EZB-Rat beschließt umfangreiche geldpolitische Maßnahmen
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat am 5. Juni einstimmig eine weitreichende geldpolitische Lockerung beschlossen, um gegen die sehr niedrige Inflation im Euro-Raum anzugehen. Der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte wird mit Wirkung zum 11. Juni von 0,25 % auf 0,15 % verringert. Zu diesem Zinssatz können sich Banken für eine Woche Geld bei den Notenbanken des Eurosystems leihen. Auch der Zinssatz für sehr kurzfristige EZB-Kredite über Nacht, die sogenannte Spitzenrefinanzierungsfazilität, sinkt. Dieser Satz liegt nun bei 0,4 % statt bislang 0,75 %.
Legen Banken kurzfristig nicht benötigtes Geld bei den Eurosystem-Notenbanken an, wird dafür erstmals ein negativer Zinssatz von -0,1 % fällig. Zuletzt blieben diese Einlagen unverzinst. Ausgenommen vom negativen Zins ist lediglich die gesetzliche Mindestreserve, die Banken für Einlagen ihrer Kunden bei der Zentralbank hinterlegen müssen.
"Praktisch die Zinsuntergrenze erreicht"
Die Leitzinsen im Euro-Raum markieren mit den Beschlüssen einen neuen historischen Tiefstand. Darüber hinausgehende Leitzinssenkungen erwartet EZB-Präsident Mario Draghi nicht. "Wir haben praktisch die Zinsuntergrenze erreicht
", sagte er im Anschluss an die Ratssitzung. Die Zinsen würden "für längere Zeit auf dem aktuellen Niveau bleiben
". Bisher hatte Draghi bei seinen zukunftsgerichteten Hinweisen für die Geldpolitik, der sogenannten Forward Guidance, stets auch auf die Möglichkeit von weiteren Zinssenkungen hingewiesen.
Die Aussichten für die Inflationsentwicklung im Euro-Raum haben sich nach Berechnungen von Ökonomen des Eurosystems gegenüber der Projektion vom März 2014 abgeschwächt. Im laufenden Jahr erwarten sie einen Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) von 0,7 %. Für das kommende Jahr projizieren sie eine Teuerung von 1,1 %, 2016 rechnen sie mit einer Inflation von 1,5 %. Anzeichen einer drohenden Deflation sieht Draghi auch weiterhin nicht. "Mittel- bis langfristig bleiben die Inflationserwartungen fest verankert mit unserem Ziel von Teuerungsraten unter, aber nahe 2 %
", betonte er. Im Mai hatte die durchschnittliche Inflation im Euro-Raum 0,5 % betragen.
Geld für Kredite
Mit einer Reihe weiterer geldpolitischer Maßnahmen will der EZB-Rat die Kreditvergabe von Banken an nicht-finanzielle Unternehmen und private Haushalte im Euro-Raum unterstützen. Über sogenannte "gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte" (TLTROs) stellt das Eurosystem Banken für rund vier Jahre umfangreiche Mittel zur Refinanzierung zur Verfügung. Die Inanspruchnahme dieser Mittel ist an die zum 30. April 2014 vorhandenen Kreditbestände sowie an die Nettokreditvergabe der jeweiligen Bank nach diesem Stichtag geknüpft. Das Eurosystem verlangt von den Banken für diese langfristige Bereitstellung von Zentralbankgeld einen festen Zinssatz, der 0,1 Prozentpunkt über dem Hauptrefinanzierungssatz der EZB liegt.
Kern des Programms sind zwei Geldspritzen im September und Dezember 2014. Im Rahmen dieser Geschäfte können die Banken bis zu 7 % ihrer bereits ausgegebenen Kredite an nicht-finanzielle Unternehmen und private Haushalte beim Eurosystem refinanzieren. Kredite zur Finanzierung von Wohnimmobilien sowie Kredite an den Staat werden dabei nicht berücksichtigt. Auf diese Weise können sich die Banken insgesamt bis zu 400 Mrd. Euro an frischem Zentralbankgeld beschaffen.
Darüber hinaus haben die Kreditinstitute zwischen März 2015 und Juni 2016 die Möglichkeit, sich alle drei Monate zusätzliche Mittel zur langfristigen Refinanzierung weiterer Kredite zu leihen. Das Gesamtvolumen der Ausleihungen im Rahmen dieser Geschäfte ist betragsmäßig auf die dreifache Menge der über einen bestimmten Richtwert hinausgehenden Nettokreditvergabe an Unternehmen und Haushalte begrenzt. Der Richtwert orientiert sich an der Kreditvergabe des jeweiligen Instituts in den zwölf Monaten vor dem 30. April 2014. Ausgenommen sind auch hier wiederum Kredite an private Haushalte zu Wohnungsbauzwecken.
Die vorzeitige Rückzahlung einer TLTRO ist frühestens nach zwei Jahren möglich. Setzen Banken die Mittel nicht nach den Konditionen des Eurosystems zur Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte ein, müssen sie die TLTROs bereits im September 2016 zurückzahlen.
Ankauf von Kreditverbriefungen
Darüber hinaus zieht es der EZB-Rat in Erwägung, künftig von Banken Kreditverbriefungen (ABS) anzukaufen. Die entsprechenden Vorbereitungen hierfür will sie forcieren. Zudem soll die sogenannte Vollzuteilung der Hauptrefinanzierungsgeschäfte bis mindestens Ende 2016 fortgesetzt werden. Dadurch können alle Banken bei den Notenbanken des Eurosystems in vollem Umfang so viel Geld gegen Sicherheiten leihen, wie sie möchten. Zugleich stellt die EZB bis auf weiteres ihren Absorptionstender ein, mit dem sie wöchentlich die Liquidität vom Markt nimmt, die sie im Rahmen des SMP-Programms durch den Ankauf von Staatsanleihen geschaffen hat.