Mehr Evidenz: Wie wirken wirtschaftspolitische Maßnahmen? Gastbeitrag von Prof. Dr. Claudia Buch und Regina T. Riphahn in der Süddeutschen Zeitung
In der Bildungs-, Arbeitsmarkt oder Wohnungspolitik – in vielen Bereichen werden immer wieder Maßnahmen angestoßen ohne zu wissen, ob sie wirken und uns dem gesteckten Ziel näher bringen. Wie können öffentliche Gelder effektiver eingesetzt werden, um politische Ziele zu erreichen? Systematische Evaluierungen können Aufschluss geben. Allerdings hinkt Deutschland hinterher, wenn es darum geht, die Wirkung von Maßnahmen im Rahmen evidenzbasierter Politik systematisch zu überprüfen. Ein konstruktiver Dialog zwischen Wissenschaft und Politik kann dazu beitragen, die notwendigen Infrastrukturen zu verbessern.
Informationen für politische Entscheidungen verbessern
Evidenzbasierte Politik folgt einem kontinuierlichen, faktenbasierten Lernprozess: Sie definiert Ziele, setzt Vorhaben um, prüft deren Wirksamkeit, passt an und lernt für zukünftiges Handeln. So kann Politik effektiver werden: Maßnahmen, die nicht wirken und unerwünschte Nebenwirkungen haben, werden zurückgenommen, Maßnahmen, die erfolgreich sind, werden gestärkt.
Einem solchen idealtypischen Verlauf stehen in der Praxis Hindernisse entgegen: politisches Handeln unterliegt dem Druck, schnelle Ergebnisse zu liefern, Verwaltungsprozesse müssen eingehalten werden. Politik ist oft eher die "Kunst des Möglichen" als das Ergebnis eines auf Evidenz basierenden Prozesses. Dabei gäbe es durch Evidenzbasierung viel zu gewinnen -- sowohl mit Blick auf die Kosten als auch auf die Effektivität von Maßnahmen.
Auf der Suche nach Evidenz ist es wichtig, zwischen Korrelationen und kausalen Zusammenhängen zu unterscheiden. Korrelationen beschreiben den zeitlichen Zusammenhang zweier Ereignisse, Kausalität eine Ursache-Wirkungs-Beziehung. Zwei Ereignisse gleichzeitig zu beobachten, genügt nicht: es regnet nicht "weil" die Leute Regenschirme tragen (eine Kausalität), sondern nur "wenn" sie Schirme tragen (eine Korrelation).
Politische Maßnahmen werden oft dadurch bewertet, dass Teilnehmende nach ihrer Zufriedenheit befragt wurden oder geprüft wurde, ob Mittel ausgegeben wurden. Dies zeigt jedoch nicht, ob auch die gewünschten Effekte erzielt wurden. Die Frage nach kausaler Wirkung kann mit geeigneten Methoden und Daten beantwortet werden. Sowohl Diagnose als auch Therapie wirtschaftlicher Fehlentwicklungen lassen sich so verbessern.
In den vergangenen Jahren sind erhebliche Fortschritte gemacht worden: Forschung und Lehre stellen bessere Methoden bereit, mit denen die Wirksamkeit politischen Handelns untersucht werden kann. In Politik und Verwaltung gibt es Initiativen, diese Erkenntnisse zu nutzen. Darüber hinaus sind mehr und bessere Daten verfügbar.
Zwei Beispiele evidenzbasierter Politik
In den 1990er Jahren wurden Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Milliardenhöhe in die aktive Arbeitsmarktpolitik investiert, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Ein-Euro-Jobs. Als Analysen in vielen Fällen negative Effekte dieser Programme zeigten, wurden sie zurückgefahren und durch wirkungsvollere Maßnahmen ersetzt.
In der Familienpolitik wurden seit 2009 Maßnahmen in Bezug auf Ziele wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die soziale Teilhabe von Familien untersucht. Nur eine Maßnahme wies keinen Zielkonflikt auf: die öffentliche Finanzierung von Kinderbetreuung erreichte ihr Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, ohne hinsichtlich anderer Ziele Abstriche machen zu müssen.
Dialog zwischen Wissenschaft und Politik intensivieren
Wissenschaftlich fundierte Analysen können den politischen Entscheidungsprozess nicht ersetzen. Aber sie liefern die Basis für besser informierte Entscheidungen. Dies erfordert einen verstärkten Dialog zwischen Politik und Wissenschaft über Fachdisziplinen hinweg. Die genannten Beispiele gelungenen Transfers sind ein Anfang, weitere Schritte sollten folgen:
Erstens müssen Politik und Verwaltung überzeugt sein, dass evidenzbasierte Entscheidungen einen Mehrwert haben. Bei positiver Evaluierung können Maßnahmen fortgesetzt werden; bei negativen Evaluierungen kann nachgebessert werden. Für die Evaluierung müssen Rechtsgrundlagen geschaffen werden, Ziele definiert und Indikatoren der Zielerreichung festgelegt werden. Es gibt schon vielversprechende Initiativen: In Großbritannien wurden beispielsweise im Rahmen des Programms "What Works" Einrichtungen geschaffen, die systematisch empirische Evidenz zur Wirksamkeit politischer Maßnahmen sammeln. Auf internationaler Ebene haben die G20 im vergangenen Jahr unter deutscher Präsidentschaft ein Rahmenwerk zur Evaluierung von Finanzmarktreformen beschlossen.
Zweitens sollte der Informationsaustausch zwischen Wissenschaft und Politik erleichtert werden, beispielsweise über digitale Plattformen. Diese können eine verständlichere Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen ermöglichen und die Transparenz von Abläufen in der Verwaltung erhöhen.
Drittens sollten die notwendigen Daten verfügbar sein. Daten im Nachhinein zu erheben kann sehr teuer oder sogar unmöglich sein. Pilotstudien können dabei helfen, den Datenbedarf bereits vor Umsetzung einer Maßnahme zu ermitteln. Breiter Datenzugang kann die Qualität von Evaluationsstudien erhöhen – und dies ist kein Widerspruch zur zentralen Rolle des Datenschutzes.
Viertens sollten im wissenschaftlichen Bereich die Anreize verbessert werden, Politik durch gute Evidenz zu unterstützen.
Fünftens hat gerade Deutschland mit unabhängigen Forschungsinstituten und Forschungsdatenzentren eine hervorragende Infrastruktur, die noch besser für den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis genutzt werden kann.
"Mehr Evidenz" in politische Entscheidungsprozesse zu bringen, ist ein wichtiges gesellschaftliches Ziel. Es fordert ein verstärktes Engagement, Offenheit und Dialogbereitschaft von Wissenschaft und Politik. Je besser vorhandene Strukturen genutzt und Evaluierungen in laufende Prozesse eingebettet werden, umso geringer werden die Kosten von Evaluationen – und umso mehr können wir aus Erfahrungen lernen.