Weidmann bei seiner Rede an der Humboldt Universität Berlin ©Nils Thies

Weidmann: Finanzierungsbedingungen sollten sich im Einklang mit wirtschaftlicher Erholung entwickeln

Bundesbankpräsident Jens Weidmann misst den Finanzierungsbedingungen von Unternehmen, privaten Haushalten und Staaten eine wichtige Funktion bei: „Sie markieren den Weg für das PEPP, damit es dem Abwärtsdruck auf die Inflation entgegenwirken kann, den die Pandemie erzeugt.“ Im Dezember 2020 hat der EZB-Rat die Wertpapierkäufe im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms („PEPP“) explizit an die Wahrung günstiger Finanzierungsbedingungen geknüpft. Denn günstige Finanzierungsbedingungen förderten die Kreditvergabe an die Wirtschaft, unterstützten die Konjunktur und trügen auf diese Weise dazu bei, mittelfristig Preisstabilität zu gewährleisten, so Weidmann. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass der EZB-Rat bei der Beurteilung der Finanzierungsbedingungen einen ganzheitlichen Ansatz verfolge. Es gehe demnach nicht um eine einzelne Größe, etwa die Renditen von Staatsanleihen, sondern um eine ganze Palette von Variablen.

Ursachen von Veränderungen genau analysieren

Der Blick auf die Indikatoren allein genüge aber nicht. Wenn sie Veränderungen anzeigen, müssten deren Ursachen genau analysiert werden. So sei nicht jeder Anstieg der Zinsen auf den Kapitalmärkten geldpolitisch ein Problem. „Wenn zum Beispiel die Nominalzinsen steigen, weil sich die Inflationserwartungen der von uns angestrebten Inflationsrate annähern, dann wäre das eine willkommene Entwicklung. Denn es wäre ein Anzeichen, dass unsere geldpolitischen Maßnahmen wirken“, sagte Weidmann. Auch andere wirtschaftliche Fundamentaldaten könnten sich verbessern und so dazu führen, dass die Realzinsen steigen. „In isolierter Betrachtung könnte das als eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen gesehen werden. Die ganzheitliche Perspektive würde aber klarmachen, dass es sich hier nur um eine Begleiterscheinung handelt, die den besseren Wirtschaftsausblick nicht zunichtemacht“, so Weidmann. „Aus meiner Sicht sollten sich die Finanzierungsbedingungen im Einklang mit der wirtschaftlichen Erholung im Euroraum entwickeln können. Es geht also gerade nicht darum, ein bestimmtes Zinsniveau geldpolitisch zu zementieren. Vielmehr soll eine vorschnelle Verschlechterung verhindert werden, um dem Abwärtsdruck der Pandemie auf die mittelfristige Preisentwicklung entgegenzuwirken.

In letzter Zeit waren die Renditen für die Staatsanleihen im Euroraum etwas gestiegen. Bei Bundesanleihen sei der Anstieg vor allem auf die Erhöhung der Zinsen in den USA zurückzuführen. Aber auch die Aufhellung der gesamtwirtschaftlichen Aussichten im Euroraum hätte dazu beigetragen. Der EZB-Rat habe das Risiko gesehen, dass sich der Anstieg der risikofreien Zinsen und Staatsanleiherenditen seit Jahresbeginn auf weitere Bereiche übertragen könnte. Eine vorzeitige Verschärfung der Finanzierungsbedingungen könnte die wirtschaftliche Erholung belasten und den Euroraum auf dem Pfad zur Preisstabilität zurückwerfen. Daher würden nun die Käufe im Rahmen des PEPP während des zweiten Quartals so gesteuert, dass sie deutlich umfangreicher ausfallen werden als während der ersten Monate dieses Jahres. Damit nutze der EZB-Rat die Flexibilität, die das PEPP böte. Am maximalen Volumen des Programms habe sich dadurch nichts geändert.

Wirtschaftsausblick hängt vom weiteren Pandemieverlauf ab

Der Wirtschaftsausblick hänge zurzeit vor allem vom weiteren Verlauf der Pandemie ab und sei daher entsprechend unsicher. „Wenn die Pandemie unter Kontrolle ist und die angeordneten und freiwilligen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung schrittweise gelockert werden, sollten sich die Volkswirtschaften im Euroraum zügig erholen“, so Weidmann. „Aufgrund der aktuell stark steigenden Infektionszahlen könnte es bis zur Lockerung der Schutzmaßnahmen länger dauern als in der März-Prognose angenommen. Entsprechend würde sich auch die Erholung der Wirtschaft verzögern,“ sagte Weidmann. „Womöglich wäre in diesem Fall die Prognose der BIP-Wachstumsrate für den Euroraum im Jahr 2021 nicht mehr zu halten. Aber auch dann noch könnte die Wirtschaft am Ende dieses Jahres das Aktivitätsniveau erreichen, das in der März-Prognose erwartet wurde.“                                         

Politischer Druck auf Notenbanken könnte steigen

Weidmann wies in seiner Rede darauf hin, dass es fahrlässig wäre auszuschließen, dass die Notenbanken es in Zukunft wieder mit stärker inflationären Kräften zu tun bekommen könnten. Durch die kräftig gestiegene Staatsverschuldung könnte es für die Notenbanken immer schwieriger werden, rechtzeitig ihren expansiven Kurs zu ändern. „Denn sie könnten unter wachsenden politischen Druck geraten, die Tragfähigkeit der Staatsschulden sicherzustellen, indem sie die lockere Geldpolitik länger beibehalten, als es die mittelfristige Preisstabilität erfordert“, sagte Weidmann. Daher sollten die Notenbanken schon heute deutlich machen, dass die geldpolitischen Notfallmaßnahmen kein Dauerzustand werden dürfen. „Sie müssen eng an die Krise gebunden bleiben und nach der Pandemie beendet werden“, so Weidmann.