Charakteristika entscheiden: Maschinelles Lernen in Risikomodellen – Die Bankenaufsichtsperspektive Gastbeitrag im BaFinJournal 04/2022

Die Analysequalität verbessern, Fehler automatisch erkennen und vermeiden und die operative Qualität von Prozessen verbessern? Vor diesen Herausforderungen stehen viele Banken – und maschinelles Lernen (ML) bietet hier aussichtsreiche Chancen. Auch wir als Aufsicht können profitieren, wenn Banken die Möglichkeiten von ML nutzen. Denn effiziente Banken sind langfristig stabile Banken. Doch wie können Banken die Chancen von ML nutzen, ohne dass die Risiken sich verselbstständigen? Und wie kann die Bankenaufsicht diese Risiken eindämmen, ohne Innovationen zu behindern?

Charakteristika statt Definition

Zuallererst geht es darum, ML überhaupt zu erkennen und die Unterschiede zu den Modellen und Prozessen herauszustellen, die wir seit Jahrzehnten beaufsichtigen. Diese Unterschiede zeigen uns, an welchen Stellen unsere Aufsichtspraxis eventuell angepasst werden muss. Dafür brauchen wir nicht unbedingt eine allgemeingültige Definition von ML. Vielmehr richten wir unsere Aufsichtspraxis, Prüfungstechnik und -intensität darauf aus, ob und welche ML-Charakteristika bei einer Methodik vorliegen und wie stark diese ausgeprägt sind. Dieser Ansatz hilft uns, ML-Innovationen und ihre Risiken zu erkennen, angemessen zu behandeln, und neue Anwendungen bei Banken nicht über einen Kamm zu scheren.

Wenn Banken zum Beispiel eine Vielzahl neuer Daten verknüpfen und mittels neuronaler Netze Kreditentscheidungen treffen, sind viele Charakteristika von ML erfüllt. Daraus ergeben sich Risiken im Vergleich zu bisherigen Modellen, insbesondere bei der Erklärbarkeit. Wenn jedoch nur zusätzliche Datenquellen wie Zeitungsberichte in der Kreditvergabe oder Risikofrüherkennung neben klassischen Kennzahlen mittels ML angeliefert werden, zeigt das Gesamtmodell weniger Charakteristika von ML. Entsprechend wären die aufsichtlichen Anforderungen dann auch geringer.

ML-Methoden müssen (nicht) erklärbar sein!

ML wird gerne als „Black Box” bezeichnet, in die man nicht hineinschauen kann. Wir verstehen oft nicht auf Anhieb, welche Zusammenhänge solche Methoden als Entscheidungsgrundlage nutzen. Es gilt jedoch auch hier, den Einzelfall abzuwägen. Häufig wird es der goldene Mittelweg der „Grey Box“ sein, zwischen Erklärungsbedürftigkeit einerseits und Modellfreiheit andererseits. Es geht darum, die jeweilige Methodik nachzuvollziehen und kritisch zu hinterfragen und nicht darum, dass jeder Einzelvorgang vom Menschen freigezeichnet werden muss.

Die Charakteristika von ML sind der Kompass für Banken und Aufsicht. Und hier schauen wir genau hin – mit einem Blick für Risiken und Chancen gleichermaßen.