"Erscheinungsbild des Bankensektors wird sich deutlich ändern" Gastbeitrag im Handelsblatt

Wer die zerstörerische Seite der Digitalisierung sehen möchte, der braucht sich nur auf dem eigenen Dachboden oder im eigenen Keller umsehen. Ob Schreibmaschine, Vinylplatte oder Fotopapier - viele Gebrauchsgegenstände von früher sind aus dem Alltag weitgehend verschwunden und existieren nur noch als Andenken. Mit den Produkten sind inzwischen ganze Industriezweige, die dem digitalen Wandel nicht standhielten, von der Bildfläche verschwunden.

Wenn die Digitalisierung ganze Branchen umkrempeln kann, darf man gespannt sein, welche Folgen sie für Banken und Sparkassen bereithält. Immerhin betrifft das Bankgeschäft größtenteils immaterielle Dienstleistungen, die vergleichsweise leicht digitalisiert werden können. Längst wurde der deutsche Banken- und Sparkassensektor von der Digitalisierungswelle erfasst: Viele Kunden erledigen ihre Bankgeschäfte von Zuhause oder unterwegs per Smartphone. Manche Banken sind ausschließlich online erreichbar.

Fast ein Drittel der Internetbanking-Kunden geht laut einer aktuellen Umfrage von Bitkom gar nicht mehr in die Filiale. Auch der Gang zum Geldautomaten wird für viele Kunden dank alternativer Zahlverfahren zunehmend seltener nötig. Kurzum: Die Bank als Gebäude ist nicht in Stein gemeißelt.

Galten Finanzdienstleistungen wegen der anspruchsvollen Aufgaben früher als Bastion menschlicher Fähigkeiten, erscheinen mittlerweile selbst Tätigkeiten wie Beratung oder Risikoanalysen zumindest in Teilen durch Computer vorstellbar. Denn Rechner und Programme werden ihren menschlichen Schöpfern immer ähnlicher – man attestiert ihnen heute Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit und sogar Kreativität. Viele Experten rechnen mit weiteren Leistungssprüngen bei künstlicher Intelligenz und bei der Rechenleistung von Computern. Daher könnten Finanzdienstleistungen künftig in zunehmendem Maße von Maschinen angeboten werden.

Bereits heute werden immense Finanzdatenströme in einigen Geldhäusern von Algorithmen auf auffällige Muster untersucht, damit beispielsweise Betrugsversuche und Angriffe aus dem Netz frühzeitig erkannt werden. Selbstlernende Programme könnten Computern zu noch mehr Beachtung im Finanzgeschäft verhelfen.

Doch spätestens seit Bill Gates "banking is necessary, banks are not" verkündet hat, geht es um mehr. IT-getriebene Finanzinnovationen könnten die Rolle der Banken überflüssig machen, heißt es. Angeführt werden dazu einerseits Internetplattformen, auf denen Kreditnehmer auf Kreditgeber treffen können, oder andererseits Anbieter von Cyberwährungen. Inmitten der Digitalisierungswelle stellt sich also die Frage nach künftiger Aufmachung, Form und Rolle von Banken und Sparkassen. Werden sie in einer digitalen Finanzwelt überhaupt noch gebraucht?

Eines ist sicher: Angesichts des technologischen und gesellschaftlichen Wandels müssen Banken ihre gewohnten Dienste und Prozesse an vielen Stellen hinterfragen. Mit der Digitalisierung ändern Kunden ihre Verhaltensweisen und ihre Erwartungen an Bankdienstleistungen. Andere Unternehmen können Banklizenzen beantragen oder auch als externe Dienstleister stärkerer Bestandteil des Bankgeschäfts werden.

Effizienter, schneller, praktikabler und kundennäher – der Druck steigt bei allen Beteiligten. Das Erscheinungsbild des Sektors wird sich sehr wahrscheinlich deutlich ändern. Wohl nicht jeder Bank wird es gelingen, mitzuhalten. Aus gesellschaftlicher Sicht hingegen ist der Wettbewerb um Qualität gewünscht. Gut möglich also, dass einige Bankprozesse und Produkte bildlich gesprochen bald auf den Dachboden gehören.

Die Vorstellung aber, dass Banken und Sparkassen untergehen könnten, wenn Technologien ausgereift wären, verkennt ihre Bedeutung innerhalb der Finanzordnung. Denn der Begriff der "Bank" und der "Sparkasse" ist gesetzlich geschützt – er steht und fällt mit bestimmten Aufgaben. Banken helfen unter anderem, Geld sicher aufzubewahren, bieten Zahlungsdienste, stellen durch Kredite Ressourcen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Projekte zur Verfügung, steuern und streuen darin enthaltene Risiken.

Solange wir als Bürgerinnen und Bürger oder als Unternehmen Dienstleistungen wie Kreditvergabe, Depotgeschäft und Zahlungsverkehr in Anspruch nehmen, wird es Banken geben. Außerdem sind Banken und Sparkassen integraler Bestandteil unseres Geldsystems. Insgesamt bedingen also die Erfordernisse unseres Wirtschafts- und Finanzsystems die Existenz von Banken.

Für die gesetzliche Sonderstellung von Kreditinstituten gibt es gute Gründe, sie spielen eine vertrauensintensive, einflussreiche Rolle im Wirtschafts- und Finanzsystem. Gesetzgebung und Aufsicht müssen sicherstellen, dass Rechte und Pflichten im Sinne der Gesellschaft ausgeübt werden. Und im Zuge der Digitalisierung zeigt sich erneut: Zuverlässigkeit und Vertrauen sind trotz oder gerade wegen der Technik kein Selbstläufer.

Erstens darf man der Technik selbst nicht mit blindem Vertrauen begegnen. Warum auch sollten menschengeschaffene Programme immer unfehlbar und unvoreingenommen sein? Auch ohne eigenen Willen können Computer zum Vorteil missbraucht werden. Erst kürzlich wurden manipulierte Vergabepraktiken einer amerikanischen Kreditvermittlungsplattform öffentlich.

Zweitens verhindert selbst die ausgefeilteste IT keine Schäden. So werden bei Cyberangriffen auf Banken häufig menschliche Schwächen und Fehler ausgenutzt. Banken und Sparkassen werden daher von der Aufsicht zu einem umfassenden Sicherheitsmanagement verpflichtet.

Der Vertrauensvorschuss, den manche Finanztechnologie besitzt, kann also schnell aufgebraucht sein. Daher warne ich vor der Vorstellung, unser Finanzsystem könne im digitalen Zeitalter funktionieren, ohne dass die tragenden Säulen reguliert und beaufsichtigt werden. Wesentliche Aspekte der Finanzbranche wie die Übernahme von Risiken können auch gar nicht von Computern übernommen werden. Finanzielle Fragestellungen sind von Natur aus mit Risiken verbunden – selbst intelligente IT kann aber Entscheidungen nur vorbereiten und erleichtern; Verantwortung müssen Menschen übernehmen.

Computer erfüllen übrigens scheinbar auch nicht jedes Kundenbedürfnis im Service: Bestes Beispiel ist ein amerikanischer "RoboAdvice"-Dienstleister, der eine mit Mitarbeitern besetzte Servicehotline für seine Kunden bereithält. Denn der Kontakt mit Menschen wird von Kunden offenbar insbesondere dann nachgefragt, wenn die vom Computer vermittelten Anlageprodukte gerade stark an Wert verlieren.

Schließlich ist auf Selbstregulierung durch die "Intelligenz der Masse" oder durch Computer, die sich gegenseitig ihre Buchungseinträge prüfen, nicht stets Verlass. So entstand unlängst in einem Finanzierungsnetzwerk, das ohne menschliche Kontrollinstanz auskommen soll, durch eine übersehene Schwachstelle im Code wohl ein Diebstahl mit Millionenschaden.

Am Ende sind trotz der schier unzählbaren technologischen Gestaltungsmöglichkeiten rechtliche und ökonomische Fragen entscheidend. Das sehen auch die libertärsten Internetjünger ein – ohne eine übergeordnete Rechtsordnung geht es bei finanziellen Angelegenheiten nicht.

Es ist also nur konsequent, Kreditinstitute zu verpflichten, das Vertrauen in sie als Bank umfassend abzusichern. Technologie darf dabei weder gutgläubig bevorteilt noch aus Angst vor Veränderung abgelehnt werden. Jede einzelne Anwendung muss sich beweisen. Technikferne Anforderungen wie Verantwortung der Geschäftsführung, Anreizsysteme oder das Mehr-Augen-Prinzip bleiben "state of the art".

Einen erwachsenen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten sollten auch die manchmal allzu sorglosen Verbraucher erlernen. Die eigene Zahlungsbereitschaft für digitale Produkte sollte die vielen nötigen Aufgaben im Hintergrund widerspiegeln. Denn so einfach und kostenlos vieles in der digitalen Welt daherkommt – Sicherheit und Zuverlässigkeit gibt es nicht frei Haus.

Da unsere Rechtsordnung den Bankbegriff schützt, wird auch der vermeintliche Gegensatz zwischen ihnen und den Startups im Finanzbereich, den sogenannten Fintechs, entzaubert. Was Bankgeschäft, was Zahlungsverkehr bzw. was Finanzdienstleistung ist und mit entsprechenden Lizenzen einhergeht, entscheidet das Gesetz.

Eine einfache Trennlinie zwischen "den Banken" und den technikaffinen Neulingen in der Finanzwelt gibt es indes nicht. Die aktuelle Herausforderung der Finanzaufsichtsbehörden besteht vielmehr darin, für die zahlreichen neuartigen Geschäftsmodelle jeweils konkret festzulegen, ob sie eine Lizenz als Kreditinstitut, Zahlungsinstitut oder Finanzdienstleister benötigen.

Banken und Sparkassen bleiben als Teil unseres Finanzsystems notwendig. Statt "Brauchen wir noch Banken?" muss die Frage lauten: "Wie sehen Banken der Zukunft aus?"

Sie werden sich nach den Bedürfnissen derer richten müssen, denen das Finanzsystem dient: Den Bürgern und den Unternehmen. Die schöpferische Zerstörung, wie wir sie in der Foto- und Musikbranche erlebt haben, dürfte auch innerhalb der Bankenbranche Spuren hinterlassen: In Zukunft dürfen wir ein bunteres Nebeneinander von mobilen Banken und Vor-Ort-Service, von spezialisierten Dienstleistern und Universalbanken, von Kooperation und Wettbewerb mit Finanzstartups erwarten. Doch so wie die Menschen weiterhin Fotoaufnahmen machen und Musik hören, werden die wesentlichen Bedürfnisse, wegen derer Menschen auf Banken angewiesen sind, nicht wegfallen.