Geldpolitik unter veränderten Rahmenbedingungen
Im Zuge der Finanz- und Staatsschuldenkrise hat sich die Rolle der Zentralbanken entscheidend geändert: Mit geldpolitischen Sondermaßnahmen hat das Eurosystem wesentlich dazu beigetragen, die Verwerfungen an den Finanzmärkten zu vermindern und negative Auswirkungen für die Realwirtschaft zu begrenzen.
Seit Herbst 2008 können Banken vom Eurosystem grundsätzlich Liquidität in beliebiger Höhe leihen, sofern sie ausreichende Sicherheiten dafür hinterlegen können. Der Zugang zu Zentralbankliquidität wurde zusätzlich erleichtert, indem die Liste der akzeptierten Sicherheiten mehrmals erweitert wurde. Zudem wurde 2010, als mit der ersten Zuspitzung der Staatsschuldenkrise die Spannungen auf den Märkten für bestimmte Staatsanleihen zunahmen, unter anderem ein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen aus dem Euro-Raum (Securities Markets Programme – SMP) aufgelegt. Eine Entscheidung, die von der Bundesbank kritisch gesehen wurde.
Banken in Refinanzierungsschwierigkeiten
Als in der zweiten Jahreshälfte 2011 die Spannungen an den Finanzmärkten deutlich zunahmen, hatten viele Kreditinstitute, insbesondere aus den Ländern, die im Mittelpunkt der Krise stehen, zunehmend Schwierigkeiten, sich bei privaten Anlegern oder bei anderen Banken zu refinanzieren. Deshalb beschloss der EZB-Rat Ende 2011 die Durchführung von zwei längerfristigen Refinanzierungsgeschäften mit einer Laufzeit von jeweils drei Jahren. Insbesondere Banken in Peripherieländern des Euro-Raums versorgten sich in hohem Maße mit Zentralbankgeld – ihr Anteil am Refinanzierungsvolumen stieg seit Ausbruch der Finanzkrise von einem Sechstel auf rund zwei Drittel.
Diese starke Inanspruchnahme des Eurosystems als alternative Finanzierungsquelle der Banken zeigt sich auch in der viel diskutierten Zunahme der Forderungen der Bundesbank im Rahmen des TARGET2-Zahlungssystems. Dieser Anstieg ist vor allem Ausdruck der Vertrauenskrise im Bankensektor einiger Euro-Länder. Insgesamt haben sich bis Herbst 2012 in den Peripherieländern TARGET2-Verbindlichkeiten in Höhe von rund 1 Billion Euro aufgebaut. Die hohen Salden werden erst dann zurückgehen, wenn das Vertrauen der Banken untereinander wiederhergestellt ist und sie sich wieder am Markt refinanzieren können.
Im September 2012 beschloss der EZB-Rat ein neues Programm zum unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen aus dem Euro-Raum (Outright Monetary Transactions – OMT). Damit soll verhindert werden, dass das Zinsniveau in einzelnen Ländern zu stark ansteigt und damit der EZB-Geldpolitik zuwiderläuft. Bedingung für den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB, ist ein Hilfsantrag des betreffenden Staates beim Euro-Rettungsfonds EFSF/ESM.
Sondermaßnahmen bergen Risiken
Die außergewöhnlichen Umstände einer Krise rechtfertigen außergewöhnliche geldpolitische Maßnahmen. Doch all diese Sondermaßnahmen gehen mit erheblichen Risiken einher: Die Ankaufprogramme der Zentralbank an den Staatsanleihemärkten können dem Bewusstsein der Staaten für ihre prekäre Finanzsituation schaden und die Anreize mindern, dringend notwendige Einsparungen und Strukturreformen umzusetzen. Die großzügige Liquiditätsbereitstellung birgt die Gefahr, dass einige Banken sich zu sehr in die Abhängigkeit von Zentralbankgeld begeben und damit eine notwendige Neuausrichtung ihrer Geschäftsmodelle verschleppen.
Zudem kann es im Ergebnis über die Bilanzen der Notenbanken zu einer Umverteilung der Solvenzrisiken von Banken oder Staaten zwischen den Mitgliedsländern kommen. Diese Entscheidungen dürfen aber nur gewählte Regierungen und Parlamente treffen. Es muss deshalb gewährleistet sein, dass alle geldpolitischen Sondermaßnahmen im Umfang begrenzt und zeitlich befristet sind und möglichst bald wieder zurückgeführt werden. Die Geldpolitik muss sich auf die Sicherung der Preisstabilität im Euro-Raum konzentrieren können. Ungeachtet der krisenbedingten Sondermaßnahmen ist und bleibt Preisstabilität das oberste Ziel des Eurosystems, ein Ziel, welches es seit Beginn der Währungsunion erfolgreich erfüllt hat.