Rajan fordert gemeinschaft­liches Handeln von Notenbanken

Raghuram Rajan bei seinem Vortrag an der Goethe-Universität
Raghuram Rajan bei seinem Vortrag an der Goethe-Universität

Indiens Notenbankgouverneur Raghuram Rajan hat sich für einen raschen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik vieler Notenbanken ausgesprochen. Der massive Ankauf von Staatsanleihen ("Quantitative Easing") - wie ihn die Notenbanken in den USA, Großbritannien oder der Eurozone verfolgt haben bzw. verfolgen – führe zu keinem nachhaltig höherem Wachstum, berge aber immer höhere Risiken, sagte Rajan in einem Vortrag an der Goethe-Universität in Frankfurt auf Einladung des Forschungszentrums SAFE, des Center for Financial Studies sowie der Bundesbank. Um die Wachstumsaussichten zu verbessern, seien Strukturreformen und Infrastruktur-Investitionen notwendig.

Ausweg aus dem Gefangenendilemma

Rajan zufolge laufen Notenbanken Gefahr, durch die anhaltend ultralockere Geldpolitik in ein sogenanntes Gefangenendilemma zu geraten. Darin ist für eine einzelne Notenbank der Ausstieg aus ihrer Politik kurzfristig mit höheren Risiken verbunden als die Fortsetzung der bisherigen Maßnahmen im Gleichklang mit den übrigen Notenbanken. Dies birgt laut Rajan enorme Risiken für die Finanzstabilität. "Verzerrungen durch unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen werden umso größer und schwerer umzukehren, je länger sie andauern", warnte er. Während ihr Nutzen typischerweise mit der Zeit sinke, stiegen die Kosten dagegen immer weiter.

Problematisch ist aus Rajans Sicht insbesondere der Versuch, mit gegenseitig konkurrierenden geldpolitischen Maßnahmen über Wechselkursabwertungen ein höheres Wachstum zu erzielen. "Wir könnten in eine Politik verfallen, in der wir uns gegenseitig Wachstum wegnehmen", sagte er. "Das müssen wir beenden, je schneller, desto besser."

Einen Ausweg aus dem Dilemma sieht Rajan in einem gemeinschaftlichen Vorgehen der Notenbanken, was er jedoch nicht als koordinierte Geldpolitik verstanden wissen wollte. Vielmehr gehe es ihm um eine grundsätzliche Verständigung der Notenbanken auf den Ausstieg, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten.

Die Leitzinswende einer einzelnen Notenbank dürfte Rajan zufolge im jetzigen Umfeld stärkere Kursbewegungen an den Finanzmärkten mit sich bringen. Dies müsse jedoch in Kauf genommen werden, so der Notenbankgouverneur. "Ich mache mir größere Sorgen über die Konsequenzen einer anhaltend ultraexpansiven Geldpolitik", sagte Rajan.

Einig mit Weidmann und Issing

Jens Weidmann bei seiner Rede an der Goethe-Universität
Jens Weidmann bei seiner seiner Begrüßungsrede für Raghuram Rajan an der Goethe-Universität
Bundesbankpräsident Jens Weidmann bekräftigte bei der Veranstaltung in Frankfurt ebenfalls seine Bedenken gegenüber einer allzu expansiven Geldpolitik. "Ich teile die Sorge vor einer Geldpolitik, die für eine zu lange Zeit zu locker ist", sagte er in seiner Begrüßungsrede für Rajan. Weidmann würdigte Rajan darin für seine außergewöhnlichen Verdienste als Wissenschaftler und Geldpolitiker und hob seine Rolle als Grenzgänger zwischen der akademischen Welt und der politischen Arena hervor.

Weidmann begrüßte in seiner Rede auch, dass Rajan jüngst zum stellvertretenden Vorsitzenden der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gewählt worden ist. Der Bundesbankpräsident sitzt dem Gremium der Finanzinstitution, die auch als "Bank der Zentralbanken" bekannt ist, seit November 2015 vor.

Otmar Issing, Präsident des Center for Financial Studies, erinnerte in seinen einleitenden Worten in Frankfurt an Rajans denkwürdigen Vortrag im Jahr 2005 in Jackson Hole, den Issing als damaliger Chefökonom der Europäischen Zentralbank vor Ort verfolgte. Rajan, zu der Zeit Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, stellte darin ein Forschungspapier über hohe Risiken im Finanzsystem vor. Unter den anwesenden Ökonomen erntete Rajan nur wenig Zuspruch, die zwei Jahre später ausbrechende Finanzkrise sollte ihm jedoch Recht geben.

Herausragender Ökonom und Notenbanker

Raguram Rajan trat im September 2013 sein Amt als Gouverneur der Reserve Bank of India an. Die indische Volkswirtschaft litt zu seinem Amtsbeginn an einer schweren Vertrauenskrise bei Investoren, die Rupie hatte binnen zwei Jahren um über 40 % an Wert verloren. Eine klare stabilitätsorientierte Neuausrichtung brachte die Wende: Rajan richtete die Geldpolitik der indischen Notenbank auf das Ziel der Preisstabilität aus und stoppte so die Abwertung der Landeswährung. Die Inflationsrate in Indien von gegenwärtig 4,4 % hat sich seit seinem Amtsantritt mehr als halbiert. Verdienste wie diese brachten ihm bereits zweimal die Auszeichnung als "Central Banker of the Year" ein.

Auch in der Wissenschaft hat sich Rajan bereits außerordentliche Verdienste erworben. Seit 1995 war er als Professor an der Booth School of Business an der Universität Chicago tätig, wo er derzeit beurlaubt ist. 2003 wurde er mit dem "Fischer Black Prize" der American Finance Association ausgezeichnet, die ihn damit als besten Forscher unter 40 Jahren auf dem Gebiet der Finanzwissenschaft ehrte.

Auch als Autor sorgte Rajan für Aufsehen. Sein Buch "Fault Lines: How Hidden Fractures Still Threaten the World Economy" wurde 2010 von Financial Times und Goldman Sachs als bestes Wirtschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet. In "Saving Capitalism from the Capitalists" aus dem Jahr 2003 arbeitete er gemeinsam mit Luigi Zingales den schmalen Grat zwischen unzureichender Staatshilfe und anmaßenden staatlichen Markteingriffen heraus.