Risiken brauchen Management – in der Krise mehr denn je Gastbeitrag in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (ZfgK)
„Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts.“
Die berühmte Maxime des ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel könnte Grundlage jedes Risikomanagements sein: Wenn ohne Risiko nichts geschieht, muss man Risiken eingehen – aber diese dann bestmöglich managen. Denn nur mit gutem Risikomanagement werden die Risiken nicht zur Gefahr.
Jede Krise, auch die jetzige, bringt neue Risikotreiber mit sich. Ein enges Management von Risiken ist daher in einer Krise besonders wichtig – in der Aufsicht wie in den Banken. Nach einem Jahr Pandemie stellen sich die Fragen: Wie hat sich das Risikomanagement der Banken bewährt? Was kommt mit notleidenden Krediten (NPLs) und möglichen Zinsänderungsrisiken auf das Risikomanagement zu? Vor welchen Herausforderungen steht das Risikomanagement post-Corona?
Wie hat sich das Risikomanagement in Zeiten der Pandemie bewährt?
Der deutsche Bankensektor ist seit der Finanzkrise deutlich robuster aufgestellt, insbesondere über höhere Kapitalanforderungen. Die Institute waren somit verhältnismäßig gut für den Schock gewappnet. Das Risikomanagement der Banken hat sich in der Krise bislang im Großen und Ganzen bewährt. Nichtsdestotrotz hat die Krise aber auch Defizite offenbart. Manche Banken waren besser und schneller in der Lage, Auswirkungen der Krise in ihrer Planung und Steuerung zu berücksichtigen. Zudem haben sich Schwächen im Reporting und in der Datenaggregation gezeigt. Daraus können und sollten die Banken nun Lehren ziehen.
Auch für die MaRisk, die aufsichtlichen Mindestanforderungen an das Risikomanagement, ist die Pandemie gerade mit Blick auf das Kreditrisiko eine Bewährungsprobe. Im Kreditrisikomanagement sollen die MaRisk-Vorgaben sicherstellen, dass Institute über geordnete Kreditprozesse verfügen. Über angemessene Strategien, solide Kreditvergabeprozesse sowie laufende Risikoüberwachung sollen Risiken von Beginn an angemessen gesteuert werden.
Die MaRisk als prinzipienbasiertes Regelwerk unterscheiden im Kern nicht danach, ob aktuell Phasen mit hohen oder niedrigen Kreditausfällen vorliegen. Wir als Aufsicht erwarten trotz – oder gerade wegen – der Pandemie, dass die Institute auch aktuell die aufsichtlichen Anforderungen einhalten und die bilanziellen Regeln anwenden. Als Aufsicht werden wir hierzu in sehr engem Dialog mit den Instituten bleiben.
Unabhängig von der Pandemie entwickelt die Aufsicht die MaRisk als Rahmenwerk für das Risikomanagement fortwährend weiter. Aus aufsichtlicher Perspektive ist dabei eine beständige Definition für Kreditrisiko und Kreditrisikomanagement wichtig. Der Risikobegriff bleibt gleich, die Pandemie hat keine grundlegend neuen Themen oder gar Gebiete im Risikomanagement hervorgebracht: Zwar ist die Pandemie als Ursache neu, aber die Auswirkungen auf die Institute in Form von möglichen Kreditausfällen ist bekannt.
Was kommt mit notleidenden Krediten und möglichen Zinsänderungsrisiken auf das Risikomanagement zu?
Kreditausfälle wurden durch staatliche und aufsichtliche Maßnahmen – besonders durch die staatlichen Hilfen – teilweise verhindert, teilweise dürften sie aufgeschoben worden sein. Die Auswirkungen auf die Risikovorsorge sowie das Kreditrisiko halten sich aktuell noch in Grenzen, aber weitergehende Auswirkungen sind zu erwarten. Der Belastungstest für das Risikomanagement der Banken steht daher noch aus.
Ziel des Risikomanagements ist es immer, das Ausfallrisiko vorausschauend und aktiv zu steuern und zu beschränken. Dies geschieht insbesondere über eine Risikostrategie, Vorgaben bei der Kreditvergabe, Frühwarnverfahren, eine Intensivbetreuung und die Sanierung von Kreditnehmern. Einige Institute haben mit Parameteranpassungen in ihren Risikomess-Systemen auf die Pandemie reagiert. Hat sich die bisherige Risikomessung tatsächlich als falsch herausgestellt und bedurfte längst einer Anpassung? Oder haben die Banken den falschen Fokus gelegt und nicht auf die Risikoquelle geschaut, sondern an der Risikomessung „geschraubt“? Hier gilt es ganz besonders, Lehren aus der Krise zu ziehen.
Der Umgang mit NPLs gewinnt in der Krise erneut an Bedeutung. Mit Blick auf den SSM-Raum sind natürlich besonders Institute und Länder mit hohem NPL-Bestand betroffen. Eine beschleunigte NPL-Erkennung und deren Abbau sind bedeutend. Die EZB hat daher im Dezember in einem „Dear CEO Letter“ an die signifikanten Institute ihre aufsichtlichen Erwartungen zum Umgang mit Kreditrisiken klargestellt und hierbei unter anderem hervorgehoben, dass die großen Banken weiterhin in Übereinstimmung mit den bestehenden Regeln den Aufbau von NPLs und eine Verschlechterung der Asset-Qualität identifizieren und melden müssen. Die EZB hat in diesem Brief die Institute auch an die Anforderungen an solide Richtlinien und Verfahren für das Kreditrisikomanagement erinnert, die auch aktuell – unabhängig von der Pandemie – einzuhalten sind.
Der Umgang mit NPLs ist auch ein Thema der anstehenden MaRisk-Novellen. Die 6. Novelle wird voraussichtlich im zweiten Quartal 2021 veröffentlicht, die 7. Novelle steht dann schon in den Startlöchern. Beide Novellen setzen wichtige Bestandteile des EU-Aktionsplans zum Abbau notleidender Kredite um; darunter die EBA-Leitlinien über das Management notleidender und gestundeter Risikopositionen (6. Novelle) und die EBA-Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung (7. Novelle).
Eine zentrale Neuerung der 6. Novelle ist, dass höhere Anforderungen an das NPL-Management gestellt werden, sofern ein Institut den Schwellenwert von 5 % in Bezug auf den Bestand notleidender Kredite erreicht. Diese Institute müssen beispielsweise eine Strategie zum Umgang und Abbau der NPL-Positionen entwickeln und Prozesse – gerade in der Problemkreditbearbeitung – danach ausrichten.
Für die Banken geht es besonders darum, Exposures gegenüber stark von der Pandemie betroffenen Sektoren schnell zu identifizieren. Gleiches gilt für Exposures, die von Moratorien betroffen sind. Ziel muss es sein, insgesamt schneller auf die Krisensituation zu reagieren, was fortgeschrittene Datenaggregationskapazitäten und eine stabile Datenqualität voraussetzt. Nur dann wird es Banken gelingen, die Risikoquellen zu erkennen und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um risikotragfähig zu bleiben.
Gleichzeitig gibt es ein neues Phänomen, das viele schon gar nicht mehr auf der Rechnung hatten: Zum Jahreswechsel stieg die Inflationsrate in Deutschland sprunghaft an. Dafür waren hauptsächlich Sonderfaktoren maßgeblich, insbesondere die Anhebung der Mehrwertsteuersätze auf das alte Niveau, aber auch die Verteuerung von Mineralölprodukten und Gas sowie ein statistischer Sondereffekt. Ein hartnäckigerer Inflationsanstieg würde ein stärkeres Lohnwachstum voraussetzen, das sich derzeit jedoch nicht abzeichnet. Steigende Inflationserwartungen – insbesondere in den USA – spielten aber bereits eine Rolle, als die Renditen für Staatsanleihen an den Kapitalmärkten zuletzt spürbar gestiegen sind. Sollte sich dies auch für den Euroraum einstellen, könnten sich für die Banken erhöhte Zinsänderungsrisiken ergeben. Üblicherweise sind Banken in der kurzen Frist durch Einlagen finanziert; gleichzeitig vergeben sie Kredite mit mittleren und hohen Laufzeiten. Diese Fristentransformation führt zu Laufzeitinkongruenzen und somit zu Zinsänderungsrisiken.
Vor allem Wohnbaukredite mit langer Zinsbindung an private Haushalte können zu einem Anstieg des barwertigen Zinsänderungsrisikos aufgrund der Fristentransformation beitragen. Durch den Baseler Zinsrisikokoeffizienten, einer regulatorischen Kennzahl zur Messung des Zinsänderungsrisikos, verfügt die Aufsicht über einen guten Indikator zur Überwachung dieser Entwicklungen.
Es ist zu erwarten, dass sich die Nettozinserträge nach einem Anstieg von Zinssätzen für lange Zinsbindungsfristen zunächst kaum ändern. Der Strukturbeitrag aus der Fristentransformation und somit auch die (Netto-)Zinserträge könnten allerdings in den nächsten Jahren steigen, sofern die Versteilung der Zinsstruktur anhält und Banken weiterhin Kredite mit langen Zinsbindungsdauern vergeben, die entsprechend höher verzinst werden.
Zinsänderungsrisiken sind mit Blick auf die Sonderfaktoren bei der Inflationsentwicklung somit nicht unmittelbar akut, Risikomanager sollten das Thema aber im Auge behalten.
Vor welchen Herausforderungen steht das Risikomanagement post-Corona?
NPLs und Zinsänderungsrisiken sind Themen für das Risikomanagement, die eng mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen. Das Risikomanagement der Zukunft wird jedoch auch geprägt von den Mega-Trends Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Beide Trends stehen für tiefgreifende Transformationsprozesse in der Realwirtschaft, die mit einem enormen Finanzierungsbedarf verbunden sind. Für Banken ergeben sich daraus vielfältige Chancen, aber auch neue, schwer zu bemessende Risiken. Um in diesem Umfeld zu bestehen, müssen Risikomanager ihre Kompetenzen und Methoden weiterentwickeln.
Mit Blick auf Klimarisiken zeigte der LSI-Stresstest 2019, dass bisher zu wenige Institute Klimarisiken in ihrem Risikomanagement berücksichtigen. Seitdem hat sich seitens der Aufsicht einiges getan: Ende 2019 veröffentlichte die BaFin ein Merkblatt, Ende 2020 die EZB einen Guide mit den Erwartungen an die Rolle von ESG- (environmental, social, governance) bzw. Klimarisiken im Risikomanagement. Die EBA erarbeitet bis Mitte 2021 eine Position zu ESG-Risiken in der Säule 2.
Der Umgang der Banken mit ESG-Risiken – insbesondere Klimarisiken – wird Gegenstand der Aufsichtsgespräche im Laufe dieses Jahres sein. 2022 steht zudem ein EZB-Klimastresstest an. Die Aufsicht ist sich der Herausforderungen bezüglich der Definitionen, der Datenverfügbarkeit und der Methoden zu ESG-Risiken bewusst. Aber wir erwarten kontinuierliche Fortschritte. Die Banken sind aufgefordert, ihr Risikomanagement dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie ESG-Risiken erkennen, soweit möglich messen und sinnvoll in die Steuerung einbeziehen. Gleichzeitig können sich die Institute darauf verlassen, dass die Aufsicht nicht in Ihre Geschäftsmodelle eingreift, indem sie ihnen zum Beispiel vorschreibt, welche Investitionen sie tätigen sollen und welche nicht. Die Aufsicht bleibt rein risikoorientiert.
Auch digitale Innovationen werden das Risikomanagement der Zukunft verändern. Als Aufsicht agieren wir grundsätzlich technologieneutral, sodass wir unterschiedliche Technologien nach einheitlichen Maßstäben beurteilen. Die aktuell konsultierte Novelle der Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT (BAIT) stellt das Thema IT-Sicherheit nochmals stärker heraus, indem zum Beispiel Vorgaben zur operativen Informationssicherheit und zum IT-Notfallmanagement eingeführt wurden. Über das Informationssicherheitsmanagement werden zentral Vorgaben gemacht, die dem Schutz der Integrität, der Vertraulichkeit und der Verfügbarkeit neuer Technologien dienen. Das Informationsrisikomanagement sorgt dafür, dass Lücken transparent werden, und wirkt auf deren Schließung hin, indem beispielsweise auch die Umsetzung kontrolliert wird. Die Ergebnisse sind im Berichtswesen an den Vorstand und im Management operationeller Risiken zu berücksichtigen.
Bei Innovationen sehen wir Chancen für eine bessere operative Qualität und günstigere Kostenstrukturen – aber gleichzeitig Risiken komplexer Modelle. Für die Nutzung von Artificial Intelligence und Machine Learning und den Umgang der Aufsicht damit haben wir ein Diskussionspapier veröffentlicht. Unser Ziel ist es, den Banken ausgewogene, differenzierte und praktikable Anforderungen an die Hand zu geben, damit sie die potenziellen Vorteile von AI/ML-Verfahren rechtssicher nutzen können. Auch der Entwurf der EU-Kommission für den Digital Operational Resilience Act (DORA) soll die Anforderungen an das IT-Risikomanagement harmonisieren und eine Pflicht einführen, die digitale Widerstandfähigkeit regelmäßig zu testen. Regulierung und Aufsicht sind also auf dem Weg, digitale Innovationen für den Finanzsektor nutzbar zu machen und Risiken zu begrenzen.
Fazit
Das Risikomanagement wird sich kontinuierlich weiterentwickeln müssen, um die Mega-Trends Digitalisierung und Nachhaltigkeit angemessen zu berücksichtigen. Auf kürzere Sicht gilt es, die Kreditrisiken, die durch die Pandemie entstehen, angemessen in den Bilanzen und im Risikomanagement abzubilden. Angesichts der weiterhin bestehenden hohen Unsicherheiten scheint eine konservative Vorgehensweise angemessen.
„Nichts geschieht ohne Risiko, aber ohne Risiko geschieht auch nichts“
– diesen Spruch sollten sich die Banken zu Herzen nehmen, denn ihr Kreditrisikomanagement muss in diesem Jahr womöglich noch viel leisten. Dafür sollten sich alle Banken mit der notwendigen „awareness“ wappnen. Risikomanagement braucht Aufmerksamkeit und Verständnis. Angesichts niedriger Kreditausfälle in den vergangenen Jahren ist dies besonders wichtig, da das Know-how und die Erfahrung im Umgang mit Kreditausfällen nicht mehr überall so ausgeprägt sind wie noch während der letzten Krise. In diesem Sinne muss gelten: Nichts geschieht ohne Risikomanagement!