Nachruf auf Karl Otto Pöhl: Unabhängigkeit, Menschlichkeit, Humor

Dr. h. c. mult. Karl Otto Pöhl ©Bundesbank
Dr. h. c. mult. Karl Otto Pöhl

"Inflation ist wie Zahnpasta", sagte einst der langjährige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl zu Beginn seiner Amtszeit im Jahre 1980. "Ist sie erst mal heraus aus der Tube, bekommt man sie kaum mehr rein. Das Beste ist, nicht zu fest auf die Tube zu drücken."

Pöhls frühes Zitat zeigt, mit welchen Mitteln er fortan das Mandat der Deutschen Bundesbank, die Geldwertstabilität zu sichern, verteidigen würde: Ausgestattet mit Humor, Führungsstärke, Klarheit, Gelassenheit und einem besonderen Talent dafür, geldpolitische Zusammenhänge auch mal unkonventionell auszudrücken, gelang es ihm dabei, die Öffentlichkeit im In- und Ausland immer wieder aufs Neue für seine Ziele zu gewinnen. Frühere Wegbegleiter beschrieben Pöhl als einen begnadeten Kommunikator. "Jeder Journalist, auch wenn er um vier Uhr früh anruft, wird korrekt und anständig behandelt und informiert", gab Pöhl selbst als Devise für eine professionelle Kommunikation vor. Als ehemaliger Wirtschaftsjournalist wusste er um die Bedürfnisse der früheren Kollegen. Von 1961 bis 1967 war er Redakteur für den "Volkswirt" und "DIE ZEIT". Er war danach für mehrere Jahre Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und wechselte von dort 1977 zur Bundesbank – zunächst für zweieinhalb Jahre als ihr Vizepräsident und dann für elf Jahre als ihr Präsident. Auf dem Chefsessel der Bundesbank sollte sein Kommunikationstalent dringend gebraucht werden. In seine Präsidentschaft fielen die zweite Welle der Ölpreisschocks in den frühen 1980er Jahren, die deutsch-deutsche Währungsunion sowie die Ausarbeitung des Statuts der Europäischen Zentralbank.

Für die Politik war Pöhl unbequem

Pöhl behauptete die Bundesbank-Politik des "teuren und knappen Geldes" zur Erhaltung der Währungsstabilität durchweg und zerstreute so selbst die Zweifel der Unionsparteien, die unter dem Sozialdemokraten zunächst eine "Politisierung" der Bundesbank erwarteten. Während sich der Fachmann Pöhl im Kreise seiner internationalen Zentralbankkollegen rasch eine breite Anerkennung erarbeitete und außerordentlich geschätzt wurde, fürchtete die Politik seine klare Linie. "Pöhl war für die Politik ein unbequemer Typ", beschreibt ein langjähriger Mitarbeiter den Bundesbankchef mit der zweitlängsten Amtszeit nach Karl Blessing.

Im März 1981 geriet Pöhl mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt aneinander. Nach Schmidts Geschmack richtete sich die restriktive Geldpolitik der Bundesbank  zu stark danach, den Außenwert der D-Mark zu stärken. Er befürchtete, dass die Hochzinspolitik der Bundesbank die Konjunktur schwächen würde. Pöhl störte sich hingegen an den Defiziten der öffentlichen Haushalte, außerdem kritisierte er die staatlichen Investitionsprogramme der Bundesregierung. Diese waren dazu bestimmt, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Pöhl bezeichnete diesen Kurs als ein "Kurieren an Symptomen". Stattdessen sollte es das Ziel sein, lohnende Arbeitsplätze zu schaffen, argumentierte er. Pöhl blieb seiner Linie auch in den folgenden Jahren treu und richtete den Kurs der Bundesbank weiterhin am Ziel der Geldwertstabilität aus.

Zu Zeiten der innerdeutschen Wiedervereinigung zeigten sich zwischen Pöhl und der Bonner Regierung unter Kanzler Helmut Kohl große Differenzen über die Ausgestaltung der deutsch-deutschen Wirtschafts- und Währungsunion. Stein des Anstoßes war der Umtauschkurs von DDR-Mark zu D-Mark. Pöhl hatte aus Gründen der Stabilität vehement für einen Umtauschkurs von 2:1 plädiert. Seine Forderung fand jedoch nur wenig Gehör, letztlich wurde der Umtauschkurs auf 1:1 festgelegt. Zudem übte er harsche Kritik an der Schuldenpolitik der Regierung Kohl. Schließlich überwarf er sich mit Kohl so stark, dass er im Mai 1991 vorzeitig von seinem Amt als Bundesbankpräsident zurücktrat.

Wahrung der Unabhängigkeit

Zwei große geldpolitische Ereignisse werden mit dem Leben von Karl Otto Pöhl verknüpft bleiben: Zum einen – zusammen mit seinen damaligen europäischen Notenbankkollegen – die Ausarbeitung des Statuts der Europäischen Zentralbank (EZB), bei der Pöhl den Vorsitz hatte. In diesem Rahmen trug er maßgeblich dazu bei, dass die Unabhängigkeit der Bundesbank nicht nur gewahrt, sondern Modell für das Statut der EZB wurde. "Die Schaffung der EZB, einer unabhängigen europäischen Notenbank nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank, war ein großer Schritt in Richtung einer europäischen Integration", sagte Pöhl vor kurzem noch in einem Interview. Zum anderen entwarf er in den späten 1970er Jahren als Staatssekretär im Finanzministerium unter Bundeskanzler Helmut Schmidt das Europäische Währungssystem EWS, den Vorläufer der Währungsunion. International gilt er als einer der Architekten der heutigen Finanz- und Währungsordnung und hat die Entstehung des Euro maßgeblich geprägt.

Humorvoll und kunstbegeistert

Die klare Haltung Pöhls in unsicheren Zeiten wurde allgemein anerkannt. Und noch heute sind sein Humor und sein Blick für das Schöne in der Bundesbank spürbar: Beispielsweise in der Kunstsammlung der Deutschen Bundesbank, die eine Reihe bedeutender Kunstwerke deutscher Maler umfasst. Sein Blick für das Ästhetische spiegelte sich auch in seiner ironischen Distanz zur der schlichten Zweckarchitektur des Bundesbankgebäudes wider. Wenn seine Gesprächspartner im 12. oder 13. Stock des Bundesbankgebäudes die Skyline Frankfurts bewunderten, wies er nämlich oftmals darauf hin, dass von diesem Ort aus glücklicherweise die Bank selbst nicht gesehen werden könne.  

Heute nehmen wir Abschied von Karl Otto Pöhl. Er starb am 9. Dezember im Alter von 85 Jahren in seiner Wahlheimat in der Schweiz.