So soll das Schattenbanken­system reguliert werden

"Schattenbanken" können wahre Sprengkraft entfalten. Das haben die Ereignisse im Herbst 2008 gezeigt, als die spektakuläre Pleite der US-Investmentbankbank Lehman Brothers das globale Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Dahinter stand damals eine tiefgreifende Vertrauenskrise an den Finanzmärkten, verursacht durch vielfältige Verflechtungen von Banken wie Lehman Brothers mit höchst undurchsichtigen und kaum regulierten Finanzakteuren. Damals wie heute handeln diese Akteure wie Banken, sie sind es aber formell nicht. Ihre Geschäfte bleiben dadurch für Aufsicht und Regulierung weitgehend im Verborgenen, woher auch die Bezeichnung Schattenbanksystem stammt.

Das Schattenbanksystem ist heute größer denn je. Das dort verwaltete Anlagevermögen wird vom Finanzstabilitätsrat (FSB) auf rund 67 Billionen Dollar taxiert. Das ist mehr als vor der Finanzkrise und entspricht annähernd dem jüngsten Weltsozialprodukt, also dem Wert aller Waren und Dienstleistungen, die 2012 weltweit hergestellt wurden. "Das Schattenbankensystem ist nicht per se schlecht", stellt Bundesbank-Vorstandsmitglied Andreas Dombret klar. Durch die starke Dynamik müssten Regulierungsmaßnahmen laufend überprüft werden, so Dombret. "Wir sollten aber darauf achten, nur dort zu regulieren, wo systemische Risiken entstehen können", betont er.

Licht ins Dunkel

Durch Regeln sollen künftig Risiken für die Finanzstabilität durch "Schattenbanken" gemindert werden. Dazu hat der Finanzstabilitätsrat (FSB) für die größten 20 Industrie- und Schwellenländer (G20) Vorschläge zur Aufsicht und Regulierung des Schattenbanksystems erarbeitet. Auf ihrem Gipfel in St. Petersburg begrüßten die G20 die Ergebnisse als wichtigen Schritt, um potenzielle systemische Risiken abzumildern. Sie kündigten eine zeitnahe Umsetzung der Empfehlungen an, bei der jedoch "länderspezifische Umstände berücksichtigt werden sollen", wie es in der Abschlusserklärung heißt. Für die Schritte bis zum Jahr 2015 einigten sie sich auf einen Fahrplan. Im Vorfeld des G20-Gipfels hatte neben dem FSB auch die EU-Kommission konkrete Vorstellungen von einem künftigen europäischen Regelwerk für das Schattenbanksystem in einer Mitteilung veröffentlicht.

Erschwert wird die Regulierung dadurch, dass es keine allgemein gültige Definition von "Schattenbanken" gibt. Der FSB definiert das Schattenbankensystem allgemein als ein "System der Kreditvermittlung, an dem Unternehmen und Tätigkeiten (ganz oder teilweise) außerhalb des regulären Bankensystems beteiligt sind". Die EU-Kommission nennt konkret Zweckgesellschaften wie beispielsweise Verbriefungsgesellschaften, darüber hinaus Geldmarktfonds, Investmentfonds und börsengehandelte Fonds, die Kredite vergeben oder mit Fremdmitteln arbeiten. Weiterhin zählt sie viele Finanzierungsgesellschaften und Wertpapierhäuser dazu. Auch Versicherer und Rückversicherer sind nach dieser Definition "Schattenbanken", sofern sie Kreditprodukte ausgeben oder garantieren, die keine Banklizenz voraussetzen.

Regeln für Geldmarktfonds

Der Finanzstabilitätsrat hat im Auftrag der G20 Maßnahmen zu verschiedenen Teilaspekten der Regulierung des Schattenbankensystems erarbeitet. Wichtige davon betroffene Akteure sind Geldmarktfonds. Sie sammeln kurzfristig verfügbares Geld von Anlegern und investieren damit in Wertpapiere mit kurzer Laufzeit. Auf diese Weise können sich Unternehmen und Banken mit dem Kapital von Geldmarktfonds kurzfristig finanzieren. Problematisch für die Finanzstabilität können Geldmarktfonds werden, wenn plötzlich viele Anleger gleichzeitig ihr investiertes Kapital abziehen. Für einen solchen "Run" sind bestimmte Geldmarktfonds besonders anfällig, nämlich solche mit einem festen Nettoinventarwert ("stable net asset value"). Das bedeutet, dass die Anteilspreise des Fonds sich nicht mit der Marktentwicklung ändern, sondern immer zu 100 % zurückgekauft werden. Solche Geldmarktfonds sind insbesondere auf dem wichtigsten Markt für Geldmarktfonds verbreitet, nämlich in den USA. In Europa werden sie vor allem in Luxemburg und Irland aufgelegt. Das Problem: Wittern Anleger, dass Investments des Fonds auszufallen drohen, sind sie gut beraten, ihr Geld schnellstmöglich abzuziehen. Verbucht der Fonds tatsächlich einen Ausfall, kann er möglicherweise sein Versprechen der vollständigen Rückzahlung an seine Anleger nicht mehr sicherstellen und muss geschlossen werden. Wer vorher ausgestiegen ist, hat damit sein Kapital gesichert. Zugleich schwächt jeder Verkauf aber die Kapitalausstattung des Fonds, was das Problem drohender Verluste verschärft.

Der FSB schlägt vor, Geldmarktfonds mit fest bewerteten Vermögenswerten soweit wie möglich in Fonds mit variabler Bewertung umzuwandeln. Verluste in den Anlagen führen dann unmittelbar zu einem sinkenden Wert der Fondsanteile für alle Anleger. Der Anreiz zum "Run" auf den Fonds ist dann deutlich geringer, weil ein rascher Verkauf Anlegern keine besonderen Vorteile verspricht. Wo eine solche Umwandlung von Geldmarktfonds nicht möglich ist, sollten nach Einschätzung des FSB stattdessen Sicherungsinstrumente wie beispielsweise Kapital- oder Liquiditätsanforderungen eingeführt werden.

Die EU-Kommission will für Geldmarktfonds, die in Europa sitzen oder gehandelt werden, einen präziseren Rahmen schaffen. Um über ausreichend Liquidität zu verfügen, sollen 10 % ihrer Vermögenswerte innerhalb eines Tages verkauft werden können, weitere 20 % innerhalb einer Woche. Zur Streuung des Risikos soll ein Fonds höchstens 5 % seines Vermögens in Papiere eines einzelnen Emittenten investieren dürfen. Für Fonds mit festem Nettoinventarwert sieht der Vorschlag der EU-Kommission einen Kapitalpuffer von 3 % der Vermögenswerte vor, um so ein Polster für Verkäufe vorzuhalten. Ein fester Nettoinventarwert soll zudem nur für eine Kategorie sehr kurzfristig anlegender Geldmarktfonds zulässig sein. Ganz abschaffen will die Kommission Fonds mit festem Nettoinventarwert nicht. 

Daten über Wertpapierfinanzierungen sammeln

In den bedeutenden Markt für Wertpapierleihe und Wertpapierpensionsgeschäfte (sogenannte Repo-Geschäfte) will der FSB mehr Transparenz bringen. Dies sind Instrumente, mit denen sich Finanzinstitute gegen die Hinterlegung von Sicherheiten kurzfristig Geld leihen können. Zum Risiko für die Finanzstabilität können sie werden, wenn sie – wie vor der Finanzkrise – in großem Umfang zur kurzfristigen Finanzierung eingesetzt werden und dadurch der Verschuldungshebel im Finanzsystem stark steigt oder wenn diese Quelle plötzlich versiegt. Sie können zudem zu Dominoeffekten beitragen, da verpfändete Wertpapiere weitergereicht werden können, um damit wiederum ein neues Repo-Geschäft abzuschließen. So entstehen Verpfändungsketten, die bisher kaum zu durchschauen sind.

Der Vorschlag der FSB sieht vor, zu Wertpapierfinanzierungsgeschäften regelmäßig detaillierte Daten der Engagements großer, international aufgestellter Finanzinstitute zu sammeln und auszuwerten. So sollen frühzeitig möglicherweise entstehende Risiken erkannt werden. Standards und Verfahren der Datenaufbereitung auf globaler Ebene sollen sich dabei an Empfehlungen des FSB orientieren. Nach bestimmten Kriterien wie dem Ursprung oder der Laufzeit des Pfands sind zudem Abschläge in der Diskussion, durch die – je nach Risiko – ein Wertpapier nicht mehr zum vollen Wert beliehen werden kann. Auch die EU-Kommission spricht sich dafür aus, die Risiken im Bereich der Wertpapierfinanzierung zu verringern.

Verbriefungen transparenter gestalten

Mehr Transparenz ist auch das Stichwort für Regulierungsansätze im Bereich der Verbriefungen. Durch Verbriefungen lassen sich Risiken von Banken wie beispielsweise Zahlungsansprüche aus Immobilienkrediten in Wertpapieren verpacken, wodurch sie an Investoren verkauft werden können. Dadurch drohen allerdings undurchsichtige und komplexe Strukturen mit kaum abschätzbarem Risiko zu entstehen. Mit Transparenz und Standardisierung soll nach dem Willen des FSB daher verhindert werden, dass bei Verbriefungen zu schwache Kreditvergabestandards angewendet werden.

Ein weiteres Anliegen ist der Abbau von Ansteckungsgefahren vom Schattenbanksystem auf reguläre Banken. Dazu soll nach Vorschlag des FSB die bestehende Bankenregulierung verschärft werden. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht erarbeitet dazu einen entsprechenden Entwurf, der Ende 2013 vorliegen soll. Auch dieser Punkt ist Bestandteil der Pläne der EU-Kommission zur Regulierung des Schattenbanksystems.

Um der Wandelbarkeit des Schattenbankgeschäfts zu begegnen, geht es dem FSB abschließend darum, ein Rahmenwerk zu entwickeln, um Risiken für die Finanzstabilität allgemein frühzeitig zu erkennen. Damit sollen Innovationen an den Finanzmärkten auf ihr Bedrohungspotenzial analysiert werden können.