Klimaszenarien und der Instrumentenkasten von Zentralbanken Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung
Der Klimawandel wird – wie auch die Covid-19-Pandemie – tiefgreifende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Er wird die Arbeit von Zentralbanken und Aufsichtsbehörden in aller Welt maßgeblich beeinflussen, und dies nicht nur mit Blick auf unser Kernziel der Preisstabilität, sondern auch hinsichtlich unseres Finanzstabilitätsauftrags.
Art und Ausmaß des potenziellen wirtschaftlichen und finanziellen Schocks hängen von unserem gemeinsamen Handeln ab. Wenn wir jetzt entschlossene Maßnahmen ergreifen, stehen die Chancen gut, dass die globale Erwärmung wie im Pariser Abkommen dargelegt unter 2,0°C bleibt. Lassen wir die Risiken außer Acht, könnten die Kosten, die für die Volkswirtschaft und den Finanzsektor entstehen, schwerwiegende Folgen für die nachfolgenden Generationen haben.
Zentralbanken wie auch die mikro- und makroprudenzielle Aufsicht müssen auf diese unterschiedlichen künftigen Entwicklungen bzw. Szenarien vorbereitet sein. Wir müssen die Auswirkungen des Klimawandels und der ergriffenen Gegenmaßnahmen noch besser verstehen und kommunizieren. Das gelingt uns nur, wenn wir Klimamodelle zu einem integralen Baustein unserer Analysen und Prognosemethoden machen.
Eine exzellente Ausgangsbasis bieten hier die neuen Referenzszenarien des „Network for Greening the Financial System (NGFS)“ – eines globalen Netzwerks von 66 Zentralbanken und Aufsichtsbehörden, das ein klimabezogenes Risikomanagement im Finanzsektor vorantreiben möchte. Die Szenarien des NGFS zeigen auf, wie sich der Klimawandel auf wichtige ökonomische Variablen auswirken kann – auch auf jene, die für die Geldpolitik maßgeblich sind. Das NGFS hat auch einen Leitfaden für die Verwendung dieser Szenarien sowie einen Bericht über die Folgen des Klimawandels für die Geldpolitik veröffentlicht. All dies gibt uns ein konkretes Instrumentarium an die Hand, mit dem wir uns für die Risiken wappnen können, die aus dem Klimawandel erwachsen.
Der Bericht über die Geldpolitik zeigt auf, dass Extremwetterlagen und ein Temperaturanstieg kurzfristige oder gar dauerhafte Störungen der Lieferketten verursachen könnten. Des Weiteren könnte das häufigere Auftreten von Naturkatastrophen unmittelbar eine Migration von Arbeitskräften zur Folge haben; steigt der Meeresspiegel an, wäre diese dauerhaft. Regional könnte es zu Produktionseinbußen in wichtigen Sektoren wie der Landwirtschaft kommen, die sich wiederum in einem Arbeitskräfteabbau niederschlagen würden.
Mit Blick auf die Inflationsrate – der Schlüsselgröße für Zentralbanken – könnte der Klimawandel Anlass für häufigere Korrekturen der kurzfristigen Inflationserwartungen geben. Stärkere Schwankungen der Preise könnten auch die Fähigkeit der Zentralbanken, ihr geldpolitisches Ziel zu erreichen, beeinträchtigen. Daher müssen Zentralbanken ihren Instrumentenkasten erweitern. Daran arbeiten wir in der Bundesbank bereits, indem wir beispielsweise die NGFS-Szenarien in unsere Wirtschaftsmodelle und -analysen einbauen werden.
Die NGFS-Szenarien werden dazu beitragen, klimabezogene Schwachstellen im Finanzsystem aufzuzeigen, und eine Schlüsselgröße in Stresstests für Banken und Versicherungen darstellen. Ein Beispiel: handelt die Politik zu spät, dann müsste der CO2-Preis drastisch steigen, um die gesteckten Klimaziele trotzdem einzuhalten. Zeitgleich müssten Investitionen und Finanzströme abrupt in nachhaltige Technologien umgeleitet werden. Das wiederum hätte Wertminderungen bei zahlreichen realen und finanziellen Vermögenswerten zur Folge.
Natürlich sind Klimamodelle technisch anspruchsvoll und komplex. Daher müssen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden ihre Finanz- und Wirtschaftsanalysen für private Haushalte, Regierungen und den Finanzsektor in Zukunft noch aktiver erläutern. Dies wird zu einem breiteren Verständnis der mit dem Klimawandel verbundenen wirtschaftlichen und finanziellen Risiken beitragen. Je mehr wir darüber wissen, was auf dem Spiel steht, desto klarer wird, dass es jetzt Zeit ist zu handeln.