Joachim Nagel ©Gaby Gerster

Nagel: Zusätzlicher Finanzierungsbedarf für die Transformation der Wirtschaft dürfte sich bewältigen lassen

In seiner Rede an der Adam Smith Business School in Glasgow erläuterte Bundesbankpräsident Joachim Nagel, wie der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft finanziert werden könnte. Ich bin zuversichtlich, dass unser Finanzsystem in der Lage ist, die erforderlichen Finanzmittel zu mobilisieren, so Nagel. 

Zusätzlicher Finanzierungsbedarf deutlich geringer als erforderliche Gesamtinvestitionen

Der zusätzliche Finanzierungsbedarf dürfte Nagel zufolge deutlich geringer ausfallen als der geschätzte zusätzliche Investitionsbedarf, wie er aus der buchhalterischen Sicht der Europäischen Kommission definiert wird, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass nicht alle Investitionen wirtschaftliche Ressourcen und Finanzierungen erforderten, die über das hinausgingen, was eine Volkswirtschaft zum Erhalt ihres Kapitalstocks aufwenden müsse. In vielen Fällen werden Technologien auf Basis fossiler Brennstoffe durch klimaneutrale Alternativen ersetzt. Dies erfordert nur dann eine zusätzliche Finanzierung, wenn die klimaneutralen Technologien kostspieliger sind oder der ersetzte Kapitalstock noch nicht vollständig abgeschrieben ist.

Auf die Gesetzgeber bezogen sagte Nagel, dass der zusätzliche Finanzierungsbedarf minimiert werden könne, indem sie dafür sorgten, dass der Weg zur Klimaneutralität einer klaren und verbindlichen Marschroute folge. Denn durch eine größere Planungssicherheit würden Anreize geschaffen, keine weiteren Investitionen in Technologien auf Basis fossiler Brennstoffe zu tätigen, die unter Umständen nicht mehr vollständig abgeschrieben werden könnten, bevor sie unrentabel würden. 

Zusätzlicher jährlicher Finanzierungsbedarf beträgt in Deutschland rund 120 Milliarden Euro

Bezugnehmend auf eine kürzlich durchgeführte Studie sagte Nagel, dass Deutschland zwischen 2021 und 2030 jährlich etwa 390 Milliarden Euro investieren müsse, um seine Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 65 Prozent zu senken. Allerdings erfordern nur etwa 30 Prozent dieser Investitionen eine zusätzliche Finanzierung. Das entspricht insgesamt einer Summe von ungefähr 120 Milliarden Euro, so Nagel. 

In eine klimaneutrale Wirtschaft müssen alle investieren – die privaten Haushalte, die Unternehmen und der öffentliche Sektor. Für diese Investitionen kommen sowohl Innenfinanzierungs- als auch Außenfinanzierungsmittel infrage. Laut Nagel wird für Deutschland davon ausgegangen, dass etwa 20 Prozent des geschätzten Finanzierungsmix aus der Innenfinanzierung stammen könnte – in erster Linie Sparvermögen privater Haushalte. Bei der Außenfinanzierung dürften Bankkredite die wichtigste Rolle spielen, da sie mehr als ein Viertel des Finanzierungsmix ausmachten. Neben Bankkrediten könnte dem Bundesbankpräsidenten zufolge auch Schuldverschreibungen und der Eigenkapitalfinanzierung eine große Bedeutung zukommen. 

Bei der Finanzierung des Übergangs könnten Banken eine größere Rolle spielen

Nagel hält ein stabiles Bankensystem für unabdingbar, um Klimaneutralität zu erreichen. Wie die Schätzungen zeigten, entfalle ein Großteil der klimabezogenen Investitionen auf private Haushalte. Dabei verfügen die privaten Haushalte in der Praxis kaum über andere Finanzierungsmöglichkeiten als Bankkredite, sagte er. Aus diesem Grund sind wir bei der Bundesbank fest entschlossen, die Vollendung der europäischen Bankenunion weiter voranzutreiben.

Zudem sei es wichtig, den Zugang zu alternativen Finanzierungsquellen zu verbessern. Vor allem nichtfinanzielle Unternehmen würden erheblich von einer besseren Finanzierung über die Kapitalmärkte profitieren. Daher setze sich die Bundesbank auch für die Einrichtung einer europäischen Kapitalmarktunion ein.