Die Wirtschafts- und Währungsreform von 1948: Basis für stabiles Geld Gastbeitrag von Bundesbankpräsident Joachim Nagel für die Sonderveröffentlichung der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – Fördern, Fordern, Freiheit“

Drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges: Die Alliierten haben Deutschland von der NS-Herrschaft befreit und in vier Besatzungszonen geteilt. Es herrschen noch immer Versorgungsnot und Mangelwirtschaft. Fast die gesamte Güterversorgung wird staatlich gelenkt. Man bekommt das meiste offiziell nur über Bezugsscheine oder Zuweisungen. 

Die offiziellen Preise sind amtlich festgesetzt. So wird die Inflation verdeckt. Diese stammt aus dem enormen Geldüberhang, den NS-Regierung und Reichsbank seit 1933 zur Finanzierung von Rüstung und Krieg erzeugt hatten. Die Folge: Keiner traut mehr der Reichsmark. Es blüht der Schwarzmarkt mit Warentausch und Zigarettenwährung. 

Die Alliierten streiten über die politische und wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. An ihren Interessengegensätzen war bereits ein erster Vorschlag für eine Währungsreform gescheitert. Im März 1948 ist die Sowjetunion aus dem Alliierten Kontrollrat ausgetreten. Die drei Westalliierten — die USA, Großbritannien und Frankreich — verfolgen nun eine Währungsreform für ihre Zonen. 

Planungen und Vorbereitungen für diese Währungsreform unterliegen strengster Geheimhaltung. Unruhe in der Bevölkerung soll vermieden werden. Unter der Leitung des 26-jährigen amerikanischen Ökonomen Edward A. Tenenbaum erarbeiteten deutsche Experten in einer Kaserne in Rothwesten bei Kassel die rechtlichen Vorgaben. 

Ihre wesentlichen, von den Besatzungsmächten erlassenen Gesetze treten am 20. Juni 1948 in Kraft. Die D-Mark ersetzt in den drei Westzonen die Reichsmark. Bereits Ende 1947 waren die D-Mark-Banknoten in den USA gedruckt und dann in der Geheimoperation „Bird Dog“ nach Frankfurt gebracht worden. 

Ab Sonntag, 20. Juni, werden sie ausgegeben. Jede Bürgerin und jeder Bürger der Westzonen bekommt bei den Lebensmittelkartenstellen gegen 60 Reichsmark unmittelbar 40 D-Mark und wenig später in einer zweiten Tranche weitere 20 D-Mark. Ab dem 21. Juni ist die D-Mark alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. Laufende Zahlungen wie Löhne, Gehälter, Versicherungen und Mieten werden im Verhältnis eins zu eins umgestellt. Wer gespart hat, erleidet hingegen herbe Verluste: Reichsmarkguthaben werden schrittweise in einem Verhältnis von weniger als eins zu zehn auf D-Mark umgestellt. 

Harter Schnitt 

Es war ein harter Währungsschnitt. Viele Sparerinnen und Sparer standen finanziell vor dem Nichts. Aber gleichzeitig wurde der gewaltige Geldüberhang aus der NS-Zeit radikal reduziert. Die Währungsreform legte die Grundlage für das Vertrauen der Bevölkerung in die neue Währung. 

Ebenfalls am 20. Juni 1948 wurden die Preise weitgehend freigegeben. Ludwig Erhard, damals Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, war davon überzeugt, dass für den Aufschwung neben einer stabilen Währung ein freies Spiel der Preise unverzichtbar sei. Staatlich vorgegebene Preise unterdrückten die Anreize für unternehmerisches Handeln und Produktivität.

Freie Preise, das wusste Erhard, lenken die Ressourcen dorthin, wo sie den größten Wohlfahrtsgewinn bewirken. Für diese Stärke der Marktwirtschaft warb Erhard. Er erklärte der westdeutschen Bevölkerung über Rundfunk, „warum wir der neuen Währung Vertrauen schenken können und warum die entschiedene Abkehr vom Prinzip der staatlichen Zwangswirtschaft Voraussetzung des Gelingens der Reform und unserer wirtschaftlichen Gesundung überhaupt ist“.

Die Währungsreform und die Freigabe der Preise veränderten das Leben von heute auf morgen. Bis zum 20. Juni 1948 hatten Menschen und Unternehmen zwar Geld, nämlich Reichsmark; sie konnten damit aber fast nichts kaufen. Ab dem 21. Juni 1948 gab es wieder Waren gegen Geld, denn es lohnte sich wieder, Waren zu selbst kalkulierten Preisen anzubieten. Unternehmen konnten leichter Vorprodukte kaufen und Investitionen kalkulieren. Und die Bevölkerung bestaunte Schaufenster, die zuvor leergefegt gewesen waren, sich nun aber schlagartig füllten. 

Allerdings hatten die meisten Menschen lediglich die „Kopfquote“ in Höhe von 60 D-Mark. So verdienten sie sich das neue Geld mit harter Arbeit. Trotz sozialer Ungleichheit und weitverbreiteter Armut: Der wirtschaftliche Aufschwung konnte Fahrt aufnehmen. Zentral für die bald einsetzende Erfolgsgeschichte der D-Mark war die neue Notenbank für die Westzonen, die Bank deutscher Länder. Die amerikanischen und britischen Militärregierungen hatten sie zum 1. März 1948 errichtet, die französische Militärregierung schloss sich bald an. 

Auftrag der neuen Notenbank war, die Währung zu sichern. Dafür braucht es ein stabiles Preisniveau. Die deutsche Notenbank wurde als Institution so gestaltet, dass die deutsche Politik sie nicht noch einmal dazu benutzen können sollte, staatliche Ausgaben zu finanzieren. Der Stabilitätsauftrag ging 1957 von der Bank deutscher Länder auf die dann neu errichtete Deutsche Bundesbank über. 

Sie hat diesen Auftrag über mehr als 40 Jahre gut erfüllt und dafür international viel Anerkennung erhalten. So lag die Inflationsrate zwischen 1949 und dem Beginn der gemeinsamen Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet im Januar 1999 bei durchschnittlich 2,7 Prozent — trotz internationaler Währungskrisen und zweier Ölkrisen. Das ist deutlich niedriger als in den meisten Industriestaaten: So verzeichneten die USA knapp vier Prozent, und auch in der Schweiz lag die Inflationsrate in diesem Zeitraum mit 2,9 Prozent höher. 

Seit 1999 ist nun der Euro unsere gemeinsame europäische Währung. Verantwortlich für ihn ist das Eurosystem, bestehend aus den nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten und der Europäischen Zentralbank (EZB). Es wurde nach dem Vorbild der Bundesbank gestaltet: unabhängig von der Politik, föderal, mit dem Mandat, Preisstabilität zu gewährleisten. 

Auch der Euro wurde eine stabile Währung: Zwischen 1999 und 2023 betrug die durchschnittliche Inflationsrate knapp zwei Prozent. Sie lag also im Mittel ziemlich genau da, wo sie aus Sicht des Eurosystems und vieler anderer Zentralbanken mittelfristig sein sollte. 

Herausforderungen für EZB 

Dabei sah sich das Eurosystem erheblichen Herausforderungen gegenüber: der globalen Finanzkrise, der Staatsschuldenkrise im Euroraum, einer Phase mit Deflationsgefahr, der Corona-Pandemie und seit zwei Jahren einer außergewöhnlich hohen Inflationswelle. 

Um die hohe Inflation zu brechen, haben wir als EZB-Rat entschlossen gehandelt. Insbesondere haben wir die Leitzinsen konsequent und in einem beachtlichen Tempo angehoben — um mittlerweile (Stand August 2023) 4,25 Prozentpunkte. Wir werden Kurs halten, bis wir die angestrebte jährliche Preissteigerungsrate von zwei Prozent wieder verlässlich erreicht haben. 

Heute, 75 Jahre nach Einführung der D-Mark, können wir auf die Erfolgsgeschichte der D-Mark zurückblicken. Die Deutsche Bundesbank und ich als ihr Präsident setzen sich mit aller Kraft dafür ein, dass unsere Kinder und Enkelkinder genauso zufrieden auf den Euro zurückblicken können — in Deutschland und im gesamten Euroraum.