun das unsere, um sicherzustellen, dass Banken sich jetzt vorsichtig verhalten, aufmerksam bleiben und aufkommende Risiken sowie strukturelle Trends nicht unterschätzen. Denn ein stabiler Bankensektor ist auch eine wichtige Stütze für die Wirtschaft – gerade in Zeiten, die geprägt sind von Krisen und Wandel.