Finger weg von Bitcoin! Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Extreme Kurssprünge, der Start von Bitcoin-Futures und neue Finanzierungsmöglichkeiten wie Initial Coin Offerings heizen die Fantasien um virtuelle Währungen weiter an. Was aber wirklich hinter Bitcoin & Co. steckt, tritt oftmals in den Hintergrund. Wer dies beurteilen möchte, sollte sich ein paar ökonomische und ökologische Zusammenhänge vor Augen führen.

Bei Bitcoin handelt sich um kryptografisch verschlüsselte digitale Einheiten, die zur Zahlung genutzt werden können. Sie werden auf Grundlage der sogenannten Blockchain-Technologie ohne Mitwirkung von Banken und Zentralbanken anonym herausgegeben und können weltweit genutzt werden. Bitcoin kann jeder produzieren, indem er Rechnerleistung zur Verfügung stellt, und damit dem zugrundeliegenden Algorithmus entsprechend Bitcoin-Transaktionen verifiziert und einen neuen sogenannten Block erzeugt („Mining“), für den er in Bitcoin entlohnt wird. Soweit die Theorie. Doch die Praxis bringt die Nachteile von Bitcoin zum Vorschein.

Bitcoin ist keine Währung: Vielfach wird Bitcoin als „virtuelle Währung“ oder als „Kryptowährung“ bezeichnet. Dies transportiert das Missverständnis, dass Bitcoin in einer Reihe mit Währungen wie dem Euro, dem US-Dollar oder dem Yen stehe. Denn Bitcoin wird weder von einer Zentralbank herausgegeben noch von einem Staat als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt.

Die Bitcoin-Nutzung ist kostspielig: Der Grundidee zufolge soll Bitcoin auf der ganzen Welt gebührenfrei sein. Eine Gebühr ist lediglich für die besonders schnelle Abwicklung einer Transaktion vorgesehen und hat lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Inzwischen ist die Herstellung neuer Transaktionsblöcke jedoch so aufwändig geworden, dass Transaktionen ohne die Zahlung einer Gebühr durch den Nutzer an den „Miner“ kaum noch bestätigt und verbucht werden. Die Abwicklungsgebühr betrug zeitweise mehr als 30 Euro. Gestiegen ist sie unter anderem durch die höheren „Produktionskosten“ im Bitcoin-Netzwerk, da die „Miner“ für ihre Arbeit in Bitcoin entlohnt werden und so von den Preissteigerungen des Bitcoin profitieren.

Der Algorithmus reagiert auf die durch eine wachsende Zahl von „Minern“ steigende IT-Rechenleistung im Bitcoin-System, indem er den Aufwand für die Herstellung neuer Transaktionsblöcke automatisch erhöht. Mittlerweile ist der Rechenaufwand so hoch, dass sich das „Mining“ zu einem hochspezialisierten Industriezweig entwickelt hat. Für das „Mining“ optimierte Computer bewältigen immer komplexer werdende Rechenoperationen. Unternehmen betreiben „Miningfarmen“, in denen Tausende dieser spezialisierten Rechner Tag und Nacht neue Transaktionsblöcke erzeugen. Der Energiebedarf dieser Farmen ist dabei so hoch, dass sie beispielsweise in der Inneren Mongolei in China betrieben werden, wo die Stromkosten besonders niedrig sind.

Die Bitcoin-Nutzung ist äußerst energieintensiv: Der Energiebedarf für die Bitcoin-Produktion lässt sich zwar nicht exakt ermitteln. Nach Schätzungen der Webseite „Digiconomist“ benötigt das gesamte Bitcoin-Netzwerk derzeit Strom im Umfang von jährlich gut 46 Terrawattstunden. Dies entspricht fast dem jährlichen Energieverbrauch von Portugal mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern. Allein die Abwicklung einer Transaktion im Bitcoin-Netzwerk verbraucht rund 427 Kilowattstunden. Diese Energiemenge reicht aus, um einen durchschnittlichen deutschen Vier-Personen-Haushalt für mehr als einen Monat mit Strom zu versorgen. Die reine Abwicklung einer herkömmlichen SEPA-Überweisung (ohne dass der Zahler die Überweisung initiiert oder den Kontostand am PC oder Smartphone aufruft) benötigt hingegen weniger als eine Wattstunde. Im Ergebnis verbraucht die Abwicklung einer Bitcoin-Transaktion nach Schätzungen der Bundesbank rund 460.000-mal so viel Strom wie eine Überweisung.

Bitcoin zu halten ist riskant und hochspekulativ: Die starken Kursschwankungen der vergangenen Wochen unterstreichen, dass es sich bei Bitcoin um ein hochriskantes Spekulationsobjekt handelt. Auch ein Totalverlust ist möglich. Darüber hinaus haben etwa Insolvenzen von Bitcoin-Börsen wie Mt. Gox und Bitstamp sowie Hackerangriffe eindrücklich bewiesen, dass für die Nutzer von Bitcoin ein schwer einschätzbares Risiko besteht, ihre bei einer Handelsplattform gespeicherten Guthaben zu verlieren. Als reine Geldanlage ist die Investition in Bitcoin als hochspekulativ einzuordnen, denn Bitcoin stellt – beispielsweise im Gegensatz zu Edelmetallen – keinen Wert an sich dar.

Bitcoin spielt im Wirtschaftsleben keine Rolle: Die rasante Kursentwicklung von Bitcoin sollte nicht den Blick darauf verstellen, dass Bitcoin als Zahlungsmittel weiterhin kaum Bedeutung hat. Den im vergangenen Jahr jeden Tag auf der ganzen Welt getätigten rund 350.000 Transaktionen mit Bitcoin stehen 70 Millionen Überweisungen, Lastschriften und Kartenzahlungen je Arbeitstag allein in Deutschland (im Jahr 2016) gegenüber. Bitcoin setzt sich auch deswegen als Zahlungsmittel nicht durch, weil bei Zahlungen mit Bitcoin am Ende meist der Umtausch in eine offizielle Währung steht und dies für den Zahlungsempfänger ein nicht unerhebliches Wechselkursrisiko mit sich bringt. Zusätzlich sind Risikokosten zu berücksichtigen. So gibt es keine allgemeinverbindlichen rechtlichen Regeln für die Abwicklung von Zahlungen mit Bitcoin. Während bei konventionellen Zahlungen gesetzliche Regelungen festlegen, welche Ansprüche der Kunde bei fehlerhaft übertragenen Zahlungen gegenüber dem Zahlungsdienstleister hat, ist eine Bitcoin-Transaktion immer endgültig und unumkehrbar.

Bitcoin ist eine von zurzeit rund 1.400 virtuellen Währungen. Doch Bitcoin ist die größte und prominenteste darunter und in ihrer Konzeption mit der anonymen Herausgeberschaft auch einer der radikalsten Konstruktionen. Aus ökonomischer und ökologischer Sicht haben Bitcoin ihre Grenzen erreicht, denn der Nutzen von Bitcoin als Transaktionsmittel steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu den hohen Übertragungsgebühren und dem extrem hohen Stromverbrauch.

Aufgrund der mit Bitcoin einhergehenden Risiken sowie der Risiken neuer Kapitalaufnahmeformen wie Initial Coin Offerings, auf welche die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) bereits im vergangenen Jahr hingewiesen hat, verschärft sich in jüngster Zeit die internationale Diskussion um eine mögliche Regulierung. Dabei geht es vor allem um Geldwäsche und Maßnahmen gegen die Terrorismusfinanzierung für Börsen und Anbieter von „Wallets“ zum Speichern der virtuellen Währungen sowie um den Anlegerschutz. Im Rahmen der laufenden Überarbeitung der EU-Geldwäscherichtlinie sollen diese Pflichten unter anderem auch auf Bitcoin-Börsen übertragen werden.

Der kritische Blick auf Bitcoin und andere virtuelle Währungen soll allerdings nicht davon ablenken, dass die Blockchain-Technologie ein beträchtliches Innovationspotenzial verspricht. Sie ermöglicht verteilte Datenbanken, bei der jeder Teilnehmer Schreib- und Leserechte hat, die so programmiert werden können, dass sie auch selbstständig Transaktionen (wie etwa Zahlungen) auslösen können. Auf dieser Basis lassen sich Prozesse mit vielen Beteiligten völlig neu organisieren. Dies gilt beispielsweise für die Abgabe von Strom in dezentralen Netzen, die Abwicklung von Zug-um-Zug-Zahlungen bei Außenhandelsgeschäften, die Einrichtung von Fotodatenbanken ebenso wie für zahlreiche Backoffice-Prozesse.

Die Bundesbank analysiert sehr sorgfältig die Möglichkeiten für eine Anwendung der Blockchain-Technologie in den verschiedenen Bereichen des Finanzsektors. In einem Gemeinschaftsprojekt mit der Deutschen Börse wird die Anwendung und Leistungsfähigkeit von Blockchain-Technologien bei der Abwicklung von Wertpapiergeschäften zwischen Banken getestet. Dabei sehen wir zurzeit den Zahlungsverkehr kaum als den geeigneten Anwendungsbereich, denn hier geht es vor allem um die Abwicklung millionenfacher bilateraler Transaktionen. Hier sind konventionelle Zahlungssysteme aufgrund ihrer niedrigeren Kosten und nicht zuletzt mit der Einführung von Instant Payments im November 2017 auf absehbare Zeit die überlegene Lösung. Mit Instant Payments können Euro-Zahlungen innerhalb von Sekunden durchgeführt werden, beispielsweise übers Handy. Immer mehr Kreditinstitute in Europa bieten diese Zahlungen an. Das große Interesse an virtuellen Währungen kann abnehmen, wenn die bestehenden Zahlungssysteme noch effizienter und schneller werden, als sie es bereits sind.