Flexibel und ambitioniert Gastbeitrag im Handelsblatt
Die europäische Bankenaufsicht hat gerade weitere Schritte zum Umgang mit notleidenden Krediten angekündigt. Sie reagiert damit auf die nach wie vor zu hohen Altlasten in den Bankbilanzen. Weil die Aufsicht dabei keine allgemeinverbindlichen Regeln oder Automatismen vorgibt, fragen sich Kritiker, ob Banken mit Problemkrediten zu viel Spielraum erhalten. Wer genau hinschaut, erkennt aber: Die neuen Vorgaben haben deutlich mehr Biss als auf den ersten Blick erkennbar. Mittelfristig erwartet die EZB, dass für jeden notleidenden Kredit spätestens nach sieben Jahren eine vollständige Risikodeckung erreicht wird – für unbesicherte Kredite sogar schon deutlich früher.
Die Wirtschaftskrise hat manchen Banken in der Eurozone ein hartnäckiges Erbe hinterlassen. Obwohl sich die Wirtschaft wieder erholt hat, belasten notleidende Kredite (non-performing loans – NPL) die Bilanzen. Zwar hat es in den vergangenen Jahren dank der Anstrengungen vieler Institute und der guten Wirtschaftslage spürbare Fortschritte gegeben. Doch obwohl die durchschnittliche Quote notleidender Kredite bei großen Banken im Euroraum seit Ende 2015 um mehr als ein Viertel zurückgegangen ist, sind die Bestände noch viel zu hoch. Hinzu kommt, dass der Abbau nicht überall gleich schnell voranschreitet. In rund einem Drittel der Euro-Länder ist die durchschnittliche NPL-Quote bei den großen Banken noch immer zweistellig. Damit können wir uns nicht zufriedengeben.
Die europäische Bankenaufsicht hat deshalb einen umfassenden Aufsichtsrahmen für NPL geschaffen. Bereits im März hatte sie klar gemacht, welche Risikovorsorge sie für neu entstehende Problemkredite erwartet. Damit begrenzt sie den künftigen Aufbau von Risiken. In der vergangenen Woche hat die EZB mitgeteilt, was sie von den Banken beim Abbau der Risiken aus bestehenden Problemkrediten erwartet.
Diese neuen Vorgaben sind das bislang noch fehlende Puzzleteil in der Gesamtstrategie zum NPL-Abbau. Und sie haben drei wesentliche Stärken.
Erstens sind die Vorgaben ambitioniert. Sie verfolgen das klare Ziel, die Risiken aus Altlasten in einem überschaubaren Zeitraum bei allen Banken unter direkter europäischer Aufsicht abzubauen. Und alle beteiligten Länder unterstützen dies.
Zweitens sind die Vorgaben flexibel. Die europäische Aufsicht hat sich bei den NPL-Beständen für einen bankspezifischen Ansatz entschieden. Dafür gibt es gute Gründe: Die Verteilung der Altlasten ist nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch zwischen den einzelnen Instituten sehr unterschiedlich. Ein Institut, dessen Kreditportfolio nur zu einem kleinen Prozentsatz notleidend ist, braucht eine andere Strategie und einen anderen Zeitplan als ein Institut, das bei einer Quote von 40 Prozent oder mehr startet. Bei einem Einheitsplan wäre das eine Institut unter- und das andere überfordert.
Dank des bankspezifischen Ansatzes bestimmen also nicht die schwächsten Institute das Tempo. Alle Institute müssen die für ihr Haus formulierten Erwartungen erfüllen – tun sie es nicht, wird die Aufsicht konsequent durchgreifen.
Drittens sind die Vorgaben konsistent. Trotz aller notwendigen Flexibilität wird sichergestellt, dass von ähnlichen Banken Vergleichbares erwartet wird. Der Ansatz ist also bankspezifisch, aber über die Banken hinweg vergleichbar. Banken mit gleichen Startvoraussetzungen werden auch gleich behandelt.
Konsistent sind die Vorgaben auch im Ergebnis. Denn für den Bestand notleidender Kredite soll mittelfristig dieselbe Risikovorsorge erreicht werden wie für neu entstehende Problemkredite – im Ergebnis also eine vollständige Risikodeckung. Diese konsistente Behandlung aller NPL ist entscheidend, damit der Abbau von Altlasten nicht verschleppt wird.
Ambitioniert, flexibel, konsistent. Die neuen Vorgaben bilden eine feste Grundlage für den Umgang der europäischen Bankenaufsicht mit notleidenden Krediten. Die Verantwortung, die beste Strategie für den Abbau der Risiken zu finden, verbleibt bei den Banken. Von der Aufsicht kann nicht die Aufstellung einer allgemeingültigen Regel erwartet werden, denn sie ist schließlich kein Gesetzgeber, sondern vollzieht die gesetzlichen Vorgaben nur im Einzelfall. Aber sie legt stetig den Finger in die Wunde, um sicherzustellen, dass der Risikoabbau vorangeht.
Die neuen Vorgaben werden den Abbau von Altlasten aus der Finanzkrise wirksam vorantreiben. Dies ist auch bei der Weiterentwicklung der Europäischen Bankenunion von entscheidender Bedeutung. Denn nur, wenn wir beim Risikoabbau erfolgreich sind, können mittelfristig die Bedingungen für eine Letztsicherung für den europäischen Bankenabwicklungsfonds und schließlich auch für eine gemeinsame europäische Einlagensicherung geschaffen werden.