Den Blick nach vorn richten Gastbeitrag im Handelsblatt
Das Ende einer Amtszeit in der Bundesbank ist ein guter Anlass, ein Resümee zu ziehen. Wie hat sich der Finanzsektor in den letzten Jahren entwickelt? Was wurde erreicht, welche Hürden liegen vor uns? Wenn es eine große Klammer gibt, die diese Fragen umschließt, dann die, dass der Finanzsektor insgesamt stabiler geworden ist.
Blicken wir auf die Banken und Sparkassen, so waren sie in den letzten Jahren damit beschäftigt, die Scherben der Finanzkrise zu beseitigen. Viele Institute haben die Zeit genutzt, Risiken in ihren Bilanzen abzubauen und ihre Geschäftsmodelle anzupassen. Die Quote an notleidenden Krediten deutscher Institute von weniger als zwei Prozent ist im europäischen Vergleich mehr als respektabel. Ein anderes Beispiel für die Gesundung: Dass kürzlich der Verkauf einer Landesbank an private Investoren in die Wege geleitet wurde, hätte vor einigen Jahren niemand für möglich gehalten.
Auch Aufsicht und Regulierung haben dazu beigetragen, dass der Finanzsektor stabiler geworden ist. Die europäische Bankenaufsicht setzt seit Ende 2014 neue Standards für die Aufsicht. Nationale Alleingänge in der Beaufsichtigung systemrelevanter Institute zu vermeiden gehört ebenso zu den Errungenschaften dieser Aufsicht, wie das Beste aus den vielen verschiedenen Aufsichtsansätzen der Mitgliedstaaten zusammenzubringen. Die Errichtung der Aufsicht war ein Schritt, von dem alle profitieren – Aufseher und Beaufsichtigte ebenso wie Bürgerinnen und Bürger. Ähnliches gilt für den europäischen Abwicklungsmechanismus, der im vergangenen Jahr seine Feuertaufe(n) erfolgreich bestanden hat.
Jede Aufsicht kann aber nur so erfolgreich sein wie die Regeln, die sie anwendet. Der Abschluss des Mammutprojekts Basel III Ende 2017 war ein wichtiger Schritt – diese Standards werden künftig dazu beitragen, dass sich Finanzkrisen wie 2008 nicht wiederholen. Nun gilt es, die Regeln in allen Mitgliedsländern umzusetzen. Die Bundesbank tritt für eine europäische Umsetzung ein, die sich eng am internationalen Standard orientiert, dabei aber gleichzeitig die Verhältnismäßigkeit für kleine und mittlere Institute wahrt.
Hier könnte der Eindruck entstehen, wir lebten in einer schönen neuen Bankenwelt, in der die Institute ihre Lehren aus der Krise gezogen haben, ausschließlich solide, nachhaltige Geschäftsmodelle verfolgen und in der die Aufseher die Zügel fest angezogen haben und international harmonisierte Regeln entschlossen anwenden. So schön diese Vorstellung auch ist – wir sind in dieser Welt noch nicht angekommen. Welche Herausforderungen liegen also noch vor uns?
Auch wenn die Kreditinstitute die Risiken in ihren Bilanzen verringert haben, gibt es Grund zur Sorge. Die starke Zinsabhängigkeit der Geschäftsmodelle führt angesichts der dauerhaft niedrigen Zinsen zu einer besorgniserregenden Ertragsschwäche. Dazu kommen die Konkurrenz durch neue Player wie FinTechs und das Thema Digitalisierung. Mit Blick in die Zukunft wage ich drei Behauptungen: Erstens werden Fusionen und Übernahmen im Bankensektor zunehmen; zweitens wird das traditionelle Bankgeschäft weiter erodieren; drittens werden die Themen Cyberkriminalität und -sicherheit immer wichtiger. Der deutsche Bankensektor ist gut beraten, diesen Entwicklungen mit allem notwendigen Ernst und aller möglichen Kreativität zu begegnen.
Was zeigt der Blick nach vorn? Zum einen zeigt er ein hoffentlich weiter zusammenwachsendes, stabiles europäisches Gebilde. In diesem Zusammenhang sollten wir auch prüfen, ob Geldpolitik und Bankenaufsicht dauerhaft in einer Institution organisiert bleiben sollen. Zum anderen sehe ich noch offene Projekte wie die Vervollständigung der Bankenunion um eine gemeinsame Einlagensicherung. Diese Debatte überlagert leider die eigentlich wichtigen Fragen, zu denen in erster Linie die Verringerung der Risiken in Bankbilanzen gehört. Die Politik sollte in den Blick nehmen, was schon besteht – die Harmonisierung der nationalen Sicherungssysteme etwa – und was neben der Bankenunion fehlt. Beispielsweise die europäische Kapitalmarktunion, die gerade durch den Brexit wichtiger geworden ist denn je.
Und wenn wir beim Thema der internationalen Regulierung nach vorn blicken? Um den letztlich erzielten Kompromiss gab es ein mühsames Ringen, nicht selten um nationale Einzelinteressen. Wenn ich für die Zukunft einen Wunsch äußern darf, dann den, dass der globale Prozess weitergehen und dass das Festhalten an Partikularinteressen und am Protektionismus nur eine kurze Mode der Finanzmarktgeschichte sein möge, die sich rasch als das herausstellt, was sie ist: völlig untragbar.