Karl Hofer, Die Sinnende, 1936
Aus heutiger Sicht wirkt "Die Sinnende", obwohl 1936 entstanden, so, als seien in dem Bildnis der jungen Frau bereits die grundlegenden Verwerfungen des folgenden Jahrzehnts angelegt. Nicht nur die turbanartige Kopfbedeckung und der an eine Häuserruine erinnernde Hintergrund lassen sofort an die "Trümmerfrauen" der Nachkriegszeit denken, es ist vor allem der in sich gekehrte, nachdenkliche und hoffnungslose Blick, der den politisch-gesellschaftlichen Zusammenbruch, die Katastrophe des Krieges und die tiefe Erschütterung durch Auschwitz zu spiegeln scheint.
Ein solches Menschenbild passte nicht in das Jahr der Olympischen Spiele, in dem das nationalsozialistische Deutschland auf selbstbewusste Propaganda setzte. Karl Hofer war bereits 1934 als Professor an der Hochschule für bildende Künste in Berlin entlassen worden, später wurden über 300 seiner Werke als "entartet" aus öffentlichen Sammlungen entfernt.
Hofers künstlerisches Anliegen war es, allgemeingültige, überzeitliche Formen zu entwickeln. Deshalb eliminierte er alles Individuelle aus seinen Porträts, bevorzugte klare Kompositionen und einen tektonischen Bildaufbau. Seiner klassisch-idealistischen Auffassung der Figur blieb Hofer auch in den 1950er Jahren treu und konzentrierte sich als künstlerischer Einzelgänger weiterhin auf das Menschenbild.