Joachim Nagel während eines Gesprächs ©Frank Rumpenhorst

Nagel: Der EZB-Rat muss ein deutliches Signal geben

Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat gefordert, dass der EZB-Rat im Juni ein deutliches Signal zum künftigen geldpolitischen Kurs im Euroraum geben müsse. Die Entscheidung müsse dann glasklar kommuniziert werden. Aus Nagels heutiger Sicht müsse der Rat im Juli einen ersten Zinsschritt machen und weitere in der zweiten Jahreshälfte. „Negative Zinsen werden bald der Vergangenheit angehören“, sagte Nagel im Interview mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. „Ich begrüße es, dass wir bald die Leitzinsen anheben und die Inflation entschlossen bekämpfen.“

Für 2022 erwarte die Bundesbank in Deutschland eine Inflation von durchschnittlich etwa 7 Prozent, so der Bundesbankpräsident. „Ab dem kommenden Jahr dürfte die Teuerung dann allmählich wieder zurückgehen.“ Nagel warnte davor, dass der Inflationsdruck erstmal hoch bleibe, wenn noch mehr Lieferketten reißen und die Energiepreise weiter steigen würden. Zentralbanken hätten aber die Instrumente, den Inflationsdruck abzubauen und die Preise mittelfristig wieder auf ihr Ziel zu drücken. „Das können wir und das werden wir“, so Nagel.

Aus Fehleinschätzungen dazulernen

Kritik an der EZB, diese habe die Dynamik des Preisanstiegs unterschätzt, wies der Bundesbankpräsident zurück. Das Ausmaß des Inflationsanstiegs sei so nicht abzusehen gewesen und habe die meisten Prognostiker überrascht. Es habe auch Stimmen gegeben, die auf die Aufwärtsrisiken für die Inflation hingewiesen haben. Gerade wenn die Unsicherheit hoch sei, seien Prognosen extrem schwierig. „Wir müssen aber natürlich aus Fehleinschätzungen dazulernen und die neuen Gegebenheiten berücksichtigen“, sagte Nagel.

Hohe Anleihebestände reduzieren

Der Bundesbankpräsident äußerte sich auch zu den hohen Beständen an Staatsanleihen bei den Zentralbanken des Eurosystems. Zunächst gelte es, diese Bestände nicht noch weiter zu erhöhen. „Man muss den Fuß vom Gaspedal nehmen, bevor man auf die Bremse tritt“, fügte Nagel hinzu. Das Ziel aber sei klar: „[…] letztlich muss das Eurosystem von seinen sehr hohen Anleihebeständen herunter. Das gehört zur Normalisierung der Geldpolitik dazu.“

Das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale im Zuge der hohen Inflationsraten hält Nagel aktuell für überschaubar, wenn das Eurosystem die Inflationserwartungen fest bei 2 Prozent verankert hält. Zudem komme es für eine Lohn-Preis-Spirale nicht nur auf die Löhne an, sondern auch darauf, wie die Unternehmen ihre Preise setzen. Die Bundesbank beobachte die Entwicklung genau. Er gehe zwar davon aus, dass die Löhne im Euroraum künftig deutlicher steigen würden. „Aber ich sehe derzeit nicht, dass das außer Kontrolle gerät“, so Nagel.