Bundesbankpräsident Joachim Nagel bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Geschäftsberichts 2022 ©Frank Rumpenhorst

Nagel: „Wir müssen uns zusammenraufen“

Wir könnten vor einer globalen ökonomischen Zeitenwende stehen, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. Die Unsicherheit bezüglich des wirtschafts- und finanzpolitischen Kurses der USA, angedrohter Zölle und der möglicherweise zunehmenden geopolitischen Fragmentierung stelle mittelfristig ein großes Risiko dar. Wir brauchen in dieser Situation nicht weniger, sondern mehr Europa, ist Nagel überzeugt. Er mahnte die EU-Länder, Hemmnisse auf ihrem gemeinsamen Markt abzubauen.

Deutschland drohen Wohlstandsverluste durch US-Zölle

Die vom designierten US-Präsidenten Donald Trump angedrohten Einfuhrzölle könnten laut Bundesbankpräsidenten für die deutsche Wirtschaft sehr schmerzhaft sein. Sollten die Zollpläne umgesetzt werden, könnte uns das in Deutschland durchaus ein Prozent der Wirtschaftsleistung kosten, sagte Nagel der Zeit. Bedenke man, dass die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr bereits ohne US-Zölle unter einem Prozent wachse, könnte die Wirtschaftsleistung sogar in den negativen Bereich rutschen, so Nagel weiter.

Bruch der Ampel-Regierung erhöht Unsicherheit

Neben der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bringe der Bruch der Ampel-Regierung für Deutschland Unsicherheiten und Herausforderungen mit sich. Es gibt großen Handlungsbedarf in unserem Land. Wir müssen so zügig wie möglich ins Umsetzen kommen, sagte Nagel. Das nicht verabschiedete Wachstumspaket der amtierenden Regierung weise vielfach in die richtige Richtung. Unternehmen, private Haushalte und Finanzmärkte wollen Verlässlichkeit, gerade, wenn es um Entscheidungen wie Investitionen geht, mit denen sie sich längerfristig festlegen. Hier sei eine klare Botschaft wichtig. 

Nagel für Anhebung des Renteneintrittsalters

Zu den Hauptgründen für die Wirtschaftsschwäche des Landes zählt der Bundesbankpräsident nach der Phase mit Lieferengpässen und der Energiekrise den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Hierfür seien nicht nur Bürokratie, hohe Unternehmenssteuersätze und Energiekosten verantwortlich. Auch der demografische Wandel spiele eine große Rolle. Bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten und der Zuwachs von Fachkräften aus dem Ausland seien unverzichtbar, um das Arbeitskräfteangebot in Deutschland zu erhöhen. Außerdem spricht sich Nagel dafür aus, dass das Renteneintrittsalter nach 2031 schrittweise mit der Lebenserwartung steigt. Unsere Bevölkerung altert, und so wie unser Rentensystem aufgestellt ist, sehe ich längerfristig große Fragezeichen. Ich finde es richtig, dass diejenigen, die länger arbeiten möchten, dies flexibel tun können. Schließlich seien die Menschen heute fitter als Gleichaltrige vor 40 oder 50 Jahren. Wenn man an der Stellschraube nicht drehen will, zahlen wir an anderer Stelle den Preis – bei den Sozialbeiträgen, der Rentenhöhe oder dem Bundeszuschuss, sagte Nagel weiter.

Inflation im Euroraum wieder unter Kontrolle

Die europäische Geldpolitik sieht der Bundesbankpräsident auf dem richtigen Pfad, die Inflation sei inzwischen wieder unter Kontrolle. Der Preisauftrieb im Euroraum bewege sich derzeit bei zwei Prozent, liege also nahe bei dem angestrebten Wert. Der Job sei damit jedoch noch nicht erledigt. Die Kunst ist es, dass die Teuerungsrate auch nachhaltig bei zwei Prozent bleibt, sagte er im Interview. Aktuell gäbe es jedoch immer noch einen merklichen lohnbedingten Preisdruck, der allerdings durch den Rückgang der Energiepreise überdeckt würde. Die Kerninflationsrate, ohne Energie und Lebensmittel, sei sowohl im Euroraum insgesamt als auch in Deutschland recht hoch. Bei den Zinsentscheidungen sei das Timing ein großes Thema. Der EZB-Rat entscheide in diesen unsicheren Zeiten deshalb von Sitzung zu Sitzung auf der Basis von Daten und Prognosen. Ich bin aber überzeugt, dass wir auf dem richtigen Pfad sind, so Nagel.