Weidmann: Hohe Leistungsbilanz­überschüsse spiegeln lockere Geldpolitik

Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat davor gewarnt, dem hohen Überschuss der deutschen Leistungsbilanz zu viel Bedeutung beizumessen. Weder Defizite noch Überschüsse seien per se gut oder schlecht, sagte er auf einer Konferenz von Bundesbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Frankfurt am Main. "Es ist angemessen, dass Deutschland Überschüsse erzielt, denn der demografische Wandel wird insbesondere die Wirtschaft hart treffen", so Weidmann. Der Überschuss sei notwendig, um die Folgen dieser Entwicklung aufzufangen.

Deutschland erzielte von Januar bis Oktober 2017 nach Berechnungen der Bundesbank einen Leistungsbilanzüberschuss von 201,5 Milliarden Euro und war damit weltweit das Land mit dem höchsten Überschuss.

Effizient investieren, um Überschüsse zu reduzieren

Neben der Alterung der Gesellschaft tragen Weidmann zufolge auch die aktuell niedrigen Öl- und Rohstoffpreise sowie der schwache Euro zum derzeitigen Überschuss bei. "Der hohe Handelsüberschuss ist auch Ausdruck der sehr lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank", so der Bundesbankpräsident weiter.

Den Forderungen nach höheren Staatsausgaben, um die Überschüsse zu reduzieren, erteilte Weidmann eine Absage. Simulationen hätten gezeigt, dass bei einer Ausweitung der staatlichen Investitionen um 1 Prozent des BIP der Überschuss der Leistungsbilanz um weniger als 0,1 Prozentpunkte sinken würde. Erwägenswert sei aber eine Verschiebung vom staatlichen Konsum hin zu staatlichen Investitionen. Zudem plädierte er dafür, Anreize für private Investitionen zu verstärken.

Geringer Lohnanstieg trotz solider Arbeitsmarktentwicklung

Andere Teilnehmer der Konferenz schätzten den derzeitigen Überschuss deutlich kritischer ein. So erläuterte Maurice Obstfeld, Chefökonom des IWF, dass sich derzeit nur knapp die Hälfte des deutschen Überschusses durch Faktoren wie die demografische Entwicklung erklären lasse. Die Erklärungen für den anderen Teil seien sehr umstritten. Ein wichtiger Grund für den Überschuss ist Obstfeld zufolge die hohe Sparquote in Deutschland. Insbesondere Unternehmen hätten ihre Gewinne in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert, diese aber nicht reinvestiert.

Für Jens Suedekum, Professor für Volkswirtschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, ist die geringe Lohndynamik ein wichtiger Grund für den hohen Überschuss der Leistungsbilanz. Zwar seien die Löhne in den vergangenen Jahren gestiegen, Deutschland habe aber den Anschluss an andere Länder im Euroraum noch nicht vollends gefunden. Das mäßige Lohnwachstum ist laut Suedekum auch eine Erklärung dafür, warum Deutschland relativ wenig importiere. "Die zusätzlichen Gewinne, die deutsche Firmen mit Exporten machen, werden nicht entsprechend an die Arbeitnehmer zurückgegeben", kritisierte Suedekum.

Investitionen erhöhen oder Steuern senken

Die Teilnehmer der Konferenz diskutierten intensiv darüber, inwiefern Deutschland mehr investieren müsse. Für Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschafts-forschung (DIW), sind mehr öffentliche Investitionen ein zentraler Punkt. Deutschland lebe derzeit von der Substanz. "Dass es Deutschland im Moment so gut geht, ist vor allem Glück und weniger ein Ergebnis guter Politik", sagte Fratzscher. So habe die Geldpolitik der EZB dazu beigetragen, dass die Zinseinsparungen für die öffentliche Hand derzeit sehr hoch sind. Eine prozyklische Fiskalpolitik, bei der man den Haushaltsüberschuss beispielsweise für Steuersenkungen nutze, bezeichnete er als Fehler.

Für Steuersenkungen plädierte hingegen Lars Feld, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Er forderte, Deutschland müsse die im Euroraum geltende Schuldenquote von 60 Prozent im Verhältnis zum BIP einhalten. Um dies zu erreichen, dürften die Staatsausgaben nicht weiter erhöht werden. Vielmehr sei eine Reform des Steuersystems notwendig. "Die derzeit diskutierte Reduktion des Solidaritätszuschlags würde helfen", so Feld.

Vor dem Hintergrund der Diskussion um eine Investitionsschwäche in Deutschland sagte Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, es reiche nicht, einfach nur mehr zu investieren. "Staatliche Investitionen im Inland können sehr ineffizient sein", so Fuest. Als Beispiel nannte er Infrastrukturprojekte in Spanien. Dort sei zwar in der Vergangenheit viel investiert worden, gleichzeitig sei das Land aber besonders hart von der Krise getroffen worden.

Langfristiges Wachstum fördern

Abschließend betonte Christine Lagarde, geschäftsführende Direktorin des IWF, Deutschland sei keine Insel und habe sich, insbesondere im Zuge der demografisch bedingten Alterung der Gesellschaft, aber auch durch Migration, in den vergangenen Jahren stark verändert. Aus Sicht des IWF müsse die Priorität daher sein, langfristiges Wachstum zu stärken. "Aber die Rezepte, die Deutschland in der Vergangenheit geholfen haben, müssen für die Zukunft nicht unbedingt wirkungsvoll sein", mahnte Lagarde.

Deutschland habe zudem viele Werkzeuge in der Hand, um das Wachstum langfristig zu stärken, sagte Lagarde. Der hohe Leistungsbilanzüberschuss zeigt nach ihrer Auffassung, dass Deutschland zu viel spart und gleichzeitig zu wenig investiert. Ein Instrument seien verstärkte inländische Investitionen. Darüber hinaus müssten bestehende fiskalische Spielräume stärker genutzt werden, forderte Lagarde. Untersuchungen zeigten, dass selbst bei höheren Investitionen die Schulden weiter reduziert werden könnten. Lagarde appellierte daran, die aktuell starke wirtschaftliche Lage für eine wachstumsfreundliche Politik zu nutzen. Die gegenwärtigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft seien gut. "Nun ist es Zeit, das Dach zu reparieren", so Lagarde.