IWF-Jahresversammlung 2016: Anhaltende moderate weltwirtschaftliche Expansion trotz Risiken Gastbeitrag in der "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen"
Die diesjährigen Jahresversammlungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank fanden vom 7. bis 9. Oktober in Washington statt. Neben der Beratung über die weltwirtschaftliche Entwicklung und wirtschaftspolitische Handlungsmöglichkeiten, die bei IWF-Tagungen routinemäßig erfolgt, waren auch die IWF-geschäftspolitischen Aspekte der neuen "Global Policy Agenda" der Geschäftsführenden Direktorin Lagarde unter dem Leitmotiv "Getting Growth Right" Gegenstand der Diskussionen. Hierzu zählten insbesondere auch die nun anstehenden Arbeiten zum Globalen Finanziellen Sicherheitsnetz sowie die Ressourcenausstattung des IWF. In diesem Zusammenhang wurden dem IWF von einer Reihe wichtiger Geber – darunter die Bundesbank – neue befristete bilaterale Kreditlinien gewährt oder zugesagt. Diese Kreditlinien werden die nun sukzessive auslaufenden temporären Linien von 2012 ersetzen. Damit wird dem Wunsch des IWF entsprochen, seine sehr umfangreiche Ausleihkapazität angesichts derzeit erhöhter globaler Unsicherheiten zu bewahren. Ferner wurde der Abschlusstermin für die 15. Allgemeine Quotenüberprüfung zur Bewertung der angemessenen Höhe der regulären IWF-Ressourcen und der Verteilung der Stimmrechte auf 2019 verschoben, und die Aufnahme des Renminbi in den Währungskorb des Sonderziehungsrechts zum 01.10.2016 gewürdigt.
Weltwirtschaft – Risiken, aber kein Grund für Schwarzmalerei
Der IWF befürchtet hinsichtlich der weltwirtschaftlichen Aussichten weiterhin ein Szenario aus nachhaltig schwachem Wachstum und dauerhaft niedriger Inflation. Er propagiert vor diesem Hintergrund ein als "three-pronged approach" bezeichnetes Maßnahmenbündel, das aus expansiver Geldpolitik, wachstumsfreundlicher Fiskalpolitik und strukturellen Reformen besteht. Die Sorge des IWF um die Perspektiven für die Weltwirtschaft ist sicherlich nicht unberechtigt und es bestehen in der Tat zahlreiche Abwärtsrisiken, nicht zuletzt durch globale politische Unsicherheiten. Allerdings sollte man kein zu pessimistisches Bild zeichnen, zumal die Risiken in jüngster Zeit teilweise wieder abgenommen haben. So sind zum Beispiel die unmittelbaren Auswirkungen des Brexit-Votums für die konjunkturelle Entwicklung sowohl im Vereinigten Königreich als auch weltweit wohl geringer als zunächst befürchtet, und die Stabilisierung der Dynamik in Schwellen- und Entwicklungsländern ist ein positives Zeichen. Alles in allem sieht die Bundesbank die Weltwirtschaft weiterhin auf einem zwar moderaten, aber doch stetigen Expansionspfad. Wir halten somit auch ein global koordiniertes Stimulierungspaket, wie es der IWF postuliert, nicht für erforderlich. Vielmehr kommt es jetzt auf den richtigen Policy-Mix eines jedes einzelnen Landes an, der gezielt auf die jeweilige Situation ausgerichtet sein sollte. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die entschlossene Umsetzung von Strukturreformen gelegt werden, die zur Steigerung des Wachstumspotenzials elementar sind.
IWF-Instrumentenkasten – Mandat des Fonds bietet Möglichkeiten und setzt Grenzen
Als notwendige Ergänzung zu den auf das Wirtschaftswachstum zielenden geld-, fiskal- und strukturpolitischen Maßnahmen nennt der IWF eine stärkere internationale Zusammenarbeit. Hier strebt er ein stärkeres und effizienteres Globales Finanzielles Sicherheitsnetz (GFSN) zur Absicherung der Länder bei Krisen und eine engere Kooperation mit regionalen Finanzbeistandseinrichtungen sowie die Förderung des Welthandels an. Eng mit der Frage nach der Stärkung des GFSN verbunden ist das Instrumentarium des IWF, welcher den zentralen globalen Pfeiler darin darstellt. Der IWF-Lenkungsausschuss (IMFC) hat den IWF aufgefordert, Möglichkeiten für eine Erweiterung seines Instrumentenkastens zu prüfen. Diese Diskussion, die nun an Dynamik gewinnt, muss allerdings mit großer Umsicht geführt werden. Das Mandat des Fonds und sein einzigartiger Finanzierungsmechanismus setzen gewisse Grenzen für die Gestaltung seiner Kreditinstrumente, da weder die Zinskonditionen nach dem jeweiligen Länderrisiko bemessen, noch bankübliche Sicherheiten verlangt werden können. Als Mittel zur Sicherung seiner Ressourcen und zur Minimierung von Moral Hazard dienen einzig seine wirtschaftspolitischen Auflagen, die sog. Konditionalität, die auf eine Stärkung der Zahlungsbilanz und damit der Zahlungsfähigkeit des Landes abzielt. Bei versicherungsähnlichen Arrangements käme diese Konditionalität aber nicht oder nur stark eingeschränkt zum Tragen. Entsprechend könnte die feste Zusage des IWF zu großvolumiger Absicherung von Liquiditätsrisiken Moral Hazard erhöhen und somit entgegen der eigentlichen Absicht letztlich destabilisierend wirken. Ferner kann allein durch die Bereitstellung umfangreicher finanzieller Mittel eine krisenhafte Zuspitzung weder verhindert noch überwunden werden. Vielmehr kommt es darauf an, durch eine vorausschauende und die Widerstandsfähigkeit stärkende Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder dem Entstehen von Krisen vorzubeugen. Hierzu kann der IWF im Rahmen seiner wirtschaftspolitischen Beratung (Surveillance) einen sehr wichtigen Beitrag leisten.
Bilaterale Kreditlinien – Neue Verträge mit substanziell verbesserter Governance
Das IMFC hat die Zusagen einer Reihe von Ländern begrüßt, dem IWF neue befristete Kreditlinien einzuräumen, um seine derzeitige Ausleihkapazität zu erhalten. Damit wird dem Wunsch des IWF entsprochen, angesichts fortbestehender weltwirtschaftlicher Risiken, weiterhin Zugang zu bilateralen Kreditlinien nach dem Auslaufen der bilateralen Kreditlinien von 2012 zu haben. Diese Mittel dienen als "dritte Verteidigungslinie" nach den regulären Quotenmitteln und dem multilateralen "Reservetank" des Fonds, den sogenannten Neuen Kreditvereinbarungen. Die Bundesbank stellt dem IWF im Rahmen einer breiten internationalen Beteiligung eine neue Kreditlinie in Höhe von 41,5 Mrd. Euro bereit; dies entspricht dem Betrag ihrer nun auslaufenden bilateralen Kreditlinie von 2012. Der entsprechende Vertrag zwischen IWF und Bundesbank ist im Rahmen der IWF-Jahresversammlung von Präsident Weidmann und mir unterzeichnet worden. Insgesamt haben bis dato 26 Mitgliedsländer dem IWF neue bilaterale Kreditlinien in Höhe von 360 Mrd. US$ zugesichert.
Von herausragender Bedeutung bei den neuen Kreditverträgen ist, dass die Governance-Struktur gegenüber den Kreditlinien von 2012 fundamental verbessert wurde. Neu eingeführt wurden Stimmrechte der Kreditgeber gemäß ihrer Beiträge und eine 85 %-Mehrheitsschwelle für die Aktivierung der Kreditlinien durch die Geber. Die Bundesbank begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich, da hierdurch die Mitspracherechte der Kreditgeber in angemessenem Verhältnis zu den bilateral bereitgestellten Ressourcen stehen.
Mit der Bereitstellung der neuen Linien bleibt der IWF weiterhin finanziell sehr komfortabel ausgestattet, um im Fall einer systemischen Krise reagieren zu können. Die bilateralen Kreditlinien wurden vom Fonds nur befristet vor dem Hintergrund der derzeit als erhöht angesehenen globalen Risiken erbeten. Sie laufen bis Ende 2019 und können mit Zustimmung der Geber maximal um ein Jahr, bis Ende 2020 verlängert werden. Diese Befristung ist auch wichtig, da der IWF eine primär auf den Quoteneinzahlungen seiner Mitglieder basierende Institution ist und dies auch bleiben bzw. wieder stärker werden sollte. Finanzierungsverpflichtungen und Mitspracherechte der Mitglieder für geschäftspolitische Entscheidungen stehen dann nämlich eng im Einklang.
IWF-Quotenüberprüfung erneut verschoben – eine vernünftige Entscheidung
Die IWF-Quoten, auf denen neben den Stimmrechten auch die Einzahlungsverpflichtungen der Mitgliedsländer basieren, werden turnusgemäß spätestens alle fünf Jahre hinsichtlich ihrer Gesamthöhe und ihrer Aufteilung auf die Anteilseigner überprüft. Die Frist für die laufende 15. Allgemeine Quotenüberprüfung musste schon mehrfach verschoben werden, zuletzt Anfang dieses Jahres auf die IWF-Jahresversammlung 2017. Das IMFC hat sich nun darauf verständigt, die Frist abermals zu verlängern, und zwar bis spätestens zur IWF-Jahrestagung 2019. Diese Entscheidung ist im Sinne der Glaubwürdigkeit des IWF konsequent und vernünftig. Um die Quotenstruktur des IWF an die größere Rolle der dynamischen Volkswirtschaften in der Weltwirtschaft anpassen zu können, wie es das erklärte Ziel der Quotenüberprüfung ist, bedarf es einer deutlichen Quotenerhöhung, die die Bereitschaft erfordert, dem IWF zusätzliche Finanzmittel bereitzustellen. Gleichzeitig muss die Überprüfung der Quotenformel abgeschlossen werden, die der Ermittlung der Quoten der Mitglieder zugrunde liegt. Über diese politisch schwierigen Punkte einen breiten Konsens unter den Mitgliedsländern zu finden, erschien in dem ursprünglichen Zeitrahmen nicht mehr realisierbar.
Renminbi als fünfte Währung im SZR-Korb – gewachsene Verantwortung Chinas
Kurz vor der IWF-Jahresversammlung wurde zum ersten Mal seit der Aufnahme des Euro im Jahr 2001 die Zusammensetzung des Währungskorbs des Sonderziehungsrechtes (SZR) angepasst: Der chinesische Renminbi (RMB) wurde zum 1. Oktober 2016 als fünfte Währung neben US-Dollar, Euro, Yen und britischem Pfund mit einem Gewicht von knapp 11 Prozent in den Korb aufgenommen. Diese Erweiterung des Währungskorbes ist als eine konsequente Anpassung an das veränderte Gefüge der Währungen in der Weltwirtschaft zu begrüßen. Zugleich ist sie auch ein Meilenstein für Chinas Integration in das internationale Währungssystem und seine Mitverantwortung für dessen Stabilität.