Jens Weidmann bei einer Rede ©Nils Thies

Weidmann: Geldpolitik nicht in den Dienst der Fiskalpolitik stellen

Angesichts stark steigender Staatsschulden im Euroraum warnt Bundesbankpräsident Jens Weidmann vor dem Risiko fiskalischer Dominanz. Der politische Druck könnte aufkommen und zunehmen, die Zinsen niedriger zu halten, als es für Preisstabilität erforderlich wäre. Billiges Geld könnte zunehmend als Normalzustand angesehen werden. Unter diesen Bedingungen erschiene womöglich selbst eine hohe Schuldenlast den Regierungen tragfähig. Aber was würde passieren, wenn diese Bedingungen sich änderten, fragte der Bundesbankpräsident. Die Notenbanken müssten schon jetzt klarmachen, dass sie die Geldpolitik nicht in den Dienst der Finanzpolitik stellten würden. „Wenn wir einen anderen Eindruck erwecken, bringen wir unsere Unabhängigkeit und unsere Glaubwürdigkeit in Gefahr“, so Weidmann. 

Expansive Geldpolitik in der Krise notwendig

In der Corona-Krise hält Weidmann die lockere Geldpolitik weiterhin für notwendig: „Es ist wichtig, dass die Geldpolitik expansiv bleibt“, sagte Weidmann. Der wirtschaftliche Einbruch dämpfe die Inflationsaussichten. Zudem könne ein Mangel an Liquidität im Finanzsystem die Krise gefährlich verschärfen. Möglicherweise entstünden schädliche Rückkopplungseffekte zwischen der Wirtschaft und dem Finanzsystem, die schlussendlich die Preisstabilität gefährden könnten.

Das Wiederaufflammen der Pandemie werde die Wirtschaft im laufenden Quartal belasten, sagte der Bundesbankpräsident. „Diesmal werden die ökonomischen Folgen aber wahrscheinlich weniger schwerwiegend sein als im Frühjahr, da die Eindämmungsmaßnahmen zielgerichteter sind und die Unternehmen Erfahrung gewonnen haben.“ Weidmann wies aber auch darauf hin, dass es eine Weile dauern könnte, bis die Epidemie anhaltend eingedämmt sei. Aus heutiger Sicht könne eine Abfolge von „Lockdowns“ und nachfolgendem Wiederaufflammen des Infektionsgeschehens nicht ausgeschlossen werden.

Geldpolitisches Ziel verständlich und realistisch formulieren

Im Hinblick auf die Überprüfung der geldpolitischen Strategie im Eurosystem sieht Weidmann die Definition von Preisstabilität und die Formulierung des Politikziels des EZB-Rats im Mittelpunkt der Diskussion. „Wir sollten unser geldpolitisches Ziel verständlich, realistisch und vorwärtsgerichtet formulieren“, so Weidmann. Aus seiner Sicht wäre eine explizit symmetrische Formulierung des Ziels klarer und einfacher zu verstehen als die bisherige Formulierung. Darüber hinaus sei Flexibilität für die Geldpolitik wichtig, denn: „Wir sollten realistisch bleiben: Die Geldpolitik kann die Inflation nicht punktgenau steuern, schon gar nicht in einem bestimmten Monat oder Quartal.“ Zudem müsse der EZB-Rat prüfen, ob die Inflation richtig gemessen werde. Weidmann sprach sich dafür aus, künftig selbst genutztes Wohneigentum in die Berechnung der Inflationsrate für den Euroraum einzubeziehen. „Ich persönlich wäre bereit, einige methodologische Unschärfen zu akzeptieren, um besser die wirklichen Lebensumstände der Menschen widerzuspiegeln“, sagte Weidmann.