Jens Weidmann während einer virtuellen Rede im Bundesbank-Studio ©Nils Thies

Weidmann: Sehr lockere Geldpolitik nicht für zu lange festschreiben

Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat seine Forderung bekräftigt, dass die Geldpolitik insgesamt wieder normalisiert werden müsse, sollte das Preisstabilitätsziel es gebieten. „Dies sollte letzten Endes auch einen Abbau der hohen Anleihebestände einschließen“, sagte er bei der Amtswechselfeier der Hauptverwaltung der Bundesbank in Nordrhein-Westfalen.

Weidmann warnte davor, den aktuellen Pandemie-Modus der Geldpolitik zum Dauerzustand zu machen. Die Notfallmaßnahmen seien zu Recht eng an die Pandemie gebunden und müssten beendet werden, sobald die Notsituation überwunden sei. Aus Weidmanns Sicht gehöre dazu auch, die erhöhte Flexibilität des Notfallankaufprogramms für Wertpapiere, kurz PEPP, nicht auf andere Programme zu übertragen.

Risiko einer zu hohen Inflationsrate beachten

Für die allgemeine Ausrichtung der Geldpolitik sei die Frage maßgeblich, wie hartnäckig der verstärkte Preisauftrieb im Euroraum sein werde. Die Inflationsrate in Deutschland sei in den vergangenen Monaten stärker gestiegen, als dies von den Fachleuten der Bundesbank vorausgeschätzt worden sei. „Klar ist: Die aktuellen Preissteigerungen mindern die Kaufkraft erheblich. Und die Menschen machen sich Sorgen – in Deutschland, aber auch in anderen Ländern des Euroraums“, sagte der Bundesbankpräsident. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass der hohe Preisdruck in Deutschland nach Einschätzung der Bundesbank wieder abnehmen dürfte. Ein Grund dafür sei das Auslaufen von Sonderfaktoren wie die Mehrwertsteuersenkung. Darüber hinaus sollten Angebotsengpässe sich auflösen und der Nachfrageschub an Kraft verlieren.

Derzeit rechnen unsere Fachleute damit, dass die Inflationsrate in Deutschland in diesem Monat bei fast 6 Prozent gipfelt und anschließend sinken wird“, erklärte Weidmann. Nach Einschätzung der Fachleute hätten die unerwarteten Preissteigerungen der vergangenen Monate aber zur Folge, dass die Inflationsrate voraussichtlich erst Ende nächsten Jahres unter 3 Prozent fallen werde. Weidmann betonte, wie unsicher der Preisausblick zurzeit sei. Dabei überwiegen aus seiner Sicht klar die Aufwärtsrisiken, zuletzt eher noch deutlicher. Im Euroraum könne es durchaus sein, dass die Inflationsrate in der mittleren Frist nicht wieder unter 2 Prozent falle. „Deshalb sollte die Geldpolitik nicht einseitig auf das Risiko einer zu niedrigen Inflationsrate schauen, sondern auch auf das Risiko einer hartnäckig zu hohen Inflationsrate achten“, forderte er.

Sehr lockere Geldpolitik nicht für zu lange festschreiben

Angesichts der außergewöhnlich hohen Unsicherheit über den Preisausblick warb Weidmann dafür, den sehr lockeren Kurs der Geldpolitik nicht für zu lange festzuschreiben. Zudem positionierte er sich in der Debatte um die Risikoabwägungen für die Geldpolitik klar. „Manche halten es für das geringere Risiko, die sehr expansive Ausrichtung der Geldpolitik länger als nötig beizubehalten: Die Notenbanken müssten die Gefahr hartnäckig zu niedriger Inflationsraten ausschalten. Deshalb dürfe die Geldpolitik auf keinen Fall zu früh normalisiert werden“, so Weidmann. „Mich überzeugt diese Schlussfolgerung nicht.

Die Zinsen seien bereits seit geraumer Zeit sehr niedrig. Unternehmen, Haushalte und Staaten hätten sich stärker verschuldet, und das Finanzsystem sei verwundbarer gegenüber Zinsänderungen geworden, warnte er. Eine abrupte und steile Zinserhöhung könne zu Problemen im Finanzsystem führen, die wiederum die Wirtschaft und letztlich die Preisstabilität beeinträchtigen könnten. Dieses Risiko gelte es ebenfalls in die Gesamtabwägung einzubeziehen.

Laut Weidmann dürfte auch eine rechtzeitige und graduelle Normalisierung der Geldpolitik wenig Beifall finden – sowohl an den Finanzmärkten als auch bei den Staaten. Von äußerem Druck dürften sich die Notenbanken aber nicht beirren lassen. Notenbanken sollten schon heute klar kommunizieren: „Wir werden die Preisstabilität auch dann sichern, wenn es zu Konflikten mit Zielen anderer Politikbereiche kommt. Genau für diesen Fall wurde den Notenbanken die Unabhängigkeit gewährt.

Stärkere wirtschaftliche Erholung wohl nur aufgeschoben

Mit Blick auf die derzeitige wirtschaftliche Lage sagte Weidmann, die deutsche Wirtschaft werde im laufenden Quartal möglicherweise auf der Stelle treten. Der kräftige Schub aus der Öffnung von Dienstleistungsbereichen habe bereits nachgelassen. Zugleich würden die Probleme in der Industrie länger anhalten als gedacht. Und auch das aktuelle Infektionsgeschehen dürfte sich auf die Wirtschaft auswirken. „Daher wird die Wirtschaftsleistung wahrscheinlich auch im laufenden Quartal ihr Vorkrisenniveau noch nicht erreichen. Und im Jahresdurchschnitt 2021 dürfte das Wirtschaftswachstum in Deutschland deutlich geringer ausfallen als in unserer Juni-Prognose veranschlagt“, so Weidmann weiter. Angesichts der vollen Auftragsbücher sei eine stärkere Erholung vermutlich aber nur aufgeschoben.

Dank an scheidende Präsidentin der Hauptverwaltung

Bei der Amtswechselfeier bedankte sich Weidmann bei Margarete Müller, die die Hauptverwaltung in Nordrhein-Westfalen in den vergangen acht Jahren als Präsidentin geleitet hatte. Insgesamt war sie fast 40 Jahre im Dienst der Bundesbank. Sie übergebe ihrem Nachfolger eine Hauptverwaltung, die von besonderem Geist geprägt sei. Müller scheidet Ende November altersbedingt aus ihrem Amt aus. Neuer Präsident der Hauptverwaltung wird Jochen Metzger, der zuletzt den Zentralbereich Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme leitete.

Die scheidende Präsidentin Müller sprach den Beschäftigten der Hauptverwaltung ihren Dank für die gute Zusammenarbeit und Weidmann für die stets offene Diskussion zwischen Hauptverwaltung und Zentrale aus. Ihr Nachfolger Metzger betonte seine hohe Motivation für die neue Aufgabe. Einen Schwerpunkt in seiner Amtszeit werde die Digitalisierung bilden, kündigte er an.