Günstiger Zeitpunkt für Bilanzabbau Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Die Inflation im Euroraum ist zuletzt gesunken, dennoch ist sie weiterhin viel zu hoch. Deshalb ist der EZB-Rat entschlossen, die Leitzinsen weiter anzuheben. Der im März beginnende Abbau der Anleihebestände von EZB und nationalen Zentralbanken (Eurosystem) unterstützt diesen Straffungskurs. Damit macht das Eurosystem einen ersten und wichtigen Schritt, um dem Markt wieder etwas mehr Raum zu geben. Zur Erinnerung: Als die Zentralbanken im Eurosystem vor gut acht Jahren begannen, Wertpapiere in großem Umfang anzukaufen, lag die Inflation weit unter der Zielmarke von 2 Prozent – und zwar trotz historisch niedriger Zinsen. Die geldpolitisch motivierten Wertpapierankäufe führten zu einer starken Ausweitung der Zentralbankbilanzen. Inzwischen befinden sich Anleihen der öffentlichen Hand im Wert von rund 4,2 Billionen Euro im Besitz des Eurosystems; hinzu kommen rund 390 Milliarden Euro in Unternehmensanleihen und rund 310 Milliarden Euro in gedeckten Bankschuldverschreibungen (Covered Bonds). Diesen großen Fußabdruck in den Märkten gilt es nun zu verkleinern.

Denn heute ist die Situation eine andere. Die hohe Inflation im Euroraum belastet Haushalte und Unternehmen. Der EZB-Rat hat entschlossen gehandelt und die Leitzinsen seit Juli 2022 um drei Prozentpunkte erhöht. Zusätzliche 50 Basispunkte sind für März ins Auge gefasst, und weitere Zinsschritte dürften aus heutiger Sicht erforderlich sein. Umso wichtiger ist es, diesen Straffungskurs mit einem glaubwürdigen und transparenten Abbau der Anleihebestände zu unterstützen. Das gilt insbesondere angesichts unerwünschter Nebenwirkungen der Zentralbank-Ankäufe. So wurden deutsche Staatsanleihen phasenweise für andere Käufer knapp. Zudem wurden traditionelle Investoren teilweise verdrängt, insbesondere in den Segmenten für Unternehmensanleihen, Covered Bonds und Asset-Backed-Securities. Grundsätzlich sollten Zentralbanken nur in dem Maße in die Finanzmärkte eingreifen, wie es für geldpolitische Zwecke notwendig ist.

Deshalb wird das Eurosystem die Bestände im Asset Purchase Programme (APP) zunächst – von März bis Juni 2023 – um durchschnittlich 15 Milliarden Euro pro Monat verringern. Das entspricht rund 50 Prozent der zu erwartenden Tilgungszahlungen. Bei den von privaten Schuldnern emittierten Wertpapieren werden zudem die Ankäufe am Primärmarkt auslaufen. Der Zeitpunkt für diesen graduellen Rückzug ist günstig, denn Anleger kehren vermehrt an die Anleihemärkte zurück. Höhere Renditen und Zinskupons bieten Anreize und Chancen – nicht nur für besonders preissensible Anleger, sondern auch für strukturelle Käufer wie Versicherer oder Pensionsfonds. Viele institutionelle Investoren wenden sich nun wieder verstärkt festverzinslichen Euro-Anlagen zu, nachdem sie ihr Portfolio in den vergangenen Jahren um illiquidere Anlagen wie Immobilien und Infrastruktur ergänzt hatten. Darüber hinaus bieten sich für Investoren aus anderen Währungsräumen – dank günstiger Hedging-Kosten – zusätzliche Anreize für Anlagen in der Gemeinschaftswährung.

Der Bilanzabbau des Eurosystems ist besonders für Banken relevant. Denn wenn die (risikolosen) Renditen steigen und die Renditeaufschläge am Kapitalmarkt sich ausweiten, dann verteuert sich die Refinanzierung für Banken. Gleichzeitig laufen die Gelder aus den gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäften (TLTROs) – über die sich Banken stark bei der Zentralbank finanziert haben – schrittweise aus. Diese Entwicklung erhöht tendenziell den Bedarf an Marktrefinanzierung. Deshalb ist es wichtig, dass Banken frühzeitig und mit einer klaren Strategie ihr Marktstandbein stärken. Viele Banken haben diesen Prozess bereits begonnen. So sind in den vergangenen zwölf Monaten von Banken aus dem gesamten Euroraum über 900 Milliarden Euro – das entspricht rund 40 Prozent der TLTRO-Gelder – vorzeitig zurückgezahlt worden. Außerdem hat ein Großteil der kapitalmarktaktiven Banken im gleichen Zeitraum bereits seine Marktpräsenz erhöht. Zunächst geschah dies vor allem über die Emission von besicherten Papieren wie Covered Bonds. Im Zuge der Erholung der Marktstimmung seit Ende 2022 treten Banken aber auch verstärkt mit Neuemissionen in schwächer bewerteten Anleihesegmenten auf.

Die veröffentlichten Refinanzierungspläne sprechen dafür, dass sich der Emissionszuwachs von Bankanleihen fortsetzen wird. In manchen Segmenten planen einzelne Emittenten sogar eine Verdopplung der Volumina im Vergleich zu 2022. Demgegenüber hinken manche Banken mit ihrer Marktpräsenz hinterher, was sich als nachteilig erweisen könnte. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der verstärkte Marktauftritt der Banken bisher reibungsarm verlaufen ist und die gestiegenen Emissionsvolumina gut absorbiert werden. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass die Märkte den Abbau der Anleihebestände des Eurosystems gut verkraften werden.