Das Schlimmste erwarten und auf das Beste hoffen Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Seit Beginn der Pandemie gab es in Deutschland bislang kaum mehr Kreditausfälle als üblich. Dennoch werden Politik, Aufseher und Forscher nicht müde, vor hohen Verlusten in der Zukunft zu warnen. Wie passt das zusammen? Warum sind die Ausfälle so schwer vorherzusagen? Und was müssen Banken jetzt tun?
Die Rate der Kreditausfälle verharrt auch im bisherigen Jahresverlauf 2020 auf einem Rekordtiefstand. Das ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn in der Dramaturgie einer typischen Krise fallen Kredite erst aus, wenn Einnahmen Monat für Monat fehlen, Reserven aufgebraucht sind und immer mehr Zahlungen fällig werden. Um diesen Mechanismus zu hemmen und damit Unternehmensinsolvenzen und Kreditausfälle zunächst zu verhindern, hat der Staat ein großes Bündel an Maßnahmen geschnürt: KfW-Kredite, Garantien, Aufschub von Konkursfristen und Zahlungsmoratorien. Das war zur Stabilisierung absolut erforderlich.
Die Banken ahnen indes, dass dieses Paket sie nur vorübergehend entlastet und haben im ersten Halbjahr 2020 nicht nur zusätzliches Eigenkapital in Höhe von 2 Mrd. € aufgebaut, sondern auch vorsorglich Wertberichtigungen vorgenommen – allein bei den 21 großen, sogenannten signifikanten deutschen Instituten im Umfang von 4,4 Mrd. €. Damit hat sich das Vorsteuerergebnis im Vergleich zum Vorjahr fast halbiert, obwohl das operative Kerngeschäft teilweise sogar besser lief als 2019. Die Pandemie flackert also bereits auf in den Bankbilanzen.
Die zu begrüßende Vorsorge wird nicht überall ausreichen, das zeigen diverse Studien – so verschieden sie auch sind. Bemerkenswert einig sind sich die Studien trotz aller Unterschiede und Unsicherheiten allerdings in einem Punkt: Verschlimmert sich die Lage nicht noch dramatisch, müssten die seit der Finanzkrise aufgebauten Puffer die zu erwartenden Verluste in einer Gesamtbetrachtung absorbieren können. Das gilt aber nicht für jedes einzelne Institut.
Beispiel Deutschland: In einem Basisszenario, das im Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank zugrunde gelegt wird, gehen wir von 13 Mrd. € Wertberichtigungsbedarf für Forderungen gegen inländische Unternehmen aus. In einem moderaten Stressszenario und bei Betrachtung des gesamten Kreditbuchs drohen den hiesigen Banken nach verschiedenen Studien sogar Kreditverluste in Höhe von bis zu eineinhalb Prozentpunkten ihrer harten Kernkapitalquote – das wären dann gut 45 Mrd. € an hartem Kernkapital. In den Prognosen von Bundesbank und EZB wird zusätzlich ein sehr ungünstiges Szenario ausgewiesen; hier würden sich die Effekte gegenüber dem moderaten Stressszenario knapp verdoppeln.
Umso erfreulicher ist es, dass die deutschen Kreditinstitute aus einer komfortablen Kapitalausstattung heraus agieren können – nicht zuletzt dank der strengeren regulatorischen Anforderungen, die nach der letzten Krise beschlossen wurden. Über die Mindestanforderungen hinaus halten die deutschen Banken weitere knapp 255 Mrd. € in Form von Kapitalpuffern und ungebundenem Kapital.
Bei der Quote der notleidenden Kredite (NPL) sind wir nach wie vor weit von einem beunruhigenden Ausmaß entfernt. Die signifikanten Institute Deutschlands weisen im zweiten Quartal im Durchschnitt eine NPL-Quote von 1,2 % auf, was sowohl im Zeitverlauf als auch im Quervergleich ein recht niedriger Wert ist: Im Euroraum liegt diese Quote bei 2,9 %. Hier profitieren deutsche Institute von ihrem vergleichsweise konservativen Kreditbuch.
Die Banken gehen insgesamt also gut ausgestattet in eine Phase wohl deutlich steigender Unternehmensinsolvenzen und damit verbundener Kreditausfälle. Die Gesamtschau der Studien lässt vermuten, dass die Kreditausfälle für das Finanzsystem insgesamt verkraftbar sein werden. Verlässlich kann das jedoch niemand sagen. Deshalb stellt sich die Frage: Was kann die einzelne Bank nun tun?
Zugegeben, zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen nur begrenzte Möglichkeiten, das einzelne Haus noch wetterfest zu machen. Aber es wäre auch falsch, als Bank nur wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren.
Erstens: Es ist entscheidend, jetzt Kapital in der Bank zu halten, um die Kreditausfälle bilanziell verarbeiten zu können. Dieser Logik folgt auch die Empfehlung der Aufsicht, bis Ende des Jahres keine Dividenden auszuzahlen. Dieser erhebliche Eingriff in die Rechte der Bankeigentümer ist der Aufsicht nicht leichtgefallen und muss eine krisenbedingte Ausnahmeentscheidung bleiben. Sobald mehr Klarheit herrscht, muss an Stelle der pauschalen Empfehlung eine differenzierte und risikoorientierte Handlungsempfehlung für jede einzelne Bank treten.
Zweitens: Banken sollten durchaus ihre Spielräume zur Kreditvergabe nutzen und ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Die Aufsicht hat den Instituten bereits im März zugestanden, ihre Kapital- und Liquiditätspuffer hierfür zu nutzen und wird ihnen im Gegenzug genügend Zeit geben, die Puffer wieder aufzufüllen.
Drittens: Dennoch müssen Banken weiterhin die Bonität der Kreditnehmer genau prüfen und überwachen. Das gilt erst einmal für das Neugeschäft. Niemandem ist geholfen, wenn jetzt neue Risiken aufgebaut werden. Die Banken müssen ihre Risikopolitik gegebenenfalls neu justieren. Weiter ist das Monitoring des Altbestandes wichtig, um Problemen frühzeitig begegnen zu können. Konservatives und solides Rechnen muss auf der Tagesordnung bleiben. „Fünfe“ sind nicht gerade. In diesem Punkt ist und bleibt die Bankenaufsicht unnachgiebig.
Aber auch die Aufsicht wird einen Beitrag leisten: Die Rücknahme der Lockerungen wird nicht auf einmal und auch nicht ohne Vorankündigung kommen. Sie wird Vorsicht walten lassen. Dies gilt umso mehr angesichts der Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Pandemie. Die Devise lautet für die Banken nicht weniger als für die Aufseher: Auf den Worst Case vorbereiten, auf einen milden Verlauf hoffen.